Hagen. Viele Hagener trauen sich aktuell nicht in die Kliniken aus Angst vor einer Ansteckung. Die Mediziner warnen deutlich vor dieser Entwicklung.

Es ist ein typischer Fall, von dem die Dame am Telefon erzählt. Weil sie warnen will vor einer Entwicklung, die auch Medizinern große Sorge bereitet. Sie hat ihre Mutter mit Schlaganfall-Symptomen in eine Klinik gebracht. Die, über 80 Jahre alt, hat sich allerdings selbst wieder entlassen, sich in ein Taxi gesetzt und ist damit nach Hause gefahren. Sie hatte Angst, in der Coronazeit in einer Klinik behandelt zu werden. Angst, sich mit dem vor allem für ältere Menschen tödlichen Virus zu infizieren. 14 Tage blieb sie in den eigenen vier Wände. Dann wurde sie wieder eingeliefert – mit einem Rettungswagen, als Notfall, Lebensgefahr.

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„Ja“, sagt Prof. Wolfgang Timmermann, ärztlicher Direktor am Allgemeinen Krankenhaus, als er von diesem Fall erfährt. „Wir kennen diese Ängste, diese Sorgen. Dabei ist es wichtig, dass die Menschen auch jetzt Praxen und Kliniken aufsuchen.“ Das aber, so ist auch der Eindruck des Experten, tun sie gerade nicht. „Über die Weihnachtstage haben wir das in einem besonderen Maße festgestellt. Da haben Patienten teils akute Entzündungen von Blinddarm und Gallenblase verschleppt.“

„Jetzt ist die Gefahr groß, dass sie diesen Arztbesuch immer weiter aufschieben“

Dahinter stecke auch die Frage, wann Menschen überhaupt medizinischen Rat suchten. „Wenn ich von der Leiter falle und mir ein Bein breche, dann ist völlig klar, dass das behandelt werden muss“, sagt Wolfgang Timmermann, „aber wenn Menschen plötzlich ein Drücken oder ein Ziehen verspüren, dann wären sie früher zu einem Hausarzt gegangen, um das abklären zu lassen. Jetzt ist die Gefahr groß, dass sie diesen Arztbesuch immer weiter aufschieben.“

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Ein klassisches Beispiel ist für den Mediziner ein Ziehen im Brustbereich. „Das mag damit zu tun haben, dass man in der Nacht unglücklich gelegen hat“, so Timmermann. „Es kann aber auch ein Zeichen für einen Herzinfarkt sein. Für Laien ist es schwierig, Beschwerden richtig einzuordnen. Dazu sind ja Mediziner da.“

Ähnliche Gefahren sieht Timmermann auch im Bereich der Vorsorge

Daneben spielt auch die Reduzierung von Kontakten gerade bei älteren Menschen eine Rolle. „Da stellt sich zunächst die scheinbar banale Frage: Wie komme ich überhaupt zum Arzt“, so Wolfgang Timmermann. „Und schon an dieser Stelle werden einige Patienten scheitern.“

Ähnliche Gefahren sieht der Mediziner auch im Bereich der Vorsorge. „Da haben wir in Deutschland ein System auf hohem Niveau etabliert“, so Wolfgang Timmermann, „jetzt aber reden wir bald über ein ganzes Jahr, in dem die Patienten die Termine nicht so wahrnehmen, wie wir das eigentlich kennen. Wir fürchten, dass das erhebliche Auswirkungen hat.“

Gleichzeitig gibt es natürlich Notfälle, bei denen es nicht in Frage kommt, Eingriffe zu verschieben

Die Sorgen der vielen Hagener kann Timmermann durchaus verstehen. Deshalb versuchen er und seine Kollegen, dem entgegenzuwirken. „Wir haben hohe Hygienestandards, die eingehalten werden“, so der ärztliche Direktor, „daneben vermitteln wir Patienten ein Gefühl der Normalität. Bei den erforderlichen medizinischen Maßnahmen, die wir einleiten, gibt es keinen Unterschied zur Vor-Coronazeit.“

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Wenn ein Patient nachfrage, ob eine Operation verschoben werden kann, so kläre man ihn über mögliche Risiken auf. Gleichzeitige gebe es natürlich Notfälle, bei denen es nicht in Frage käme, Eingriffe zu verschieben. „Da muss dann der Arzt entscheiden.“

Sonderlob für das Krisenmanagement des Hagener Gesundheitsamtes

Die Auslastung des Allgemeinen Krankenhauses ist in der Corona-Zeit um 20 Prozent gesunken.

Das hat auch damit zu tun, dass in der Klinik bestimmte Bereiche geschaffen werden mussten, um sowohl auf der Intensivstation als auch in den anderen Bereichen die Corona-Patienten zu separieren.

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Hinzu kommt, dass auch das medizinische Personal an Grenzen gerät, weil die Pflege und Behandlung von Corona-Patienten unter Einhaltung aller Hygienestandards mit einem extrem hohen Aufwand verbunden ist.

Daneben sieht Wolfgang Timmermann die Gefahr, dass die Corona-Pandemie die Entwicklung in Kliniken ausbremse. „Corona dominiert das Denken in vielen Bereichen.“

Ausdrücklich lobt der Hagener Mediziner die Stadt und die Leiterin des Gesundheitsamtes, Dr. Anjali Scholten, für ihr Krisenmanagement in der anhaltenden Corona-Zeit.