Hagen. Wenn Flutopfer ihre Erlebnisse nicht verarbeiten können, entwickeln sie ein Trauma. Dr. Christian Dürich aus Hagen-Boele versucht zu helfen.

Christian Dürich (38) ist Chefarzt der Psychosomatik im St.-Johannes-Hospital Boele. Er bietet Opfern der Jahrhundertflut, die mit psychischen Folgeerscheinungen zu kämpfen haben, Hilfe an.

Inwiefern hat die Hochwasserkatastrophe die seelische Gesundheit der Betroffenen beeinflusst?

Christian Dürich: Ich kenne mehrere Geschichten von Menschen, bei denen es ums nackte Überleben ging. Um die Rettung von Menschenleben aus höchster Not.

Was macht das mit den Betroffenen?

Zum einen können lebensbedrohliche Erfahrungen ganz im klassischen Sinne traumatische Folgen, also seelische Verletzungen, haben. Ein Trauma entsteht zum Beispiel durch eine außergewöhnliche Bedrohung katastrophalen Ausmaßes, die bei jedem Menschen tiefreichende Verzweiflung hervorrufen würde. Und ein solches Erlebnis war die Flut für viele Menschen in Hagen. Und dann sind da noch die psychosozialen Folgen, die so weit reichen können, dass Betroffene den Alltag nicht mehr bewältigen können.

Bleiben wir zunächst bei den traumatischen Folgen. Wie äußern sich diese?

Es kommt zu Flashbacks, die die Flutopfer die schlimmen Erlebnisse, die sie hatten, noch einmal durchleben lassen. Ausgelöst werden diese durch Schlüsselreize, etwa starken Regenfall oder auch einen Gang in den damals überfluteten Keller. Wir sprechen von Triggern. Häufig treten Alpträume auf.

Was passiert dabei im Gehirn?

Nun, die Begegnung mit der Flut war ein Ereignis von solch emotionaler Intensität, das das nicht einfach abgelegt werden kann. Es findet Niederschlag im sogenannten impliziten Gedächtnis und wirkt so, als sei es nicht vergangen. Vielmehr kehrt es als Wiederholungs-Erinnerung mit Hier-und-Jetzt-Qualität zurück. Die Betroffenen können nicht innerlich abschließen damit und über die Flut nicht so reden wie etwa über eine Hochzeit oder ein berufliches Erlebnis.

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Und wie reagiert man darauf?

Viele Menschen bilden ein Vermeidungs- und Rückzugsverhalten aus, denn sie wollen natürlich nicht wieder mit der Angst und der Bedrohung, die sie als unkontrollierbar erlebt haben, konfrontiert werden. Sie gehen zum Beispiel nicht mehr in den Keller.

Reagieren alle Betroffenen so?

Ein Großteil der Betroffenen entwickelt nach einer solchen Katastrophe wie der Flut eine akute Belastungsreaktion, überwindet das Geschehen aber nach etwa vier Wochen. 20 bis 30 Prozent der Menschen entwickeln jedoch eine posttraumatische Belastungsstörung, die ohne Behandlung selten in den Griff zu kriegen ist.

Von welchen Faktoren ist es abhängig, wie ein Mensch reagiert?

Die größte Ressource, um schlimme Erlebnisse zu überwinden, sind gute Bindungen – eine intakte Partnerschaft und ein funktionierendes soziales Netz. Als Risikofaktoren gelten zurückliegende Traumata, psychische Vorerkrankungen, die Schwere des Ereignisses und ob man sich während der Katastrophe vom eigenen Selbst abgespalten hat, so als erlebe man das alles wie im Film.

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Und eine posttraumatische Belastungsstörung geht nicht von allein wieder weg?

Im Gegenteil, es besteht die Gefahr der Chronifizierung. Die Betroffenen brauchen eine professionelle Behandlung, um wieder alltags und lebensfähig zu sein. Diese besteht aus drei Schritten: stabilisieren, konfrontieren, integrieren.

Das müssen Sie genauer erklären.

In der ersten Phase geht es darum, dass die Patienten ihre äußere und innere Sicherheit zurückgewinnen. Wenn das gelungen ist, gehört es dazu, sich gezielt mit dem belastenden Ereignis, also der Flut, auseinanderzusetzen. Um es zu bewältigen, muss man es im deklarativen, biografischen Gedächtnis ablegen können. Schließlich akzeptiert man die Flut als Teil der eigenen Lebensgeschichte und macht sich daran, den Weg in den normalen Alltag zurückzufinden. Ziel der Traumatherapie ist es, dass die Vergangenheit Vergangenheit wird.

Glauben Sie, dass es noch immer Vorurteile gegen solche Therapien gibt?

O ja, leider ist die Reiß-dich-mal-zusammen-Mentalität noch weit verbreitet. Das macht es den Betroffenen schwer, Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn ihr Umfeld das Vorurteil pflegt, eine Psychotherapie sei etwas für Geistesgestörte. Das fördert nur die Gefahr, dass die Störung chronisch wird. Niemand muss sich scheuen, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wir stehen zur Verfügung, auch kurzfristig, das verstehen wir nicht zuletzt als Teil unseres Versorgungsauftrages für die Menschen in Hagen.