Hagen. Die finanzielle Lage vieler Hagener ist ernst: 19.000 Bürger können ihre Zahlungsverpflichtungen nicht begleichen. Ein Einblick in die Viertel.

Corona hat die Schulden vieler Hagener Familien noch einmal in die Höhe getrieben. Der Schuldneratlas für die Stadt zeigt in unserer Grafik dabei besonders im Vergleich zu umliegenden Städten, wie ernst die finanzielle Lage vieler Bürger in Hagen ist.

In Vorhalle, Wehringhausen, Altenhagen und Haspe zum Beispiel sind bis zu 20 Prozent und mehr der Familien so überschuldet, dass die Summen fälliger Zahlungsverpflichtungen nicht mehr beglichen werden können und zur Deckung des Lebensunterhalts weder Vermögen noch Kreditmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Über 19.000 Menschen trifft das in Hagen insgesamt.

Die Datengrundlage stammt aus einer großen Analyse der Unternehmensgruppe Creditreform, die die bundesweite Überschuldungslage herausarbeitet und in den Kommunen bis in die Stadtbezirke aufschlüsselt. Die Stadtredaktion hat die großen Schuldnerberatungen der Stadt damit konfrontiert und die lokalen Daten angefragt.

„Wir stellen auf jeden Fall fest, dass es einen coronabedingten Anstieg an Beratungen gibt“, sagt Heike Obereiner von der Schuldnerberatung der AWO. Ganz konkret zahlentechnisch werde sich das erst 2022 auswirken, aber schon jetzt zeige sich, wie viele private Finanzkonzepte zusammenfallen, weil die Familien von Kurzarbeit betroffen sind.

Durchschnittshaushalt hat 3401 Euro

Bis zu 30.000 Menschen sind davon in Hagen potenziell betroffen. 3401 Euro stehen einem Durchschnittshaushalt in Hagen netto laut Landesamt für Statistik monatlich zur Verfügung. Und 2745 Euro gibt der Durchschnittshaushalt in Hagen für den privaten Konsum aus. Man sollte also annehmen, dass da sogar noch Sparpotenzial für viele Haushalte drin ist.

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Aber die Rahmenbedingungen in Hagen sind weitaus schlechter als in vielen umliegenden Städten. Mehr als 30.000 Hagener beziehen Leistungen aus den Sozialkassen für ihren Lebensunterhalt. 16 Prozent der Gesamtbevölkerung Hagens. In Hagen leben knapp 3800 Menschen, die Grundsicherung beziehen oder von einer Erwerbsminderung betroffen sind. Die Arbeitslosenquote kratzt ständig an der 12-Prozent-Marke.

Und hinzu kommen belastende Faktoren wie die, die Stadtredaktion thematisch zuletzt aufgegriffen hat. Auf über zehn Prozent der Krankschreibungen in Hagen stehen psychische Belastungen, und die Scheidungsquote droht durch die Pandemie im Hagener Mittelschichtsmilieu, aber auch in wohlhabenderen Bereichen stark zu steigen.

Weniger Überschuldungen im Norden

Im nordöstlichen Bereich der Stadt – auf Emst, in Fley, in Garenfeld und Berchum – sieht die Lage am besten aus. Hier stehen höchstens knapp über fünf Prozent der Haushalte vor einer Überschuldung. In den eingangs genannten Vierteln sind es teilweise bis zu 24 Prozent. In Boele und Hohenlimburg sind es zehn bis 15 Prozent der Einwohner.

Als armutsgefährdet gelten Personen übrigens, wenn sie mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung auskommen müssen. In Hagen liegt die Armutsgefährdungsquote bei 17 Prozent aller Einwohner – ein sehr ernstzunehmender Wert.

Überschuldungsquote droht, zu steigen

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Zur besseren Vorstellbarkeit: Die Schwelle der Armutsgefährdung liegt in Hagen bei 1042 Euro. Frische Schuldner-Jahresberichte für das Jahr 2020 sind in Hagen aktuell noch in Mache. Bereits 2019 zeigte sich aber schon, dass viele Betroffene aus dem Einkommensbereich von bis zu 1600 Euro monatlich stammen. Hauptsächliche Gründe für die Überschuldung – sowohl laut AWO als auch laut städtischer Schuldnerberatung – sind Arbeitslosigkeit, Krankheit (zunehmend psychische Erkrankungen) und Trennungsfälle.

Bestätigt sich das, was Familienrechtler Dr. Norbert Kleffmann gegenüber unserer Zeitung bereits im Oktober andeutete, dann wird auf Hagen coronabedingt eine Scheidungswelle zurollen, was die Betroffenen zwingen wird, sich finanziell neu aufzustellen oder kleiner zu fahren.

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Die Überschuldungsquote droht dann weiter zu steigen. „Wir können aktuell auch noch nicht scharf sagen, wie viele Hagener in eine Privatinsolvenz rutschen werden“, sagt Schuldnerberaterin Heike Obereiner. Denn viele Hagener hätten die Insolvenzreform zum Ende vergangenen Jahres abgewartet. Der Bundestag hat im Dezember das sogenannte Restschuldbefreiungsverfahren verkürzt. Mit Blick auf die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie sollen Schuldner künftig schneller die Möglichkeit zum Neuanfang erhalten.

Befreiung in drei Jahren

Mit dem Instrument der Restschuldbefreiung können Schuldner von nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber ihren Gläubigern befreit werden – nun in drei statt bislang sechs Jahren. Laut AWO-Schuldner-Bericht hatten die betroffenen Hagener zuletzt stets bis zu fünf Gläubiger durchschnittlich.