Hagen. Obwohl das Thema Corona das Leben in den Stadt dominiert, sieht OB Schulz viele weitere Aufgaben. Im Interview benennt er seine Schwerpunkte.

Das Jahr 2020 wird für alle Hagener in bleibender Erinnerung bleiben. Insbesondere auch für Oberbürgermeister Erik O. Schulz, der neben seiner Rolle als Verwaltungschef auch die Leitung des Corona-Krisenstabes übernahm. Außerdem stellte der 55-Jährige sich parallel auch noch erstmals zur Wiederwahl. Im Interview liefert er einen ganz persönlichen 2020er-Rück- und Ausblick auf das bereits angelaufene Jahr 2021.

Frage: Jede Ihrer Amtszeiten beginnen Sie als Krisenmanager: 2014 mussten Sie als Enervie-Aufsichtsratsvorsitzender das städtische Tochterunternehmen vor der Insolvenz retten, jetzt kümmern Sie sich als Leiter des Krisenstabes um die Corona-Pandemie. Welches Thema hat Sie mehr schlaflose Nächte gekostet?

Erik O. Schulz: Die Enervie-Krise und später auch die Flüchtlingsbewegung haben die eine oder andere schlaflose Nacht bereitet. Aber die Corona-Pandemie ist damit nicht zu vergleichen. Sie ist bislang die mit Abstand größte Herausforderung im Amt, da sie ausnahmslos alle Lebensbereiche in unserer Stadt umfasst. Sie braucht Mut, kostet oft Nerven und dabei ist das bescheidene Ziel kein glanzvolles Projekt, sondern „nur“ die Rückkehr zur Normalität. Ich bin wirklich froh, dass wir im Krisenstab viele kompetente Experten haben; wir arbeiten sehr effizient und vertrauensvoll zusammen und wissen um unsere Verantwortung für die Gesundheit der Hagenerinnen und Hagener. Wir erleben es jeden Tag: Bei der Corona-Pandemie geht es für viele Menschen sprichwörtlich um Leben oder Tod!

„Vorwurf der Vertuschung ist abenteuerlich“

Warum schweigt sich die Stadt Hagen – im Gegensatz zu den Nachbarkommunen – zum Pandemiegeschehen in den einzelnen Stadtteilen und in den gesellschaftlichen Gruppen aus? Viele Bürger vermuten hier eine Vertuschungsstrategie…

Wir verschweigen gar nichts! Der Vorwurf der Vertuschung ist abenteuerlich. Im Gegenteil: Wir informieren stetig und umfassend über alle wesentlichen Fakten rund um das Pandemiegeschehen. Wir geben täglich Zahlen raus, wir erläutern die aktuell geltenden Regeln, erklären Entscheidungen und ich selbst richte mich regelmäßig unter anderem auch mit Videos an die Menschen in Hagen, um zu erklären, um für Verständnis zu werben, um zu appellieren. Zusätzlich geben wir an der Hotline und in den sozialen Medien ganz viele Antworten auf ganz viele wichtige Fragen. Und wir freuen uns, dass die Mehrzahl der Menschen uns eine gute Informationspolitik in der Pandemie bescheinigt.

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Warum fehlt es in Hagen dennoch an der täglichen Transparenz hinsichtlich der Krankenhaus-Auslastungen, der Corona-Situation in den Altenheimen sowie der Intensivbetten-Auslastung?

Ich sage es noch mal: Wir berichten täglich, aber Transparenz muss auch eine valide Grundlage haben. Beispiel: Wir teilen Ihnen mit, dass im Krankenhaus XY um 11 Uhr noch 20 Betten frei sind, drei davon im Intensivbereich. Um 17 Uhr hat diese „Wasserstandsmeldung“ vom Vormittag keinerlei Aussagekraft mehr, weil inzwischen fünf Intensivpatienten über den Rettungsdienst angefahren wurden und zwei von ihnen an andere Krankenhäuser verwiesen werden mussten. So sieht das alltägliche Geschehen aus. Welche Transparenz erzeugt also die 11 Uhr-Aussage? Keine! Sie kann immer nur eine Momentaufnahme sein. Und unsere regelmäßigen Informationen über die Corona-Situation in den Altenheimen, den Schulen und den Kitas sind Gegenstand der täglichen Berichterstattung in den heimischen Medien.

„Wir müssen immer das Augenmaß bewahren“

An welchen Stellen haben Sie es rückblickend verpasst, Hagen schon frühzeitig aus der Hotspot-Situation (200er-Inzidenz) wieder herauszuführen? Hätte nicht viel öfter konsequenter gehandelt werden müssen – notfalls auch ohne den Segen aus Arnsberg und Düsseldorf?

Mit dieser Frage nehmen Sie die Antwort bereits vorweg. Aber um eine Stadt „aus der Hotspot-Situation herauszuführen“ gibt es keine einfache Lösung. Wir haben von Beginn an sehr konsequent gehandelt, wir haben vielfach früher und strenger als andere reagiert und sind dabei zum Teil deutlich über die Einschränkungen der Coronaschutzverordnung hinausgegangen: Wir haben unsere Bäder früher geschlossen, wir haben Sperrstunden verfügt, wir haben die Maskenpflicht in der Fußgängerzone, in der Grundschule und in der Kita eingeführt. Wir haben das Personal in den Pflegeheimen häufiger getestet. Zuletzt haben wir für Silvester ein Böllerverbot erlassen. Kurzum: Man kann leichtfüßig immer „noch mehr“ fordern. Unsere Aufgabe als Krisenstab aber ist es, bei unserem Tun immer auch das Augenmaß zu bewahren. Wir haben die Verantwortung für alle Bürgerinnen und Bürger. Und dessen sind wir uns sehr wohl bewusst. Und noch ein Satz zum „Segen aus Arnsberg und Düsseldorf“: Wir waren und sind bislang bestens beraten, uns den Herausforderungen der Corona-Pandemie im Miteinander und nicht im Gegeneinander zu stellen. Zudem geht es nicht darum, sich irgendwo „den Segen“ zu holen; es geht darum, die Regeln der Rechtsstaatlichkeit zu beachten. Dazu sind wir verpflichtet.

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Einer Ihrer persönlichen Höhepunkte des Jahres 2020 dürfte Ihre Wiederwahl im September gewesen sein. Mit einem „Sieben-auf-einen-Streich-Sieg“ konnten Sie sich gegen Ihre Mitbewerber klar durchsetzen. Inwieweit hat Ihnen dabei die alles überdeckende Pandemie-Situation in die Karten gespielt?

In der Tat habe ich mich auch persönlich sehr über den deutlichen Wahlsieg gefreut. Ich hatte etwa doppelt so viele Stimmen wie mein stärkster Gegenkandidat. Ich denke schon, dass Menschen in der Pandemie vielleicht mehr als sonst auf Stabilität und Bewährtes setzen und mir dies möglicherweise als Amtsinhaber zugutegekommen ist. Aber wollen Sie den Vorsprung von über 15.000 Stimmen ernsthaft mit der Pandemie erklären? Ich jedenfalls werte das Votum der Bürger als deutliche Bestätigung meiner Arbeit.

„Wahlbeteiligung nicht zufriedenstellend“

Die Wahlbeteiligung von gerade mal 42 Prozent war erschreckend schlecht und untergräbt die Legitimation der Politik. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen ziehen Sie aus diesem Signal des bürgerschaftlichen Desinteresses?

Vorweg: Ja, die Wahlbeteiligung war schlecht. Nein, die Legitimation der Politik wurde damit nicht untergraben! Diese Wahlbeteiligung darf uns natürlich nicht zufriedenstellen. Sie hat viele Ursachen. Politik muss bei den Menschen ankommen, ihre Lebenslagen ernst nehmen. Viele gesellschaftliche Gruppen haben vergleichbare Probleme, die Menschen zu erreichen. Denken Sie an den Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften, den Kirchen und Parteien; und auch die seit Jahren rückläufigen Druckauflagen der Tageszeitungen bestätigen diesen Trend. Daher müssen wir alle gemeinsam versuchen, die Menschen wieder besser zu erreichen. Und erlauben sie mir die Anmerkung: Die Medien haben neben der Rolle der kritischen Berichterstattung auch eine Verantwortung, das Zutrauen der Menschen in Politik und Verwaltung zu stärken.

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Über Jahrzehnte waren Sie SPD-Mitglied, bis die Herren Schisanowski und Krippner Ihre OB-Kandidatur nicht zuließen. Jetzt möchte der SPD-Parteichef statt René Röspel in den Bundestag. Wie blicken Sie inzwischen auf die Situation bei den Hagener Genossen?

Bitte sehen Sie es mir nach, ich habe aktuell wirklich andere Sorgen, als mich um die inneren Angelegenheiten oder die Zustände bei der Sozialdemokratie zu kümmern, daher will ich das nicht kommentieren.

Welche Hagener Errungenschaften der jüngeren Vergangenheit schreiben Sie sich bilanzierend auf ihre persönliche Haben-Seite?

Ich glaube, unsere Bilanz der letzten Amtsperiode kann sich sehen lassen, das hat die Mehrheit der Bürger mit der Wahlentscheidung bestätigt. Aber es geht aktuell weniger um „Errungenschaften“ und erst recht nicht um das Herausstellen persönlicher Erfolge. Viel wichtiger ist, dass wir entscheidende Erfolge gemeinsam erreicht haben und diese von deutlichen Mehrheiten getragen werden. Ich finde, das ist mir recht ordentlich gelungen. Bei der Entwicklung am See genauso wie bei der aktuellen Erarbeitung der Wachstumsinitiative für Hagen. Und ich werde diesen breiten Konsens auch beim anstehenden Umbau der Wirtschaftsförderung und den anstehenden Projekten zur Stadtentwicklung anstreben.

„Stadtentwicklung steht nicht still“

An welchen Projekterfolgen möchten Sie sich als OB bis 2025 messen lassen?

Der Kita-Ausbau muss konsequent weitergeführt werden, die Schulentwicklung, die wir auf den Weg gebracht haben, muss umgesetzt werden, wir müssen dem eingeleiteten Planungsprozess am Hengsteysee eine sichtbare Entwicklung folgen lassen, der Umbau der Wirtschaftsförderung muss uns gelingen und die INSEK müssen für eine spürbare Belebung der Quartiere führen.

Wie erklären Sie den Menschen in einigen Bezirken, dass Stadtentwicklung bei ihnen vor der Haustür faktisch erst dann wieder stattfindet, wenn Sie im Rahmen des INSEK an der Reihe sind und die Gelder dafür fließen?

Woher rührt Ihr Pessimismus? Stadtentwicklung steht doch nicht still, nur, weil die Stadtteilkonzepte noch in der Mache sind. Das sehen wir beispielsweise in den Stadtzentren, wo wir gerade erfolgreich über 800.000 Euro an Fördermitteln für die Attraktivierung der Hagener City eingeworben haben sowie jeweils knapp 100.000 Euro für Haspe und Hohenlimburg, das sehen wir auch im Norden, wo es am Hengsteysee losgeht. Die Entwicklungskonzepte für die Stadtteile sind wichtig, aber während ihrer Erarbeitung ruht keineswegs die Stadtentwicklung.

„Trotz Corona den Blick aufs Positive richten“

Schreiben wir in Hagen nicht viel zu viele Konzept- und Projektpapiere, kommen aber – beispielsweise bei Klima und Verkehr – faktisch viel zu zögerlich in die Umsetzung?

Erst kritisieren Sie wortreich, dass Projekte ohne zugrundeliegende Strategie angegangen werden, jetzt wird ein Zuviel an Konzepten bemängelt. Ich bin überzeugt, dass wir mit dem ISEK einen notwendigen strategischen Orientierungsprozess durchlaufen haben. Wir haben klar definiert, wo wir mit der Stadt hinwollen. Konzepte sind bei begrenzten Mitteln immer auch Prioritätensetzungen. Und mit dem Masterplan Mobilität haben wir bewiesen, dass den „Papieren“ auch zügig Taten folgen, er hat schließlich zu einem Plus von 3 Millionen Euro für den ÖPNV in Hagen geführt.

2014 als Parteiloser zum OB gewählt

Erik Olaf Schulz ist 55 Jahre alt, verheiratet und Vater von zwei Kindern im Alter von 23 und 28 Jahren.

Der gebürtige Hagener besuchte zunächst die Grundschule Delstern und legte sein Abitur 1985 am Fichte-Gymnasium ab.

Sein beruflicher Werdegang führte ihn von der Personalwirtschaft der Stadt Hagen zum damaligen Amt für Wirtschaftsförderung und von dort zur Agentur-Mark.

Als Geschäftsführer der Agentur-Mark trat Schulz im Jahr 2014 als parteiloser Bewerber mit der Unterstützung von CDU, Grünen und FDP erstmals als Hagener Oberbürgermeister-Kandidat an.

Er konnte sich letztlich in der Stichwahl gegen seinen SPD-Konkurrenten Horst Wisotzki durchsetzen. 2020 gelang ihm die Wiederwahl gleich im ersten Wahlgang.

Es wird kurzfristig einen Umbruch im Dezernenten-Kollegium geben. Das Umweltressort wird gerade neu besetzt, und auch Frau Kaufmann wird ihren 2022 auslaufenden Vertrag nicht verlängern. Was erwarten Sie von den neuen Kollegen, welche Qualitäten und Profile sollten diese mitbringen?

Ich erwarte von Dezernenten vor allem strategisches Denken, ausgeprägte Führungsqualitäten und Durchsetzungsvermögen sowie die Fähigkeit, im Team erfolgreich zu sein.

Warum war 2020 für Hagen nicht bloß ein Seuchen-Jahr?

Natürlich droht Corona alles zu überblenden und dämpft die Stimmung. Umso mehr tut es uns allen gut, gerade auch den Blick aufs Positive zu richten. Schließlich haben wir auch jenseits der Pandemie wichtige Entscheidungen getroffen: für eine gute Schullandschaft, für eine bessere Kitaversorgung, für eine positive Entwicklung am See. Und parallel dazu verbindet uns alle natürlich die Hoffnung, mit den Impfungen ein Stück Normalität zurückzugewinnen.