Hagen. Der Kopf der Spielhallen-Familie aus Hagen sollte längst in Haft sitzen. Aber er ist abgetaucht und spielt mit der deutschen Justiz.
Die Bilder der spektakulären Razzia sind unvergessen: Ein goldener Mercedes am Abschlepphaken. Elitepolizisten, die mit Maschinenpistolen einen Geldtransporter absichern. Aus dem Reihenhaus einer Spielhallen-Betreiberfamilie in Haspe werden riesige Geldkisten herausgeschleppt. Es geht um Abgabenhinterziehung in Millionenhöhe.
Fast 20 Millionen Euro, stellt die Große Wirtschaftsstrafkammer später fest. Der Kopf des Casinokonzerns wurde Anfang Dezember 2019 zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt: Sami Söylemez sollte längst im Gefängnis sitzen. Doch er ist abgetaucht und spielt nun von seinem türkischen Heimatdorf aus mit der deutschen Justiz. Mit Europäischem Haftbefehl wird er nun gesucht.
Aus ärmlichen Verhältnissen zum Multimillionär
Geboren in „ärmlichen, bäuerlichen Verhältnissen“ (so das Urteil) und aufgestiegen bis in die Geld-Society – als Chef eines Geflechts von Spielhallen in ganz NRW. Diese Karriere zum Multi-Multimillionär hätte sich der ehemalige Auszubildende der Deutschen Bahn, der 1987 nach Deutschland kam, wohl selbst nicht erträumt. Erstmals hatte Söylemez 2002 in die Daddelautomaten-Branche geschnuppert und eine kleine, 60 Quadratmeter große Spielhalle erworben.
Bereits im selben Jahr kam eine größere in Dortmund hinzu. Es folgten weitere in Datteln, Duisburg, Hattingen, Langenfeld, Holzwickede und Hilden. Am Ende waren es 16 Zockerhöhlen. Mehrere Mitglieder seiner Großfamilie waren mit Stroh-Funktionen dabei: Mal die beiden Brüder, mal die Schwester, mal der Schwager.
Spielhallen-Familie stellt Reichtum zur Schau
Sie sollten nach außen hin den Inhaber und Geschäftsführer einer Spielhalle spielen, obwohl nur das Familienoberhaupt das eigentliche Sagen hatte und, so die Richter, „die unternehmerischen Entscheidungen traf“. Ja, er habe die Sicherung des Lebensunterhalts seiner Großfamilie zu tragen gehabt: „Ich musste 30 Personen ernähren“, erklärte Söylemez voller Stolz. Und er versorgte sie gut: Mit sieben Häusern und sechs Grundstücken, im Gesamtwert von weit über vier Millionen Euro, in denen sie residierten und ihren neugewonnenen Reichtum zur Schau stellten.
„Ich habe einen auf dicke Hose machen wollen“, gestand der Patriarch vor Gericht kleinlaut. Innerhalb von fünf Jahren waren nicht nur die weiblichen Familienmitglieder, Ehefrauen, Partnerinnen und Schwester mit Mercedes-Limousinen der Kompaktklasse ausgestattet worden, die allesamt auf die Spielstätten-GmbH angemeldet und als Betriebsvermögen steuerlich geltend gemacht wurden.
Auch für die Brüder und ihn selbst wurden, „auf ausdrücklichen Wunsch in bar“, ein Ferrari 458 Speciale (für 230.000 Euro) und ein Lamborghini Aventador (für 328.00 Euro) angeschafft. Zum Fuhrpark gehörten ferner ein Lamborghini Huracan und drei Mercedes-Benz, die alle dieselbe Buchstaben-Kombination „XS“ auf ihren Hagener Autokennzeichen trugen. Wäre da nicht noch diese Riesen-Steuerhinterziehung gewesen.
Urteil: Fünfeinhalb Jahre Gefängnis
Hinter dem Rücken des Finanzamts waren die Spielautomaten mit Hilfe einer Spezialsoftware jahrelang manipuliert worden. Am 27. September 2018 dann die spektakuläre Durchsuchung mit hunderten Beamten in allen Spielstätten und allen Häusern: Allein aus dem Tresor der Mutter des Familienoberhaupts stellten die Steuerfahnder 4 Millionen und 557.810 Euro sicher. Söylemez wurde verhaftet und ging in Untersuchungshaft. Acht Monate später begann sein Strafprozess. Er ging über 35 Verhandlungstage. Am 6. Dezember 2019 dann das Urteil: Fünfeinhalb Jahre Gefängnis, bei einem festgestellten Steuerschaden von gut 19.600.000 Euro.
Game over? Nein, denn der rechtskräftig Verurteilte ist bis heute, gut zwei Jahre später, noch immer nicht zum Strafantritt erschienen. Fünf Tage nach seiner Verurteilung kam er auf freien Fuß. „Später beantragte er die Ladung in den offenen Vollzug“, erklärt Oberstaatsanwalt Dr. Gerhard Pauli, „die Prüfung des Antrags nahm einige Zeit in Anspruch.“ Am 30. Juli wurde schließlich der offene Vollzug abgelehnt und der sofortige Strafantritt in den geschlossenen Vollzug angeordnet.
Landgericht erlaubt Ausreise in die Türkei
Doch parallel dazu hatte das Landgericht ihm noch die Ausreise in die Türkei gestattet. „Zum Besuch seiner nachweislich schwer erkrankten Mutter“, so Dr. Pauli, „für zwölf Tage. Angeblich zog sich der Verurteilte dann in der Türkei eine Corona-Infektion zu“ und kehrte seitdem nicht mehr nach Deutschland zurück. Die Strafverfolgungsbehörden wissen genau, dass er sich in seinem Heimatdorf, auf dem Gebiet der Stadt Hinis im südöstlichen Teil der Türkei nahe der Grenze zum Iran aufhält. Denn er ruft regelmäßig seine zuständige Staatsanwältin in Hagen an.
Nach Informationen dieser Zeitung will er gerne nach Deutschland zurück. Aber nur unter der Bedingung, hier in den offenen Vollzug zu kommen. Darauf will sich die Staatsanwaltschaft Hagen aber nicht einlassen. Denn auch, wenn mit der Türkei kein Auslieferungsabkommen besteht, glaubt man sich hier am längeren Hebel. Dr. Pauli: „Inzwischen wird nach ihm mit Europäischem Haftbefehl gefahndet.“