Hagen. Sie sollen Steuern in Höhe 48,4 Millionen Euro hinterzogen haben. Dafür müssen sich drei Männer ab Montag vor dem Landgericht verantworten.
Er spricht von Vertuschung, einem illegalen V-Mann und „massiven Verfahrensfehlern“. Verteidiger Dr. Ulrich Sommer fährt schon vor Beginn des Prozesses gegen die Verantwortlichen eine Hagener Spielhallen-Betreiberfirma schwere juristische Geschütze auf. Ab kommenden Montag müssen sich drei Männer aus Hagen (zwei Brüder 43 und 39 Jahre alt und ein weiterer 50-jähriger Angeklagter) wegen Steuer- und Abgabenhinterziehung in Höhe von insgesamt 48,4 Millionen Euro sowie der gewerbsmäßigen Manipulation von technischen Aufzeichnungen vor dem Landgericht verantworten.
Der Hauptangeklagte (43) sitzt seit acht Monaten in Untersuchungshaft. Die Richter der Wirtschaftsstrafkammer hält sein Kölner Anwalt allerdings für nicht unvoreingenommen und hat bereits einen Befangenheitsantrag angekündigt. Die Staatsanwaltschaft reagiert indes betont gelassen und hält ihre 99-seitige Anklageschrift Anklage für sicher.
Der Fall
Ende September vergangenen Jahres führt ein Großaufgebot von Polizei, Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft eine Razzia durch, die landesweit für Schlagzeilen sorgt. Im Fokus: Spielhallen in ganz NRW, die zu einem Firmengeflecht gehören, mit dem eine Hagener Zuwanderer-Familie binnen weniger Jahre reich geworden sein soll. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft allerdings zum Teil mit illegalen und kriminellen Mitteln. Die Umsatz-Ausdrucke sollen mit einer speziellen Software manipuliert worden sein, so dass Steuern dem Fiskus vorenthalten wurden.
Bei der Razzia gab es nicht nur Festnahmen, sondern auch die Beschlagnahmung von Vermögenswerten lieferte spektakuläre Bilder: Teure Autos (Ferrari, Lamborghini und Mercedes) wurden abtransportiert, ebenso wie Bargeld in Millionenhöhe, darunter Tonnen an Münzgeld. Tragende Säule in der Beweisführung der Anklage ist ein Laptop, auf dem die angebliche Manipulationssoftware entdeckt wurde. Der ist nach Informationen der WESTFALENPOST eher ein Zufallsfund aus dem Jahr 2016, als er im Auto eines der Beschuldigten gefunden wurde.
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Die Sicht des Anwalts
Doch unter anderem hier setzt die massive Kritik von Anwalt Dr. Ulrich Sommer an: „Das einzige angebliche Beweismittel – irgendwo anderweitig unter dubiosen Umständen beschlagnahmte Daten – ist prozessual völlig unbrauchbar.“ Die Daten, so Sommer, deckten nur einen sehr kurzen Zeitraum ab und würden von der Staatsanwaltschaft „abenteuerlich im Schätzungswege“ auf zehn Jahre hochgerechnet. „Dazu haben wir festgestellt, dass in den Jahren zwischen der Beschlagnahme der Daten und der Auswertung durch Sachverständige auf die Daten zugegriffen worden ist“, kritisiert der Anwalt. „Der Laptop lag ohne jede Sicherung irgendwo im Polizeipräsidium. Wer was verändert hat, ist offensichtlich nicht mehr feststellbar. Wir glauben, dass jeder hierauf unkontrollierten Zugriff hatte.“
Und mit „jeder“ meint er auch jenen Polizeibeamten, von dem Anwalt Sommer behauptet, er habe „praktisch als illegaler V-Mann agiert“. Der Ermittler habe über seine heutige Ehefrau persönlichen Kontakt zur Familie seines Mandanten gesucht: „Er hätte niemals in diesen Ermittlungen eingesetzt werden dürfen. Bis heute wird das in den Akten vertuscht.“ Die Verfahrensfehler seien dadurch massiv.
Aber nicht nur Polizei und Staatsanwaltschaft hat Sommer im Visier, sondern auch die Richter: „Wir haben der Wirtschaftsstrafkammer bereits einen Befangenheitsantrag angekündigt. Im Verfahren zur Überprüfung der Haft hatte man von Richterseite explizit nicht mit der Verteidigung sprechen wollen. Kurz darauf rief aber ein Richter aus eigener Initiative die Staatsanwältin an und animierte sie zu anderen Formulierungen des Haftbefehls. Ein neutraler Richter sieht für unseren Mandanten anders aus.“
Die Sicht der Ermittler
Auf die einzelnen Vorwürfe will Oberstaatsanwalt Dr. Gerhard Pauli, der als Leiter der Abteilung zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität zuständig ist, nicht sagen. Nur soviel: „Über die juristische Bewertung des Falles wird im Rahmen der Hauptverhandlung zu reden und durch das Gericht zu entscheiden sein. Anlass, an der bisherigen Einschätzung des Falles durch die Staatsanwaltschaft zu zweifeln, besteht aus unserer Sicht nicht, was auch das Oberlandesgericht im Rahmen der Haftprüfung bestätigt hat“.
Nach sechs Monaten Untersuchungshaft hatte das Oberlandesgericht in Hamm entscheiden müssen, ob der Tatvorwurf gegen den 43-Jährigen tatsächlich so gravierend ist, dass die Untersuchungshaft über das eigentlich Maximum von einem halben Jahr andauern darf. Die Richter sagten ja. So wie schon vorher bei einem Haftprüfungstermin in Hagen die Richter den dringen Tatverdacht bejaht hatten. Und auch die Anklage der Staatsanwaltschaft ist von der Wirtschaftsstrafkammer in vollem Umfang zugelassen worden.
Wären Beweismittel mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht verwertbar, so ein Rechts-Experte gegenüber der WP, hätte die Anklage nicht zugelassen werden dürfen. Dass die Schadenssumme auf einen bestimmten Zeitraum hochgerechnet werde, sei zudem Standard bei Steuerhinterziehungsfällen. Weil ja eben keine ordentliche Buchführung bei Schwarzgeld zu erwarten sei.
Zudem wird die These der Verteidigung, ein V-Mann sei illegal eingeschleust werden, in Ermittlerkreisen als völlig abwegig bezeichnet. Der fragliche Polizeibeamte sei eben nicht in dem Fall tätig gewesen, sondern allenfalls am Tag der Razzia.