Eckesey. . Sie stehen vor den Scherben ihrer Existenz. Tolga Balik gehört zu den treuen TWB-Mitarbeitern, die man einfach auf die Straße setzen will
Als Tolga Balik 18 Jahre alt war, ging er in das TWB-Werk in Eckesey. 20 Jahre später steht er draußen vor dem Werkstor und sagt: „Mein Sohn hat mir seine Spardose angeboten. Er hat so viel auf mich verzichten müssen für diesen Job. Ich fühle mich total verarscht.“
Balik ist ein menschliches Beispiel dafür, wie sich der verlorene Machtkampf des Automobilzulieferers TWB mit VW auf die Existenzen der Arbeiter in Hagen auswirkt. Die Mutter-Gesellschaft Prevent hatte sich mit dem mächtigen VW-Konzern abgelegt, der daraufhin den zuverlässigen Zulieferer aus Hagen gleich mit kalt stellte.
Interessent würde VW-Aufträge halten können
Interessent Fisher Dynamics hatte gegenüber der WP erklärt, Teile der VW-Aufträge halten zu können, sofern sie TWB kaufen könnten. Möglicherweise gelte das auch für Teile der gekündigten Belegschaft.
Als Produktionshelfer begann Tolga Balik einst bei TWB. „Ich habe mich hochgearbeitet zum Maschinenführer“, sagt er stolz. Gutes Geld würde er hier verdienen. Das habe auch was damit zu tun, dass TWB seine Arbeiter irgendwann verpflichtete, auch am Wochenende zu arbeiten. Zahlreiche Familienfeiern und Kindergeburtstage hat Tolga Balik verpasst, um Aufträge pünktlich fertig zu kriegen. Um ein Teil der kleinen Erfolgsgeschichte zu sein, die da an der Mündung der Ennepe in die Volme geschrieben wurde. Rücksitzlehnen in VWs, Seats, Audis – sie kamen aus Hagen. In bester Qualität und zuverlässig und pünktlich geliefert.
Bis die Besitzerfamilie der übergeordneten Prevent-Gruppe sich mit VW anlegte und mächtig an der Preisschraube drehte. „Wir können auch ohne VW“, hat mal ein Geschäftsführer im Beisein von Tolga Balik in Eckesey gesagt. Der Geschäftsführer ist längst nicht mehr da. Tolga Balik schon. Und die selbstbewussten Töne sind Sätzen gewichen, die die blanke Existenzangst ausdrücken. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, brüllte Tolga Balik neulich in eine Betriebsversammlung, die in einem Tumult endete.
Arbeiter verhungern am langen Arm
Niemand spricht mit den Arbeitern. Kündigungen landen einfach in Briefkästen. Sie fühlen sich, als würden sie an einem Arm verhungern, der von Hagen bis nach Wolfsburg und noch weiter bis nach Bosnien reicht, wo die Familie Hastor als Prevent-Inhaber sitzt.
Tolga Balik hat die Vorankündigung einer Kündigung erhalten. Dass man ihm nicht direkt kündigte, hat nur damit zu tun, dass er bei der letzten Wahl zur Jugend- und Auszubildendenvertretung in den Wahlvorstand berufen wurde. „Natürlich war ich erst ein bisschen froh, als ich keine Kündigung im Briefkasten hatte. Als sie dann doch für den 1.6. angekündigt wurde, fiel ich in ein tiefes Loch.“
Investitionen wurden in Aussicht gestellt
Zuletzt hörte sich Balik drei Jahre von verschiedenen Geschäftsführern an, wie hervorragend doch alles laufe und wie sicher man sei. „Der erste kündigte sogar an, wir würden für 16 Millionen Euro neue Maschinen kaufen“, so Balik. Und er ließ den Satz fallen, den hier in Eckesey auch heute noch viele höhnisch zitieren: „Wir können auch ohne VW überleben.“
„Wissen Sie, ich habe auch ein paar Schulden. Dinge, die ich abbezahle, weil ich auf solche Aussagen vertraut habe und dachte, alles wird schon gut. Jetzt stehe ich da und weiß bald nicht mehr, womit ich überhaupt mein Geld verdienen soll.“ Er habe schlimme Schlafstörungen.
Sabotage-Vorwürfe gegen eigene Mitarbeiter
Die Prevent-Gruppe wirft ihren eigenen Angestellten Sabotage vor, weil über 100 von ihnen unter den belastetenden Bedingungen krank geschrieben sind. Balik: „Bei einer Betriebsversammlung, noch gar nicht so lange her, fehlte mal der Geschäftsführer, weil er krank war. Sein Vertreter sagte ,krank ist krank’ und das sagen viele hier jetzt auch.“
Es geht nicht um Abfindungen
Balik stört, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehe, den Mitarbeitern gehe es nur um Abfindungen. „Falsch ist das. Jeder hier will weiterarbeiten. Wir wollen bleiben und wieder etwas aufbauen. Aber dafür sollten die jetzt endlich mal an Fisher Dynamics verkaufen.“ Die Verhandlungen mit dem US-Automobilzulieferer stocken aber schwer. Niemand weiß, woran das so richtig liegt.
Die Gewerkschaft IG Metall mag aus Baliks Sicht formal Recht haben, dass man keinen Arbeitskampf habe organisieren können oder dürfen. „Aber schauen Sie mal: Jetzt demonstrieren wir hier. Hier sind Hunderte IG-Metall-Mitglieder. Und niemand von denen ist hier. Unabhängig von der ganzen rechtlichen Lage: Die IG Metall sieht in diesem ganzen Verfahren einfach nur blöd aus.“