Hagen. Vor allem in diesem Hagener Mileu hat Corona viele Beziehungen in die Knie gezwungen. Auf das Familiengericht wartet viel Arbeit.

In Hagen zeichnet sich angesichts der Corona-Pandemie eine regelrechte Scheidungswelle ab. Vor allem in Milieus, die der Hagener Familienrechtler Dr. Norbert Kleffmann als „weniger privilegiert“ bezeichnet. Geringere Einkommen, kein Haus, kein Garten. Nach Urlaubs- und Ferienzeiten kommt es immer schon zu Trennungswellen. Das war schon immer so. Die Zwangsnähe in den Beziehungen stellt die Paare letztlich vor Konflikte, die sie nicht mehr bewältigen können. Deutschlandweit zerbrechen so jährlich nach den Sommerferien laut Statistischem Bundesamt 100.000 Beziehungen.

Früher wurden Tage nach den Ferien als Scheidungstage geblockt

Seit über 30 Jahren ist Norbert Kleffmann Rechtsanwalt. Seit vielen Jahren spezialisiert auf das Familienrecht. Die Kanzlei liegt am Bergischen Ring. Erst jüngst kürte sie das Magazin Fokus zu den besten Familienrechtlern Deutschlands. Neben dieser gibt es übrigens 35 weitere Anwälte oder Kanzleien in Hagen, die das Feld des Familienrechts bearbeiten. „Früher konnte man sich die Tage nach Weihnachten und den Sommerferien blocken, um Scheidungssachen zu bearbeiten“, erinnert sich Kleffmann. Jetzt rollt eine ganze Welle an Scheidungen auf die Kanzlei zu.

Der Hagener Familienrechtler Norbert Kleffmann hat auch durch Corona alle Hände voll zu tun.
Der Hagener Familienrechtler Norbert Kleffmann hat auch durch Corona alle Hände voll zu tun. © Archiv

Corona habe das Korsett vor allem für viele Mittelschichtsfamilien in Hagen so eng geschnürt, dass großes Konflikt-Potenzial bestehe. Wer kaum Bewegungsfreiheit im Lockdown hatte, hockte zu Hause aufeinander. Die Kinder gingen nicht in die Schule. Dabei der Versuch, im Homeoffice zu arbeiten. Gravierender noch: Die potenziell 34.000 von Kurzarbeit betroffenen Hagener haben bedeutend weniger Geld in der Tasche. „Und wenn es finanziell eng wird, scheitern viele Beziehungen“, weiß Familienrechtler Kleffmann.

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An der Statistik kann man diese Krisenzeiten ablesen. Seit 2012 war die Scheidungsquote in Hagen jedes Jahr rückläufig zuletzt. In den Spitzen der Finanzkrise und der Eurokrise aber, in den Jahren 2009 bis 2011 kletterte diese Zahl auf bis zu 532 Scheidungen pro Jahr. 2019 war der vorläufige und erfreuliche Tiefpunkt erreicht: 371 Scheidungen. Das deckte sich mit dem Landestrend.

Nun liegt die Auswertung des Statistischen Landesamtes für 2020 logischerweise noch nicht vor. Aber in den Familienrechtskanzleien stapeln sich die Akten der Scheidungsmandanten.

Scheidungs-Effekt kommt Anfang nächsten Jahres statistisch erst zum Tragen

Die Deutsche Presseagentur hatte zuletzt ins Land hineingehorcht. Demnach erwarten die Familienrechtler in der gesamten Republik einen Scheidungsansturm. In Kleffmanns Kanzlei liegen in diesem Jahr bereits über 500 Familiensachen auf dem Schreibtisch. Nicht alle, aber eine Vielzahl davon, sind Scheidungen. Kleffmann berichtet von einer Richterin aus dem Ruhrgebiet, die auch samstags Verhandlungstermine ansetzt. „Und alles, was durch Corona wirklich an Beziehungen zusammengekracht ist, kommt als Effekt erst noch zum Ende des Jahres oder zu Beginn des neuen Jahres“, sagt der Anwalt.

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Es geht um Millionen bei den Trennungen von Unternehmerpaaren

Kleffmann beobachtet die coronabedingte Scheidungsflut nicht ausschließlich im weniger privilegierten Milieu, sondern auch im Dunstkreis von Unternehmensinhabern, auf die der Druck hoch ist und die Corona fast in die Knie zwingt. „Da hängen an solchen Scheidungen Eheverträge und es geht um Millionen. All das bringt diese Krise gerade hervor“, so der Rechtsanwalt und Notar. Die durchschnittliche Ehedauer in Hagen lag zuletzt bei 14,8 Jahren.

Kein Anstieg von häuslicher Gewalt in Hagen zu verzeichnen

Während die Zahl der Scheidungen steigt, bleibt die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt in Hagen während der Coronakrise insofern unauffällig, als dass keine Steigerung zu sehen ist. Laut Hagener Polizei werden durchschnittlich 30 Fälle pro Monat verzeichnet.

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Eine Scheidungsklage laut Hagener Amtsgericht erst eingereicht werden, wenn die Ehepartner ein Trennungsjahr hinter sich haben. „Da die Coronakrise noch kein Jahr andauert, können coronabedingte Scheidungsverfahren bei uns noch nicht anhängig sein“, erklärt Amtsrichter Christian Dembowski auf Anfrage.

Die Familien-Abteilung am Amtsgericht ist mit viereinhalb Richterstellen besetzt. Alle eingehenden Verfahren würden turnusmäßig verteilt. „Die Frage, wie schnell terminiert und verhandelt werden kann, ist leider nicht zu beantworten. Das Amtsgericht verfügt über rund 30 Richter. Die Handhabung der Richter ist unterschiedlich. Manche terminieren mit größerem zeitlichen Vorlauf, manche kurzfristiger, manche haben viele kleinere Verfahren, manche wenige, dafür größere Verfahren“, so Dembowski.

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