Hagen. Schüsse auf einen Bandido: Der „Kronzeuge“ im Hagener Rockerprozess sagt nun doch nicht aus. Der Freeway Rider spielt trotzdem eine große Rolle.
Sein Auftritt war mit Spannung erwartet worden, doch der „Kronzeuge“ im Hagener Rockerprozess ist am Dienstag nicht erschienen. Beim ersten Versuch in der vorvergangene Woche hatte sich der 38-Jährige krank gemeldet. Nun, beim zweiten Versuch, hatte er schon im Vorfeld ein Aussageverweigerungsrecht geltend gemacht: Durch seine Aussagen vor Gericht, so die Begründung, könnte er sich selbst belasten. Gegen ihn wird noch Verstößen gegen das Waffengesetzt ermittelt. Das Schwurgericht billigte ihm dieses Recht zu.
Und trotzdem spielten seine bisherigen Aussagen bei der Polizei eine große Rolle in dem Prozess um die lebensgefährlichen Schüsse auf ein ein Bandidos-Mitglied auf der Frankfurter Straße im vergangenen Oktober.
Bandidos-Mitglied wird im Oktober in Hagen niedergeschossen
Zur Erinnerung: Vor Gericht muss sich ein 58-jähriges Mitglied der Freeway Riders wegen versuchten Totschlags verantworten – auch eine Verurteilung wegen versuchten Mordes, so schon vorab der Hinweis des Gerichts, könnte am Ende möglich sein.
Mit seiner stabilen Figur, dem langen Haaren und dem Bart mag er dem Klischee eines Rockers entsprechen. Allerdings: Der Angeklagte hat über Jahre als selbstständiger Kfz-Gutachter einen sehr bürgerlichen Beruf ausgeübt und ist nicht vorbestraft. Und glaubt man seinen Ausführungen zu Prozessbeginn, dann hat er sich auch jetzt nichts zu schulde kommen lassen. Denn nicht er, sondern sein 38-jähriger Beifahrer habe am jenem 5. Oktober, einem Freitagabend, vor dem Café Babylon auf den Bandido geschossen. Er habe lediglich das Auto gefahren und nichts von den Schüssen gewusst.
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Bei Großrazzia vier Freeway-Riders-Mitglieder festgenommen
Der 38-Jährige ist jener „Kronzeuge“ der Staatsanwaltschaft, der nun vor Gericht als Zeuge fehlt. Er stand zunächst selbst im Fokus der Ermittler. Auch er war Anfang Dezember bei der Großrazzia in mehreren Städten gegen die Freeway Riders festgenommen worden. Genauso wie der 58-jährige Angeklagte und zwei weitere Rocker, darunter auch der Freeway-Riders-Präsident.
Aber der 38-Jährige, der in Dortmund lebt, verhielt sich im Anschluss anders als die anderen festgenommen Rocker. Er sagte ziemlich rasch bei der Polizei aus, während die anderen Beteiligten – ob Freeway Riders oder Bandidos – schwiegen. Und obwohl er nun nicht vor Gericht erscheinen muss, über die Polizeibeamten, die ihn damals vernommen haben, wurden die Aussagen dann am Dienstag doch in den Prozess eingeführt.
Vom Präsidenten „zur Sau gemacht“
Und so lautete die Version des Dortmunders, dass er nur der Beifahrer gewesen sei und der Angeklagte aus dem fahrenden Auto auf das Bandidos-Mitglied vor dem Café Babylon geschossen habe. Dass man dann auf Umwegen nach Dortmund gefahren sei, zur Wohnung des „Kronzeugen“, und später auch wieder zu der Feier der Freeway Riders im Clubheim in Hagen-Kückelhausen. Dass der 58-jährige Kfz-Gutachter dort vom Freway-Riders-Präsident in einem Nebenraum „zur Sau gemacht“ worden sei, weil er auf den Bandido geschossen und damit die Order der Club-Führung missachtet habe.
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Ausgesagt hatte er auch, dass der 58-Jährige auch in den Kauf von Waffen verwickelt gewesen sei, unter anderem mit zu einem offensichtlich illegalen Waffenhandel nach Bochum gefahren sei. Und dass er, der 38-jährige Dortmunder, nach der Tat vom 5. Oktober blitzschnell zum Vollmitglied der Freeway Riders befördert worden sei. Offensichtlich als Dank für sein damaliges Schweigen.
Es gibt noch eine Reihe weiterer Beweismittel der Staatswaltschaft: Handy-Überwachungen, Chat-Protokolle oder GPS-Daten. Aber die Aussage des 38-Jährigen hatte dazu geführt, dass die Ermittler nicht mehr von einer „von oben“ angeordneten Tat bei den Schüssen an der Frankfurter Straße ausgingen, sondern von einer einzig durch den 58-jährigen Kfz-Gutachter ausgeführten Handlung. In der Folge kamen nicht nur der 38-Jährige, sondern auch der Freeway-Riders-Präsident und ein weiteres Mitglied wieder frei.
Polizei-Vermerk: Zeuge ist unglaubwürdig
Die Verteidigung versucht dieses Bild vom eher reumütigen Kronzeugen aber zu stören. Ein gefundenes Fressen war dabei ein Vermerk von Polizeibeamten, die die Aussage des 38-Jährigen unmittelbar danach zumindest in Teilen als unglaubwürdig eingestuft hatten. Ebenso wie Hinweise, dass der Dortmunder eine viel größere Affinität zu Waffen gehabt haben soll, als der angeklagte 58-Jährige. Der hingegen, so Anwalt Dr. Goran Bronisch, habe schon durch seinen Beruf als von der Industrie- und Handelskammer geprüfter Gutachter bewiesen, dass er eine „über das Normale hinausgehende Zuverlässigkeit“ gegenüber Vorschriften und Gesetzen an den Tag lege. Und keineswegs der gesetzlose Rocker sei, als der ihn die Ermittler darstellen wollten.
Am 17. Juli wird der Prozess fortgesetzt.
Stationen des Hagener Rockerkriegs