Hagen. Das Publikum jauchzt vor Glück beim „Graf von Luxemburg“ im Theater Hagen. Wir verraten, wie die Inszenierung ist
„Wenn man könnt’, so wie man immer wollte. Wenn man wollte, so wie man nimmer sollte“, singt der Graf von Luxemburg und läuft damit beim Salto Mortale des Konjunktivs im Operettenfach zu Höchstleistungen auf. Denn der Heiratstrick des bankrotten Adeligen wird zum Bumerang – und das Publikum genießt Franz Lehars flotte Verwechslungskomödie von Herzen, die das Theater Hagen jetzt in bezaubernd schöne Bilder stellt. Ensemble und Orchester spielen und singen mit so viel Leidenschaft, als wüssten sie nicht, wie das Aufhören geht. Die Inszenierung funktioniert hervorragend, denn sie hat Witz und Tiefgang, Poesie und Tempo. Obwohl das Stück so populär und der Regisseur so beliebt ist, bleiben alarmierend viele Sitzreihen bei der Premiere leer.
Lehars „Graf von Luxemburg“ ermöglichte dem Publikum 1909, also fünf Jahre vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges, einen Schlüssellochblick in das verruchte Treiben der Pariser Boheme und der dort hängen gebliebenen europäischen Adeligen. Die Operette ist in Walzer, Märsche, Galopps und Polkas gegossene Doppelmoral. Denn sogar die pfiffige Ankleiderin Juliette lässt ihren unkonventionellen Armand erst ran, nachdem der ein Eheversprechen abgegeben hat. Da freut sich die Zensur.
Wiedersehen mit Octopussy
Manche Inszenierungen interpretieren die Geschichte daher als Tanz auf dem zeithistorischen Vulkan. Regisseur Roland Hüve, gefeierter Schöpfer der unvergessenen Hagener „Blues Brothers“, geht pfiffiger vor. Ganz zu Beginn der Ouvertüre und leicht zu übersehen, wenn der Graf von Luxemburg wie ein Traumprinz in einer Mondsichel seinen Rausch ausschläft, tanzt ein Sensenmann um ihn herum. Dann erobert der Chor in schrillen Karnevalskostümen die Szene, es gibt auch ein Wiedersehen mit Octopussy aus „Frau Luna“ und man lernt: alles nur Verkleidung, Maske, Fassade.
Bühnenbildner Siegfried E. Mayer schafft dafür Räume und Kostüme, die zum Niederknien magisch sind. Dieser Moment, wenn sich mitten im grellen Karnevalschor ein gigantischer Rahmen aus dem Bühnenhimmel löst und zum Dachfenster eines Ateliers vor Pariser Sternenhimmel wird! Dieser Moment, wenn alle Klischees von der türenknallenden Operette sich im dritten Akt in einen gigantischen Hotelflur verwandeln! Bei genauerem Hinsehen erweisen sich diese Räume jedoch als „unmöglich“. Die Hotelzimmertüren sind bald doppelt mannshoch, das Dachatelier eher das gewaltige Wurmloch eines Paralleluniversums als das Kämmerchen eines mittellosen Künstlers. Nur im zweiten Akt müssen die Protagonisten nicht mehr spielen, dass sie spielen, denn der vollzieht sich auf der Hinterbühne eines Theaters. Allein der Operettenfürst Basil Basilowitsch gibt hier den Operettenfürsten, der sich an Hamlets „Sein oder Nichtsein“ vergreift.
Standesdünkel und Gier
Roland Hüve hat den Stoff klug bearbeitet, einen Running Gag sowie viele aktuelle Anspielungen eingestreut, die das Publikum vor Glück jauchzen lassen, denn es ahnt ja, dass dieses Abenteuer gut ausgehen wird, obwohl es so schmierig beginnt, weil Geldgier auf Standesdünkel trifft. Fürst Basil betritt mit seinen Freunden von Moskau Inkasso die Szene und bietet dem René von Luxemburg Geld, damit der die Sängerin Angèle heiratet, die der Fürst wiederum selbst gerne zur Frau nehmen möchte, was er aber nicht kann, solange sie nicht adelig ist. Also traut man sich ohne Blickkontakt, das Gemälde eines schiefen Eiffelturms bildet den Paravent, und verabredet sich baldmöglichst zur Scheidung.
Eine großartige Sopranistin
Kenneth Mattice legt diesen René mit feinem lyrischen Bariton als beinahe tragische Figur mit einer Mischung aus Hochmut und Verletzlichkeit an, der versucht, sich durchs Leben zu balancieren, aber schon lange den Boden unter den Füßen verloren hat. Sopranistin Angela Davis ist eine strahlende Angèle, eine Operetten-Prinzessin nach Maß mit zauberhaften Glanzlichtern in der Stimme. Cristina Piccardi singt die Juliette mit quecksilberhellen Tönen. Tenor Richard van Gemert ist ein überaus spielfreudiger Maler Armand. Oliver Weidinger legt den Basil Basilowitsch weniger als alten Sack auf Freiersfüßen an, denn als gerissenen und auch fiesen Autokraten, der haben muss, was er haben will. Im dritten Akt schlägt schließlich die Stunde der Fürstin Kokozowa, die von vielen Mezzosopranistinnen als angejahrtes Schrapnell gezeichnet wird, aber nicht so in Hagen. Hier gleitet Marilyn Bennett mit in langen russischen Wintern vorgeglühtem Sexappeal auf die Bühne, eine Erzkomödiantin mit eisernem Rückgrat, die ihren Basil schon das Fürchten lehren wird. Der Chor übernimmt viele solistische Aufgaben; mitunter klappt die Abstimmung zwischen ihm und dem Orchester nicht, das Stück ist eben rasend schnell, doch das tut der positiven Gesamtwirkung keinen Abbruch.
Rodrigo Tomillo dirigiert mit fröhlichem Elan, das Orchester präsentiert sich in Bestform und bringt den Kolorit der Partitur zwischen Galopp und Kasatschok zum Glühen, sorgt aber dazu immer wieder für zarten, romantischen Walzerschmelz. Am Ende greifen die Verliebten ja doch zu den Sternen, und der Traumprinz kriegt die schöne Sängerin.