Hagen. . Molly Blooms Selbstgespräch ist der berühmteste Monolog der Literatur. Marilyn Bennett macht daraus in Hagen ein Plädoyer für Frauenpower
Ein Bett, ein Klavier, eine Flasche Whiskey. Plötzlich erwacht Weltliteratur zum Leben, weil Molly Bloom nicht schlafen kann. Und so startet sie im Theater Hagen ein Selbstgespräch ohne Punkt und Komma über Gott und die Welt, ihre Ehe, ihren Geliebten und den Rosenkranz. Der irische Schriftsteller James Joyce widmet der Frau seines Protagonisten Leopold Bloom das Schlusskapitel des Jahrhundertromans „Ulysses“. Viele große Schauspielerinnen haben sich schon an dem Monolog versucht. Die Hagener Version kann mehr, sie kommt der Heldin näher. Denn Molly Bloom aus dem Jahr 1904 ist Opernsängerin – und wird von Mezzosopranistin KS Marilyn Bennett verkörpert. Diese Annäherung entwickelt sich zu einem Triumph, zum überwältigenden Plädoyer für Frauenpower zwischen Gesang und der Kunst, mit und ohne Worte zu sprechen.
Als moderne Penelope bezeichnet man Molly Bloom wegen ihres Mannes, den James Joyce einen langen Tag lang in 17 Kapiteln und 1140 Seiten (Suhrkamp-Ausgabe) durch Dublin irren lässt. Unterdessen sitzt seine Frau zu Hause, allerdings nicht ganz so treu wie das griechische Vorbild. Wenn der Held am Ende seiner Fahrt ins heimische Bett steigt, verschlägt es der Gattin den Schlaf.
Intendant Francis Hüsers führt Regie
Intendant Francis Hüsers hat in Hagen Molly Blooms Gedankenrede mit Marilyn Bennett und Dan K. Kurland als Klavierspieler und Poldy in Szene gesetzt. Das Stück ist zweisprachig, aber wer jetzt Angst vor James Joyce kriegt: Alle englischen Passagen sind ebenfalls auf Deutsch zu hören, zudem steht der komplette Monolog im Programmheft.
Mitten im Stück fällt Molly aus der Rolle. Dann spricht sie das Publikum direkt an. „Verstehen Sie das? Ich auch nicht.“ Erleichtertes Lachen. Denn uns ist kein Mensch bekannt, der zugibt, den „Ulysses“ je von vorne bis hinten gelesen zu haben. Die Gestaltung des Textes als „Bewusstseinsstrom“ macht es schwierig, den Faden zu behalten. Das, bekennt Marilyn Bennett, ging auch ihr so, als sie sich den Stoff erarbeitet hat. Dazu kommt: Die Kammersängerin ist Engländerin, James Joyce ist Ire. Dazwischen liegen Welten. Nichtsdestoweniger ist Molly in den allerbesten Händen. Marilyn Bennett erweckt sie mit den Überlebensinstinkten und der Lebensgier, mit Derbheit und mit zartestem Humor zu einer Frau, die sich nicht unterkriegen lässt. Diese Molly ist Fischweib und Suffragette in einem.
Das spiegelt die Sprache. Die Hagener Molly kann alle Register ziehen, vom rollenden „Rrrr“ der Dubliner Straßen bis zum gepflegtesten Englisch, mit dem die Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst seinerzeit in der Londoner Royal Albert Hall die Damen mobilisiert haben mag. Und natürlich die Zwischentöne, das Spiel. Marilyn Bennett hat im Laufe ihrer großen Karriere Liebende und Wahnsinnige, Mörderinnen, Jungfrauen und Gevatterinnen gesungen, sie vermag das Universum auszuloten, das sich hinter Mollys Sätzen verbirgt.
Reden wir über Sex. MB alias MB registriert das erstaunliche Stehvermögen ihres Liebhabers und kommt auf Nasen zu sprechen. Was hat es mit dem Mythos auf sich? „Ist dieser Zusammenhang wahr?“, fragt sie in den Saal. „Ja“, antwortet ein Besucher überzeugt. „Darf ich mal gucken?“, meint Marilyn. Überhaupt werde Sex überbewertet. „Stundenlang duschen, Haare machen, neuer Nagellack, rasieren, und Molly Bloom sagt, nach fünf Minuten ist alles vorbei.“
Ja, Ja und nochmal Ja
Der Monolog spielt auf mehreren Ebenen, so wie es Träumereien tun, auf Deutsch und Englisch, im gesprochenen Text, in Tonband-Erinnerungen und im Lied. Mendelssohns Hexen fliegen durch sausende Lüfte, Schuberts „Nacht und Träume“ trösten die Schlaflose, und das Volkslied von der letzten Rose ergründet das Geheimnis der Liebe. Genau das wagt Marilyn/Molly ebenfalls. Sie erinnert sich, wie sie Leopold dazu gebracht hat, den Heiratsantrag zu stellen. So viele „Ja’s“ in so wenigen Worten unterzubringen, das muss man sich schon trauen. Ja, sie nimmt ihn zurück, ihren Streuner. Ja.
Der Abend in der Spielstätte Lutz ist intim, man kommt Marilyn Bennett und dem Pianisten Dan K. Kurland ganz nahe, in 65 atemlosen Minuten, in denen eine große Sängerin und Darstellerin zeigt, wie ein Sprachkunstwerk zum Bühnenkunstwerk werden kann.
Nur noch zwei Mal: 23. 9. und 3. 10. www.theaterhagen.de