Hagen. Das erste Sinfoniekonzert in Hagen nach dem Lockdown: Warum bei manchen Besuchern die Nerven blank liegen und Beethoven glücklich macht.

Jetzt hilft nur noch Beethoven! Sechs Monate mussten die Hagener Philharmoniker ihre Sinfoniekonzerte wegen der Corona-Pandemie aussetzen. Den Neustart feiert Generalmusikdirektor Joseph Trafton daher mit Herzensklängen. Das Publikum bejubelt die 7. Sinfonie und Mendelssohns e-Moll-Violinkonzert geradezu euphorisch mit Beifall im Stehen. Denn das Glücksversprechen der Musik erfüllt sich eben doch nur live.

Die 400 Karten waren schnell ausverkauft

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400 Zuhörer passen coronasicher in die große Hagener Stadthalle. Die Karten waren schnell ausverkauft; das Publikum in Stadt und Region liebt die Hagener Sinfoniekonzerte, Die Abos sind noch bis zum Dezember ausgesetzt, so dass die Besucher Gelegenheit haben, ihre Gutscheine einzutauschen. Der Saisonstart verlief ein wenig ruckelig, da die Stadthalle den Saalplan geändert hatte, nachdem die Tickets bereits verkauft waren. Die gebuchten Plätze existierten nicht mehr; die Besucher mussten sich freihändig Sitze suchen. Als Entschädigung gibt es dafür beim nächsten Konzert ein Glas Sekt.

34 Musiker inklusive Dirigent können unter Einhaltung der Hygienevorschriften auf der Bühne spielen. Zwischen Bläsern und Streichern stehen Spuckschutzwände. Das ist für Joseph Trafton und seine Philharmoniker eine Herausforderung hinsichtlich des Blickkontakts, doch die Kommunikation klappt gut.

Schrecklicher Schwung

„Elan terrible“ nennt man das, was im Schlusssatz von Beethovens 7. Sinfonie passiert. Ein „schrecklicher Schwung“, ein aberwitziges Vorwärtstreiben, das Hören und Sehen vergessen lässt. Es gab Beethoven-Zeitgenossen die unterstellten, solche Noten könne man nur im Vollrausch schreiben. Tatsächlich handelt es sich um eine Verbeugung Beethovens vor der Musik der französischen Revolution, die mit solchen Stücken die Massen mobilisierte.

Joseph Trafton stürzt sich mit ungeheurer Attacke in die Partitur. Harmonik und Rhythmus verwandeln sich in entfesselte Energie. Die Hagener Philharmoniker spielen mit Begeisterung, sie haben die Sinfoniekonzerte genauso vermisst wie ihre Gäste. Und trotz allen Furors bleibt es eben doch gefügte Kunst, denn im Vortrieb gelingen immer wieder unfassbar sanft beleuchte Pianostellen und delikate Übergänge.

Geigenton von kristalliner Schönheit und Tiefe

Im ersten Satz der „Siebten“ nimmt der GMD die Einleitung quälend langsam, lässt den typischen Anlauf sich immer wieder geradezu festfahren, bis die Bewegung in einem Rhythmus-Feuerwerk explodiert. So haben die Besucher nicht nur Freude beim Hören, sondern lernen auch, wie aus Tönen Energie wird.

Das Konzert ist sorgfältig gearbeitet, das kommt dem langsamen Satz zugute, eine Pavane, ein Trauermarsch. Schon der erste Takt ist eine Wucht. Trafton lässt ihn wie einen vollgriffigen Orgelakkord aufblühen. Wunderbare dynamische Abstufungen fangen in diesen Tönen eine ganze Farbpalette des Erinnerns und der Sehnsucht ein.

Die Engel im Himmel

Beethovens „Siebte“ appelliert gleichsam an die ganze Welt. Mendelssohns e-Moll-Violinkonzert ist dagegen eher eine private Kontemplation, ja geradezu Andacht, denn der Komponist wollte damit die Engel im Himmel erfreuen.

Bomsori Kim, Gewinnerin des 62. Internationalen Musikwettbewerbs der ARD, gilt als die große zukünftige Stargeigerin. Der Auftakt des Mendelssohns kommt noch ein wenig unscharf daher, doch nach einer Schrecksekunde ist das Orchester rasch in Topform. Die reduzierte Besetzung lässt auch den Philharmonikern fast solistische Luft zum Atmen, das unterstützt Joseph Trafton mit einem wunderbar stimmigen fließenden Puls.

Bekenntnis zur Macht der Musik

Bomsori Kim besticht mit einem Geigenton von kristalliner Schönheit und Tiefe, mit dem sie allerzarteste Spitzentöne ebenso gestalten kann wie atemberaubende virtuose Läufe. Im Dialog mit dem Orchester entstehen immer wieder berückende Momente. Damit wird der Abend zu einem außerordentlich gelungenen Bekenntnis für die Macht der Musik.