Hagen. Drakonische Strafen für Lappalien: Während des Krieges regierten die Nazis besonders brutal. 50 Soldaten aus Hagen wurden Opfer der Militärjustiz.
Der Bauarbeiter Ernst Mayer (geboren 1907) wohnte mit seiner Familie in der Augustastraße 71 in Wehringhausen. 1941 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und als Kraftfahrer an der Ostfront eingesetzt.
Dort entwendete er vier Kilo Speck von einem Armee-Lastwagen, schickte einen Teil davon nach Hause und teilte den Rest mit seinen Kameraden. Ein Militärrichter verurteilte den Hagener deswegen zu einem Jahr Haft. Ein Gnadengesuch wurde abgelehnt, da Mayer angeblich kriminell veranlagt sei. Nach nur drei Monaten starb er im Konzentrationslager Esterwegen infolge der unmenschlichen Lebensbedingungen. Er wurde nur 34 Jahre alt und hinterließ eine Frau und zwei Kinder.
Fahnenflucht, Kriegsdienstverweigerung, Wehrkraftzersetzung
Das kurze Leben von Ernst Mayer steht exemplarisch für das Schicksal von mindestens 50 Hagener Soldaten, die während des Zweiten Weltkriegs von Militärrichtern verurteilt und nicht selten hingerichtet wurden. Fahnenflucht, Kriegsdienstverweigerung oder, wie im Falle von Ernst Mayer, „Wehrkraftzersetzung“ waren die gängigen Anklagen, die den Betroffenen zum Verhängnis wurden. „Wegen Lappalien drohten drakonische Strafen“, berichtet Pablo Arias, Geschichtslehrer am Rahel-Varnhagen-Kolleg.
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Arias hat mit Schülern des Kollegs die Biographien von Opfern und Tätern aus Hagen erforscht und in einer Ausstellung dokumentiert, die ab heute in der St.-Michael-Kirche an der Pelmkestraße zu sehen ist und in ebenso bewegender wie überraschender Weise Geschichte veranschaulicht. Weil die Menschen, die umgebracht wurden oder umbrachten, in Wort und Bild genannt werden.
Die Maschinerie des Todes
So wie Karl-Friedrich Schreiber. Der Erbe der ehemals bekannten Hagener Firma Teppich Schreiber (später Troost) wurde mit 18 Jahren eingezogen, aus unbekannten Gründen von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und enthauptet. „Die Militärrichter waren oft von dem Gedanken getrieben: Wir haben den Ersten Weltkrieg verloren, weil wir zu weich waren. Diesen dürfen wir nicht auch verlieren“, so Arias. Und tatsächlich: Allein 15.000 Deserteure wurden hingerichtet, während es im Ersten Weltkrieg insgesamt nur 48 deutsche Soldaten waren.
Dem tragischen Geschehen kamen die Schüler des Varnhagen-Kollegs, die bis dahin nur den Namen Karl-Friedrich Schreibers kannten, über eine Annonce in der Westfalenpost auf die Spur. Ein Neffe meldete sich und stellte den jungen Leuten Informationen über den ermordeten Onkel zur Verfügung.
Wehrmacht hatte eigene Justiz
Die Wehrmacht hatte eine eigene Justiz. Ziel der Militärrichter sei es gewesen, blinden Gehorsam und Disziplin durchzusetzen und jedes Zeichen von Widerstand zu bekämpfen, erläutert Arias. Die Angeklagten hatten keinen Verteidiger, das Strafmaß konnte willkürlich festgesetzt werden.
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Schon auf einen Witz über den Führer stand üblicherweise die Todesstrafe. „Je hoffnungsloser die Kriegslage wurde, desto mehr Todesurteile wurden gefällt“, sagt Arias. Die US-Amerikaner verurteilten dagegen im Zweiten Weltkrieg nur einen Soldaten zum Tode.
Auch Täter stammten aus Hagen
Auch unter den Tätern befanden sich Hagener, allen voran Herbert Osthaus, ein Halbbruder des berühmten Kunstmäzens Karl Ernst Osthaus. Herbert Osthaus, Notar und Anwalt, trat 1937 in die NSDAP ein und wurde während des Krieges an verschiedenen Militärgerichten eingesetzt. Osthaus verhängte 15 Todesurteile, zuletzt verurteilte er im Januar 1945 einen Soldaten aus „Erziehungs- und Abschreckungsgründen“ zum Tode. Nach dem Krieg arbeitete Osthaus wieder als Rechtsanwalt, er saß außerdem im Vorstand des Allgemeinen Krankenhauses Hagen (AKH).
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Oder Erich Biederbeck, der aus eigener Initiative in die Heeresjustiz übernommen wurde. Nach dem Krieg wurde er Mitglied der FDP, 1951 Hagener Stadtrat und Kulturdezernent und ab 1955 Stadtdirektor.
Oder Ludwig Schoetzau, der seit 1931 zu den Nazis gehörte und zum Notar ernannt wurde, ohne alle Voraussetzungen zu erfüllen. Als Rechtsanwalt und Notar war er bis 1994 in Hagen tätig und noch in den 80er-Jahren Ehrenvorsitzender des VfL Eintracht Hagen.
Den Opfern bzw. ihren Angehörigen wurde dagegen eine Entschädigung nach dem Krieg fast immer verwehrt.