Hagen. Sie ist die beliebteste Künstlerin des Theaters Hagen. Das Publikum bewundert ihre Vielseitigkeit. Nun geht KS Marilyn Bennett in den Ruhestand
Ohne Übertreibung darf man sagen: Diese Lady ist die beliebteste und meist bewunderte Künstlerin des Theaters Hagen, eine unvergleichliche Sängerin, eine großartige Darstellerin, eine begnadete Komödiantin, eine überaus solidarische Kollegin und eine leidenschaftliche Europäerin. Dennoch tritt jetzt das ein, was die Theaterfreunde in der Region sich nicht vorstellen können. Die Bühne wird künftig, wie auch immer, ohne Kammersängerin Marilyn Bennett auskommen müssen, die in den Ruhestand geht. Das Publikum kann die Mezzosopranistin noch bis Ende Februar in der Operette „Der Graf von Luxemburg“ und in der Oper „Hoffmanns Erzählungen“ feiern.
„In diesem Beruf muss man manchmal springen, wenn man geschubst wird“, resümiert Marilyn Bennett. Eigentlich wollte sie noch nicht gehen, wollte ihr Wissen und ihr Können weiterhin dem Haus zur Verfügung stellen. „Aber dann haben sie eine Rolle mit jemand anderem besetzt, die ich gerne gehabt hätte. Ich war tief verletzt. Und plötzlich sieht man sich mit den Augen dieser Leute. Nun bin ich froh und freue mich über die neue Lebensphase.“
Von London über Kapstadt nach Hagen
Als die Londonerin 1993|1994 von der Oper Kapstadt über Freiburg nach Hagen kam, gab es dort noch ein komplettes Ensemble mit Soubrette, Buffotenor und Buffobass. „Heute haben wir mehr Maskenbildner als Sänger“, kritisiert sie die Folgen der Sparpolitik der vergangenen Jahre. Die wirken sich auf eine Einrichtung aus, die das Publikum und Marilyn Bennett gleichermaßen lieben: das Ensembletheater.
Denn in Häusern wie Hagen standen früher Berufsanfänger neben erfahrenen Künstlern auf der Bühne, die ihr Wissen weitergaben. Heute werden Gäste eingekauft und wandern dann weiter. Das sei billiger, heißt es. Ist es das? „Am Stadttheater wollen sich die Leute mit ihren Sängern identifizieren. Es dauert mindestens zwei Jahre, bis eine Stadt neue Künstler akzeptiert, das ist viel harte Arbeit. Das Publikum bezahlt schließlich unsere Gage“, weiß Marilyn Bennett und ergänzt: „Niemand will einen auf alt geschminkten jungen Bariton in der Operette sehen.“
Am häufigsten Carmen
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Die Hagener Bilanz lässt sich in Zahlen messen: Mindestens sechs bis acht Rollen pro Spielzeit, und das 26 Jahre lang. Das Repertoire von Marilyn Bennett ist enorm. Carmen und die Zweite Dame in der Zauberflöte hat sie am häufigsten gesungen. In Erinnerung bleibt auch „The King and I“ in 2004. „Das habe ich mit meinem Sohn zusammen gemacht, das war wirklich etwas Besonderes, tolle Kostüme, echtes Showbusiness.“ Sohn Robert Lankester tritt heute in die Fußstapfen seiner Mutter.
Die Besucher lieben Marilyn Bennetts Leidenschaft, ihre Vielseitigkeit, ihre Verwandlungskunst und die absolute Professionalität, mit der sie noch die kleinste Partie mit Leben füllt. „Entweder ist man ein Profi oder nicht. Als Profi gibt man an eine kleine Rolle genauso viel Energie und Konzentration wie an eine große.“ Marilyn Bennett ist eine Teamspielerin, diese Gabe haben nicht viele große Solisten. „Als ich hier angefangen habe, war ich die Jüngste, jetzt bin ich die Älteste. Das Besondere am Theater Hagen ist für mich, dass wir eine Familie sind, wir machen eine Produktion zusammen, wir lachen, weinen und bluten zusammen, wir sind uns sehr nah. Jede Abteilung ist Teil dieser Familie.“
Marilyn Bennett hat parallel zu ihren Bühnenerfolgen zwei Kinder groß gezogen. „Es ist immer der Kern eines guten Ensembles, wenn ein Sänger selbst Familie hat“, sagt sie. „Dann arbeitet er vor Ort, die Kinder gehen vor Ort zur Schule, dann bist Du nicht der 5. Tenor von links. Das ist Stadttheater. Es macht mich ein bisschen traurig, dass wir kein echtes Ensemble mehr haben.“
Nie zum Elternabend
Zu einem Leben für die Bühne gehören aber auch folgende Wahrheiten: „Ich konnte nie zum Elternabend meiner Kinder. Weihnachten habe ich einen Truthahn in den Ofen geschoben und um 16 Uhr gesagt: Auf Wiedersehen, ich muss ins Theater. Das war eine Zeit, wo man mit Frauen kein Mitleid hatte, wenn die sagten: Das Baby hat mich die ganze Nacht lang wachgehalten. Es ist immer noch schwer, als Frau und Mutter Karriere zu machen.“ Deshalb findet sie die #Me-Too-Debatte an den Theatern so wichtig. „Männer haben Macht über junge Damen. Sie können mit Blick auf die Casting-Couch sagen: Du machst das, oder Du kriegst den Job nicht. Auch bei der Gage sind Frauen weiterhin benachteiligt. Wir machen Rückschritte, was die Frauenrechte betrifft.“
Neue Freiheiten im Blick
Marilyn Bennetts Vater war in London bei der berittenen Polizei, ihre Mutter gab mit der Heirat ihren Beruf auf, um für die Familie da zu sein. So war das seinerzeit. Marilyn konnte als erste in der Familie die Universität besuchen. „In meiner Generation wollten wir jungen Frauen etwas werden, meine Mutter hat mich immer darin bestärkt, sie hat immer gesagt: Du kannst alles machen. Heute wollen die jungen Damen 15 Minuten bei Germany sucht den Superstar mitwirken.“
Auch wenn Ende Februar am Theater Hagen Schluss ist, steht die nächste große Aufgabe schon vor der Tür. „Meine Tochter heiratet nächstes Jahr. Das ist meine erste Produktion im Ruhestand. Ich brauche ein Kostüm“, sagt die Kammersängerin mit einem Augenzwinkern. „Vielleicht ist es vernünftig zu gehen, bevor die Leute wissen, wie alt du bist und sagen, das hat er für sein Alter aber gut gemacht.“ Der neue Lebensabschnitt bringt ungekannte Freiheiten mit sich. „Meine Tochter heiratet, und ich brauche keinen Urlaubsschein.“
Die britischste Engländerin in NRW hat seit einigen Tagen einen deutschen Pass in der Tasche. „Ich bin eine Europäerin. Ich möchte meine Bewegungsfreiheit nicht verlieren, und ich möchte meine Kinder in Deutschland immer besuchen können. Ich bin total gegen den Brexit, aber ich hoffe, dass ein Wunder kommt.“
Bis Ende Februar steht KS Marilyn Bennett in der Operette „Der Graf von Luxemburg“ und in der Oper „Hoffmanns Erzählungen“ auf der Bühne. In beiden Silvestervorstellungen von „Der Graf von Luxemburg“ wird sie zum Abschied drei Nummern singen. www.theaterhagen.de