Hagen. Dr. Anjali Scholten, Leiterin des Hagener Gesundheitsamtes, blickt im Interview auf ein Jahr Corona-Pandemie in Hagen.

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Die Öffentlichkeit betritt sie nicht gern. Man kann ihr Zurückhaltung attestieren. Vor allem aber konzentriert sich Dr. Anjali Scholten, die Leiterin des Hagener Gesundheitsamtes, auf das in ihren Augen wirklich Wesentliche: die Bekämpfung der Corona-Pandemie in Hagen. Scholten und ihr Team werden vielerorts geschätzt für ihre unermüdliche Leistung im vergangenen Jahr. Diese Arbeit trägt Früchte, führt bei Scholten selbst mit Blick auf das Privatleben aber auch zu Entbehrungen. Die Stadtredaktion blickt mit der Leiterin des Gesundheitsamtes zurück und fragt gleichzeitig nach der Zukunft. Scholten rät vor allem zu einem: zum Durchhalten. Ihrer Meinung nach steht man aktuell längst vor einer dritten Pandemie-Welle.

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Von Jennifer Schumacher, Michael Koch und Lokalredaktionen

Am Abend des 8. März 2020 wurde der erste Corona-Fall in Hagen bestätigt. Am nächsten Tag wurde dafür sogar eine Pressekonferenz einberufen. Zu dem Zeitpunkt waren Sie noch nicht Leiterin des Gesundheitsamtes, erinnern Sie sich trotzdem noch an diesen Tag? Hätten Sie da gedacht, dass sich die Situation mal so entwickelt?

Anjali Scholten: Ich kann mich sogar noch sehr gut daran erinnern. Meine Kollegin Antje Funke und ich waren im Anschluss an die Telefonate mit dem Indexfall zu der Familie gefahren, um dort noch spätabends Abstriche zu nehmen. Und: Nein, zum damaligen Zeitpunkt war die danach folgende Entwicklung sicher nicht absehbar.

Seit dem 1. Juni sind Sie offizielle Leiterin des Gesundheitsamtes. Ein Start mitten in der Krisenzeit. Wie war das für Sie? Welche Herausforderungen gab es?

Mein Vorteil war, dass ich Mitte Januar in der Abteilung für Hygiene und Infektionsschutz angefangen habe. Für uns alle war die Pandemie Neuland, und wir sind gemeinsam gewachsen. Als ich die Leitung antrat, wusste ich ein hochmotiviertes Team hinter mir.

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Wie ist ihr persönlicher Blick auf die Pandemie in Hagen? Was hat Hagen in dem Jahr gut gemacht? Was falsch?

Hagen hat sich zügig Hilfe geholt; auf diese Weise haben wir hervorragende Ergebnisse bei der Kontaktnachverfolgung erzielen können. Und wir haben eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, die über die normalen Einschränkungen im Rahmen der Coronaschutzverordnungen hinausgegangen sind. Gleichwohl hätten wir meiner Meinung nach in Deutschland insgesamt noch schneller und strikter in den Einschränkungen sein müssen.

Was halten Sie von der jetzt beschlossenen Öffnungsstrategie? Was fordern Sie von der Politik?

Jeder ist inzwischen coronamüde und wünscht sich Normalität. Gerade angesichts der Mutationen muss man jedoch sehr bedacht sein, wie man lockert. Ich würde mir wünschen, dass nicht anstehende Wahlen das Verhalten der Politik beeinflussen.

Seit einem Jahr arbeitet das Gesundheitsamt an der Belastungsgrenze. Wie ist die Situation jetzt, ist Entspannung in Sicht? Und wie viel Personal haben Sie jetzt im Vergleich zum ursprünglichen Zustand?

Es kommen immer wieder neue Aspekte. Die britische Mutation hat Hagen nicht nur erreicht, sondern dominiert die Zahl der Fälle. Dass wir mit weiteren Lockerungen nicht mit Entspannung rechnen können, kann sicherlich jeder nachvollziehen. Wir haben 21 Kameraden der Bundeswehr, zusätzlich haben wir aktuell noch ca. 50 extra für die Pandemie eingestellte Personen. Dazu kommen die im Rahmen der Amtshilfe im Gesundheitsamt tätigen städtischen Mitarbeiter, welche jedoch infolge von originären Tätigkeiten nach und nach wegbrechen.

Wie hat Sie persönlich die Coronazeit verändert?

Man wächst an seinen Anforderungen und merkt, wie belastbar man ist.

Was vermissen Sie persönlich am meisten?

Zeit mit und für meine Familie. Meine Kinder gehen zur Grundschule und sehen ihre Lehrer bzw. Betreuer länger pro Tag als ihre Mutter.

Ein Ausblick: Es gibt Hoffnung, die Impfungen laufen, seit Montag werden weitere Berufsgruppen geimpft, ab Ende März/April auch Impfungen von den Hausärzten durchgeführt. Haben Sie Hoffnung, angesichts der weiterhin zu hohen Inzidenzen und der Mutationen, die sich in der Bevölkerung ausbreiten? Und befürchten Sie eine große dritte Welle?

Vor dem Beginn einer dritten Welle stehen wir meiner Meinung nach schon. Meine Hoffnung ist, dass wir durch die zunehmende Zahl der Geimpften (insbesondere der älteren Bevölkerung) einen guten Schritt in Richtung Normalität gehen. Wir merken, dass infolge der Impfungen in den Heimen die Ausbrüche in jedem Fall deutlich gesunken sind. Sobald der Großteil der Bevölkerung geimpft wurde, sollte eine Infektion mit dem Virus zu einer beherrschbaren Erkrankung werden können.

Was wollen Sie den Hagener Bürgern jetzt mit auf den Weg geben? Worauf kommt es in den nächsten Wochen oder Monaten an, damit wir zur Normalität zurückkehren können?

Die Hagener Bevölkerung hat ohne großes Murren viele Einschränkungen über sich ergehen lassen. Ich möchte zum Durchhalten aufrufen. Mit zunehmender Zahl der geimpften Personen sowie der Aussicht auf mildere Temperaturen, die einen Aufenthalt im Freien wieder erleichtern, sollte eine gewisse Normalität einkehren – auch wenn wir uns darauf einstellen sollten, auch weiterhin Hygienemaßnahmen einzuhalten.

Mit Dr. Anjali Scholten sprach Laura Handke

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