Hagen. Für einen Giftgas-Angriff auf Hagen im Zweiten Weltkrieg gab es detaillierte Pläne. Geplant war eine tödliche Kombination aus Bomben.

Das Ausmaß der Bombenangriffe auf Hagen war verheerend. Tausende Menschen kamen zu Tode. Die gesamte Innenstadt wurde vor allem bei den drei großen Angriffen auf Hagen in Schutt und Asche gelegt. Und trotzdem hätten die Folgen des Krieges noch viel schlimmer sein können. Denn die Alliierten hatten bereits konkrete Pläne für Giftgasangriffe auf deutsche Großstädte entwickelt. Hagen war eines der Ziele.

Der Historiker Dr. Ralf Blank hat jetzt Unterlagen aus dem College-Park Nationalarchiv in der Nähe von Washington angefordert und ausgewertet: „Am 11. März 1944 sind Pläne vorgelegt worden, die die US-Airforce ausgearbeitet hatte“, so Blank, „30 deutsche Städte waren darin als Ziele ausgewählt worden. Dabei spielten verschiedene Gesichtspunkte eine Rolle, die dann schließlich in das Planungsergebnis eingeflossen sind. Hagen taucht in der Rangliste zwar an zweitletzter Stelle noch hinter Dortmund und Wuppertal auf. Ein Giftgasangriff wäre demnach aber jederzeit möglich gewesen.“

Detaillierte Berechnungen

Drei große Luftangriffe auf die Hagener Innenstadt

Insgesamt gab es im Zweiten Weltkrieg drei große Luftangriffe auf die Stadt Hagen – am 1. Oktober 1943, am 2. Dezember 1944 sowie am 15. März 1945.

Der letzte Angriff legte auch die letzten Häuser in der Hagener Innenstadt in Schutt und Asche.

Der Historiker Dr. Ralf Blank, Leiter des Fachdienstes Wissenschaft, Museen und Archive bei der Stadt Hagen, hat sich gemeinsam mit Andreas Korthals und Dr. Marcus Weidner im Buch „Hagen – 15. März 1945“ mit diesem Tag aus unterschiedlichsten Perspektiven beschäftigt.

Insgesamt 700 Hagener kamen allein bei diesem Luftangriff auf die Stadt ums Leben. Mehr als 400 starben durch einen Volltreffer auf den Bunker an der Körnerstraße.

Dafür spricht auch, dass es schon detaillierte Berechnungen der Alliierten gab. „Die Entfernung zu den möglichen Startpunkten der Bomber in London und im italienischen Foggia waren genau berechnet“, so Blank, „die Alliierten hatten auch genaue Angaben zum Zielgebiet gesammelt, zu dem neben Hagen auch Gevelsberg, Wetter und Hohenlimburg gerechnet wurden. Man ging davon aus, dass ein Angriff hier 214.000 Menschen treffen könne.“

Mindestens 100 Flugzeuge wären bei einem solchen Angriff nach Blanks Recherchen eingesetzt worden: „Im Kern hätte er die Hagener Innenstadt getroffen. Hier gingen die Alliierten von 65.000 Menschen aus. Die Akkumulatorenfabrik und der Hauptbahnhof waren als konkrete Ziele ausgemacht. Das gesamte Terrain wurde von den Militärs als ,gut geeignet’ eingestuft. Der Hagener Talkessel hätte für die Bevölkerung zu einem Fluch werden können.“

Kombination verschiedener Bomben

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Geplant sei eine Kombination verschiedener Bomben gewesen. „Brandbomben wären wohl zunächst abgeworfen worden, um die Menschen aus ihren Häuser zu treiben“, so Ralf Blank, „in einem nächsten Schritt wären dann Gasbomben zum Einsatz gekommen.“

Dass Blank all diese Sätze im Konjunktiv spricht, dass es am Ende doch keinen Giftgasangriff auf Hagen gegeben hat, hat wohl unterschiedliche Gründe. „Diese Angriffe waren eher als Vergeltung gedacht, falls die Deutschen auf Giftgas zurückgegriffen hätten“, so Blank, „es gibt da diese Legende, dass das nicht passiert sei, weil Hitler den Einsatz von Giftgas aufgrund eigener Erfahrungen im Ersten Weltkrieg abgelehnt habe – aber das halte ich für Blödsinn. Man hat auf deutscher Seite sich sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt. Die unterschiedlichen Wirkungen hat man an Häftlingen in den Konzentrationslager getestet.“

Giftgasexplosion in italienischem Hafen hat schlimme Folgen

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Dass die Alliierten sich letztlich dagegen entschieden, Giftgasbomben abzuwerfen, mag auch mit einem Zufall zu tun haben. Am 2. Dezember 1943 griffen deutsche Bomber den Hafen von Bari an. 25 Schiffe wurden getroffen. Darunter auch der Frachter „John Harvey“.

Mitarbeiter der Firma Elbers in Hagen präsentieren sich bei einer Luftschutzübung zu Kriegsbeginn in Schutzanzügen und mit Gasmaske.
Mitarbeiter der Firma Elbers in Hagen präsentieren sich bei einer Luftschutzübung zu Kriegsbeginn in Schutzanzügen und mit Gasmaske. © Stadtarchiv Hagen | Stadtarchiv Hagen

Was außer ein paar Soldaten an Bord niemand wusste – er hatte einen chemischen Kampfstoffe (Senfgas) geladen. Das Schiff explodierte. Und kurze Zeit später wurden Menschen mit kaum erklärlichen Symptomen in die Lazarette eingeliefert. Sie hatten Augenreizungen, Hautschäden und geschwollene Geschlechtsteile. Mehr als 1000 Soldaten und Zivilisten kamen durch den hochgiftigen Kampfstoffes ums Leben.

Ein Schicksal, das der Stadt Hagen schließlich erspart blieb.