Haspe. Die Gruppe „Hagen ist bunt“ hat als Verein einen Großteil der ehrenamtlichen Hilfe getragen und ist bis heute tragende Säule der Flüchtlingshilfe.
Als im Oktober 2014 die damalige Pegida-Bewegung ihre „patriotischen“ Märsche gegen die angebliche Islamisierung des Abendlandes in Dresden begann, war das in Hagen quasi die Geburtsstunde von „Hagen ist bunt.“ Fast sieben Jahre ist das her. In Hagen ging plötzlich ebenfalls eine Hagida-Bewegung auf die Straße und „Hagen ist bunt“ hielt mit einer Demonstration mit rund 1500 Leuten dagegen.
Es war eine Zeit inhaltlicher Extreme, die sich öffentlich entluden. Dort die Angst derer, die Islamisierung und Flüchtlingsströme fürchteten, auf der anderen Seite jene, die an Gastfreundschaft appellierten, Vielfalt hochhielten und als eine ihrer Botschaften verkündeten, dass dieses Land, diese Stadt in Not geratenen Flüchtenden eine Heimat bieten möge. „Und dann“, erinnert sich Nicole Schneidmüller-Gaiser, eine der Initiatorinnen von „Hagen ist bunt“ und Mitgründerin des sozialen Küchenstudios in Haspe, „kamen plötzlich viele Flüchtlinge. All das, worüber vorher theoretisch diskutiert wurde, war plötzlich praktisch.“
„Hagen ist bunt“ gab sich eine Vereinsstruktur. Und neben der Botschaft wurde nun auch praktische Hilfe organisiert. „Irgendwann stand meine Garage voll mit Dingen, die die Menschen spenden wollen, aber Flüchtlinge waren noch gar nicht in Hagen angekommen.“ Die Solidarität war groß, die dazugehörige Facebook-Gruppe wuchs rasant an. Während die Stadt Unterkünfte, Heime und Wohnungen entstehen ließ und auf Bürgerversammlungen in Gemeindehäusern gegen Ängste und Sorgen anredete, wurde das Lager der Helfenden immer größer. Heute gehören 5000 Leute der Facebook-Gruppe „Hagen ist bunt“ an.
Mehr als 4000 Menschen versorgt
Das soziale Küchenstudio in Haspe ist sieben Jahre später sozusagen immer noch die Manifestation dieser enormen Hilfsbereitschaft aus den Jahren 2014 und 2015, über die Nicole Schneidmüller-Gaiser sagt, dass ein Segen darauf gelegen habe, der sie für die nächsten 30, 40 Jahre froh machen werde. Allein bis Ende 2019 waren über 1800 Haushalte in das Küchenstudio gekommen, über 4000 Menschen wurden hier versorgt. Von Ehrenamtlichen wohlgemerkt. Von Hagenerinnen und Hagenern, denen ganz einfach am Herzen lag, dass die Geflüchteten an ihrem neuen Ort nicht ins Bodenlose fallen.
Deswegen sind die vielen gebrauchten und gut erhaltenen Küchenutensilien, die man hier kostenfrei bekommen kann, um sich einen neuen Hausstand aufzubauen, zwar die sichtbare und materielle Hilfe. Hinter den Regalen und Gegenständen und den Räumen, in denen Kochkurse und Begegnungen angeboten werden, weht aber ein viel stärkerer Geist: der von Menschlichkeit und Nähe. Vor der Pandemie hatte das Küchenstudio 44 Mitarbeiter, die Hälfte davon selbst Geflüchtete. In der Anfangszeit waren es arabischstämmige Menschen gewesen, die in die Einrichtung gekommen waren.
„Später haben uns die Osteuropäer entdeckt“, sagt Schneidmüller-Gaiser, die selbst gelernt hat, dass man die, die Hilfe suchen und annehmen nur einen Teil ihrer Zeit begleitet. „Man kann diesen Menschen nicht seinen Willen aufzwingen oder ihnen Richtungen vorgeben. Man muss sie zu einem gewissen Zeitpunkt auch wieder gehen lassen. Das gehört zu dieser ehrenamtlichen Aufgabe dazu“, sagt Schneidmüller-Gaiser.
Es gab auch Rückzüge
Es habe so viele Dinge gegeben, die die Mitarbeiter für die Betroffenen geklärt oder geregelt hätten. Sprachkurse, Behördengänge, das Kümmern um abgelaufene Führerscheine, Kontakt zu potenziellen Arbeitsstellen, simples Zuhören. Es hat auch mal geknackt zwischendurch. Es hat Mitarbeiter gegeben, die das Team verlassen haben, weil es im Laufe der ersten Jahre eine Veränderung der Fluchtgründe gegeben habe.
Vereinfacht gesagt wären Bombenflüchtlinge von Armutsflüchtlingen abgelöst worden. Inwiefern das eine wirklich fürchterlicher als das andere ist, ist eine höchst subjektive Wahrnehmungssache und kann auch etwas mit der Haltung von Helfenden machen. Über allem und auch über allen Abgängen habe dabei aber immer der Grundsatz geherrscht, dass man sich innerhalb von „Hagen ist bunt“ und auch in der Organisation des Küchenstudios gegenseitig aushalte. Nicole Schneidmüller-Gaiser: „Hier herrscht gegenseitiger Respekt“.
Wenn man mit den Helfern über Angela Merkels denkwürdigen Satz „Wir schaffen das“ aus dem Jahr 2015 spricht, dann fliegt einem kein unhinterfragtes Kopfnicken entgegen. „Wir haben sehr vieles geschafft, sehr viele Menschen integriert und vielen Chancen ermöglicht“, sagt Nicole Schneidmüller-Gaiser. „Alles kann man aber nicht schaffen. Nicht jeder hat eine Zukunftsperspektive. Es kommt auch darauf an, wie sehr sich die Geflüchteten selbst einbringen.“
Bis heute gebe es Schwierigkeiten in der Belegungspraxis von Wohnungen und Heimen, „Viele Menschen sind anfangs beispielsweise in Altenhagen gelandet, wo man sehr gut durchkommen kann, wenn man ausschließlich Arabisch spricht. Das hilft nicht bei einer guten Integration“, so Schneidmüller-Gaiser.
Und ein großes Thema bleiben in den Augen der Initiatoren die Hetze und der Fremdenhass. „Was sich in sozialen Netzwerken bis heute abspielt, ist oft menschenunwürdig“, sagt Schneidmüller-Gaiser und schlägt den Bogen zu den Anfangsmonaten ihrer eigenen Hilfsbewegung. Pegida mag in seiner damaligen Form so nicht mehr auf die Straße gehen. Noch lebendig sei es in den Köpfen vieler Menschen aber auf jeden Fall.
„Und auch deswegen treten wir jeden Tag aufs Neue an. Es geht doch letztlich um Nächstenliebe.“