Eckesey. Eckesey ist ein Stadtteil unter dem Radar, oft bewertet als Migrantenviertel. Nach der Katastrophe lernen hunderte Helfer das Viertel neu kennen.

Es gibt viele abwertende Wortschöpfungen für diesen Stadtteil, die in Teilen des Hagener Volksmundes verankert sind. Mal abgesehen davon, dass sie diskriminierend sind, werden sie auch nicht dem gerecht, was den Stadtteil Eckesey ausmacht und was die Flutkatastrophe paradoxerweise an die Oberfläche gebracht hat. Der vermeintliche Stadtteil ohne Lobby und noch nicht mal einem Rats-oder Bezirksvertreter hat es integrativ zu viel mehr gebracht als die meisten Hagener wissen. Und er hat in den vergangenen Tagen eine Hilfsbereitschaft erfahren, mit der alteingesessene Eckeseyer im Leben nicht gerechnet hätten. Aus Stadtteilen, die sonst mit Eckesey keinerlei Berührungspunkte haben.

800 Menschen traten der Helfergruppe bis heute bei

Mitstreiter der Aktion „Wir helfen Eckesey“ bei einem Einsatz in dem schwer getroffenen Stadtteil
Mitstreiter der Aktion „Wir helfen Eckesey“ bei einem Einsatz in dem schwer getroffenen Stadtteil © Unbekannt | Patrick Gereke

Der Boeler Patrik Gereke (33) war vier Tage nach der Katastrophe in Eckesey. „Ich sah, dass dort niemand war, um zu helfen“, sagt der Vater einer Tochter, der als Einkäufer in einem Ladenbauunternehmen arbeitet. Er, der beim Boeler Brauchtumverein Loßröcke aktiv ist, der sich Zusammenhalt und Hilfsbereitschaft auf die Fahnen geschrieben hat, traf mit einigen Mitstreitern eine Entscheidung: Sie gründeten die Facebook-Gruppe „Wir helfen Eckesey“. 800 Menschen traten bei. Fortan halfen bis zu 30 Menschen pro Einsatzort oder Keller mit, überflutete Gegenstände an die Straßen zu transportieren.

Gereke koordinierte Einsätze, postete Adressen, schrieb Whatsapp-Nachrichten – und hunderte Helfer folgten. Nach Dienstschluss warfen sich die Helfer in Arbeitskleidung, wateten durch den Volme-Schlamm und schleppten. Als sie an einem der ersten Einsatztage einer völlig erschöpften Familie in der Herderstraße, die nicht mehr kann, erklären, dass es jetzt erst richtig losgehe, bricht die Familie in Tränen aus.

Hunderte Meter Müll türmen sich auf – Eckesey säuft ab

Menschen rücken an. Aus Bayern, aus Münster, aus Gelsenkirchen. Sie parken an der Schiller-, der Klopstock-, der Eckeseyer Straße und malochen vier, fünf Tage durch. Der Müll türmt sich hunderte Meter weit Richtung Innenstadt. „Aber was zwischen den Leuten entstand, das war so stark, dass es Hoffnung gibt“, sagt Patrik Gereke, dem an einem Tag im verschlammten Ortskern ein Mann in die Arme läuft, der sofort mit einer betroffenen Familie in den nächsten Supermarkt fahren möchte, um ihnen dort einen Einkauf zu bezahlen – „egal wie teuer er ist.“

Eckesey läuft politisch und stadtgesellschaftlich oft unter dem Radar. Verpönt als Migrantenstadtteil. „Aber das ist er doch schon Ewigkeiten nicht mehr auf menschlicher Seite. Viele erwachsene Türken, Marokkaner oder Italiener hier sind schon zusammen mit Deutschen zur Kita in Eckesey gegangen“, sagt die 52-Jährige Christina Rabe. „Es ist ein gewachsenes Miteinander der Kulturen und durch die Flut noch viel mehr.“ Nur weil sich nicht ein Einfamilienhaus an das andere reihe, heiße das nicht, dass es kein Zusammengehörigkeitsgefühl gebe. In der Wohnung unter Christina Rabe hat eine marokkanische Familie alles verloren, was sie hatte. „Ich leide so mit denen. Das kann sich niemand vorstellen.“

Was bleibt, wenn die Straßen und Keller wieder trocken sind?

Solidarität und Hilfe sind schnelle Effekte. Aber was bleibt? „Das ist die Frage, um die es mir persönlich auch geht“, sagt Patrick Gereke. Es seien Kontakte entstanden. Zum Beispiel zwischen Boelern und Eckeseyern, die sich oft fremd sind, obwohl nur ein Kilometer sie trennt und sie Teil desselben Bezirks sind. Was in Boele, im Volmetal oder in Hohenlimburg auch über Vereine und Institutionen abgefangen wird, ist in Eckesey nur noch in kleinem Maße vorhanden. „Es gab mal ein Stadtteilforum und zuletzt mit Sven Söhnchen auch einen Ratsvetreter. Aber es ist natürlich nicht mehr mit der weit zurückliegenden Vergangenheit zu vergleichen“, sagt Bezirksbürgermeister Heinz-Dieter Kohaupt, der als Kind in Eckesey aufwuchs. Politisch zuständig für Eckesey in der Bezirksvertretung ist nach dem politischen Rückzug des Eckeseyers Sven Söhnchen heute der Vorhaller Michael Erdtmann (CDU).

„Die Hilfseinsätze haben gezeigt, was in Eckesey geht“, sagt Kohaupt. Ob seine Bezirksvertretung auch das Thema Hochwasserschutz in Eckesey auf die Agenda setzen werde, lässt er noch offen.