Hagen. Jetzt ist die 23-Jährige eine glückliche, selbstbewusste Frau. Aber das war nicht immer so. Sie erzählt von ihrem harten Weg zum wahren „Ich“.

Alleine, traurig, verwirrt – in der Pubertät ändert sich für Sarah (23) damals alles. Wie für so viele Teenager. Der Körper entwickelte sich weiter, aber es gefiel ihr nicht. Warum passiert das alles? Warum fühle ich mich nicht wohl? Sarah ist nicht wie alle Teenager, Sarah ist transsexuell.

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Sie war gefangen im falschen Körper, über Jahre, und zum Teil ist sie es immer noch. „Mit 14 wusste ich aber noch nicht, was Transgender ist. Ich wusste nur, dass ich meinen Körper so nicht will. Ich dachte, dass die Phase wieder vorbeigeht und dass dieses Gefühl in dem Alter normal ist.“ Aber die Phase geht nicht vorbei.

Genervt von Rollenklischees

Rollenklischees nervten den Teenager, Sarah wollte immer gerne in eine Mädchenclique und interessierte sich mehr für Mädchenthemen. „Ich habe lange versucht, das zu unterdrücken, ich konnte mit niemandem sprechen. Ich hatte kaum Freunde.“

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Damals war Sarah Außenseiterin, wurde depressiv. „Ich Nachhinein bereue ich, dass ich mich niemandem anvertraut habe“, sagt die 23-Jährige. Ihr Outing hatte sie erst vor gut einem Jahr. Jetzt ist sie unter anderem das Gesicht einer Stolz-Kampagne, auch Pride-Kampagne genannt, von ihrem Arbeitgeber Douglas. Es ist alles anders, besser irgendwie, aber noch nicht perfekt. „Es liegen noch viele Herausforderungen vor mir.“

Psychische Belastung

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Erst nach jahrelanger Unterdrückung wurde der damals 16-Jährigen klar, dass sie etwas ändern will. Aber sagen konnte sie es niemandem. „Ich wurde eh gemobbt. Meine Schulzeit war größtenteils scheiße. Zu sagen, dass ich eigentlich eine Frau bin, hätte es nur schlimmer gemacht“, sagt sie mit einem Schulterzucken. Sie nahm stattdessen die psychische Belastung in Kauf. „Ich hatte einfach Angst und nicht den Mut, es jemandem zu sagen. Ich habe einfach weiter meine Rolle gespielt, so wie die anderen mich gerne hätten.“

Im Rückblick eine Fehlentscheidung. 22 Jahre lang trug die junge Frau das Geheimnis mit sich rum. Bis zu ihrem Outing im vergangenen Jahr. Sie erzählte es einer guten Freundin. „Sie hat es positiv aufgenommen. Wir sind bis heute befreundet. Das hat mich in meiner Entscheidung bestärkt und mit dem Moment ist eine riesen Last von mir abgefallen.“

Innerhalb weniger Wochen vertraute sie sich Freunden und ihrer Familie an. „Das war ein riesiger Schritt, einige werden von ihren Familien deswegen verstoßen...“. Auch den Kollegen auf der Arbeit erzählte sie, dass sie als Frau leben möchte. Die 23-Jährige arbeitet bei Douglas in Hagen als Auszubildende in der Informatik-Abteilung. „Alle haben es gut aufgenommen. Bislang hatte ich nur positive Rückmeldungen.“

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Und sie ist sich sicher: „Falls ich doch mal eine negative Reaktion bekomme, was durchaus passieren kann, werde ich das einfach ignorieren. Was ich persönlich schlimm finde: Viele Leuten leben tatsächlich im Irrglauben, Transgender zu sein ist eine Entscheidung à la ,Ja, da hab ich jetzt Bock drauf’. Das ist nicht so. Der Weg ist steinig und hart. Aber die Alternative – nämlich das Nichtstun – belastet einen noch viel mehr und treibt manche Menschen sogar in den Suizid.“

Harter und steiniger Weg

Dennoch merkt Sarah, dass die Leute sie anschauen oder tuscheln, wenn sie irgendwo ist. „Das ist natürlich unangenehm.“ Sie kämpft bis heute mit ihren, wie sie sie selbst nennt, „täglichen Problemchen“. Ein Bartschatten, kleine Brüste, Körperbehaarung, eine komplette Umstellung vom Kleiderschrank, eine noch tiefe Stimme.

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„Außerdem warte ich noch auf die geschlechtsangleichende Operation. Das belastet mich natürlich, weil ich immer noch nicht ganz glücklich bin und darauf achten muss, wie ich sitze oder was ich trage. Vor einigen Wochen habe ich eine Hormontherapie angefangen, dadurch wird es einige Besserungen geben.“

Der Knackpunkt: Man muss bis zu anderthalb Jahre die Hormone nehmen, um eine Operation durchführen zu können. „Weitere Voraussetzung sind eine Personenstandsänderung sowie mehrere Gespräche mit einem Psychologen.“ Aber die 23-Jährige fühlt sich wohler als je zuvor. Seit einigen Wochen trägt sie keine Perücken mehr, zum ersten Mal hat sie sich die Nägel machen lassen. Selbstbewusst sitzt sie beim Bäcker in der Stadt, was die anderen Leute denken, ist ihr egal. Sie ist glücklich. Eine selbstbewusste, glückliche junge Frau.

Verein TransBekannt will Betroffenen helfen

2006 hat sich der Verein „TransBekannt“ – damals noch unter dem Namen Michelles Stammtisch – in Hagen gegründet. Mitgründerin Mandy Walczak aus Hagen, die selbst im Jahr 2005 ihren Weg begann, als Frau zu leben, ist ein Hilfsangebot vor Ort besonders wichtig. „Das gilt für die Beratung, die Vermittlung von Ansprechpartnern aber auch den Austausch.“ Sie selbst erlebe immer wieder Diskriminierung im Alltag: „Ich musste in den 15 Jahren sehr viele Anzeigen erstatten“, sagt sie selbst.

Dort rate sie, sich nicht „unterbuttern“ zu lassen. „Man muss gegenhalten, damit es aufhört.“ 2008 hatte sie ihre geschlechtsangleichende Operation. „Mit allem, was ich erlebt habe, stand für mich fest, dass ich anderen Betroffenen auf ihrem Weg helfen möchte“, sagt sie. Abwendung, der Verlust von Freunden durch das Outing: „Der Weg ist steinig. Das schafft man alleine nicht.“

Mandy Walczak vom Verein Transbekannt aus Hagen
Mandy Walczak vom Verein Transbekannt aus Hagen © Mandy Walczak

Nach anfänglichen Schwierigkeiten gelang es ihr und zwei anderen, eine Gruppe in Hagen aufzuziehen. „Der Verein wurde in Dortmund gegründet, weil wir dort vom paritätischen Wohlfahrtsverband und der Stadt finanzielle Unterstützung bekommen haben.“

Aber trotzdem finden auch Treffen in Hagen statt – einmal monatlich, immer am vierten Samstag des Monats, kommt die Gruppe in Hagen in der Bahnhofsstraße zusammen.

Sie ist offen für jeden, der betroffen ist, für Angehörige, „für alle, die Hilfe brauchen Denn viele trauen sich auch erst nicht, sich zu outen. Aus Angst vor den Reaktionen“, sagt Mandy Walczak. Wegen der Coronakrise fielen die Treffen lange aus.

Sobald es wieder möglich ist, soll alles wieder zur Normalität zurückkehren. Dabei wollen die erfahrenen Trans-Frauen und Trans-Männer (Umwandlung von Frau zu Mann), anderen zur Seite stehen und ihr Wissen teilen – zu Operationen, Krankenkassen, der rechtlichen Situation, Logopädie-Angeboten, Hormonbehandlungen oder Haarentfernungen. „Wer teilnehmen oder bereits vorab etwas wissen möchte, kann sich gerne bei uns melden.“