Hagen. . Das Böhfeld an der A1 soll zum Gewerbegebiet. OB Schulz erklärt im Interview, warum er diese Planung auch gegen den Protest der Bürger verfolgt.
Die Zahl der verfügbaren Gewerbeflächen in Hagen ist knapp – zu knapp, um seitens der kommunalen Wirtschaftsförderung den ansässigen Betrieben seriös Entwicklungspotenziale aufzeigen zu können. Vor diesem Hintergrund schaut der Rat auf die landwirtschaftlichen Flächen zwischen A1 und Hengsteysee.
Das sogenannte Böhfeld soll in den nächsten Jahren zu einem Gewerbegebiet entwickelt werden, das auch großflächige Industrieansiedlungen wieder ermöglicht. Eine Strategie, die vor allem von den Bürgern im Hagener Norden mit großer Skepsis begleitet wird. Vor diesem Hintergrund hat die Stadtredaktion Hagen Oberbürgermeister Erik O. Schulz zum Interview gebeten:
Bei der jüngsten Bürgerversammlung in Boele zur Einleitung eines B-Plan-Verfahrens formulierten die Bürger massiv ihren Unmut zu den Gewerbeflächen-Planungen am Böhfeld. Können Sie die Haltung der Menschen, die im Böhfeld einen Naturschatz sehen, nachvollziehen?
Erik O. Schulz: Der Eindruck, dass es sich bei der Fläche, die auf zwei Seiten von Straßen – A 1 und Dortmunder Straße – eingerahmt wird, um einen „Naturschatz“ handelt, ist sicher nur bedingt richtig. Das kann man eher von dem Naturschutzgebiet „Uhlenbrock“ zum Hengsteysee hin sagen. Bei der Diskussion standen vielmehr die Sorgen vor mehr Verkehrsaufkommen und damit verbundenen Emissionen im Vordergrund, genauso wie die Problematik der Nutzung durch den Landwirtschaftsbetrieb. Auch wenn man diese Sorgen nachvollziehen kann, muss man deutlich darauf hinweisen, dass das Böhfeld kein Nah- oder Fernerholungsgebiet, sondern eine landwirtschaftlich genutzte Fläche ist. Die angrenzenden Landschafts- und Naturschutzgebiete werden von den Planungen nicht tangiert.
Gewerbefläche neben Freizeitareal
Inwieweit passen die Böhfeld-Planungen zu der Vision, am Hengsteysee mit dem Seepark ein attraktives Freizeitrevier mit überregionaler Strahlkraft entstehen zu lassen?
Die beiden Areale sind nicht nur durch eine Bahntrasse sondern auch durch Grünbereiche voneinander getrennt. Der Abstand zwischen dem Gewerbegebiet und dem Seeufer beträgt durchgängig zwischen 400 bis zu 600 Metern. Damit sind die beiden Entwicklungen zunächst grundsätzlich getrennt voneinander zu betrachten. Zudem ist durch die Landschafts- und Naturschutzgebiete zwischen den beiden Arealen kaum Sichtbeziehung gegeben. Insoweit schließen sich die Dinge nicht gegeneinander aus.
Hohe Kosten – viele Unwägbarkeiten
In einer Vorlage der Stadtverwaltung wird hochgerechnet, dass die Umwandlung der 16,5 Hektar großen Ackerflächen am Böhfeld (Dreieck Hengsteysee/Dortmunder Straße/A1) in ein Gewerbegebiet ca. 20 Millionen Euro kostet.
Bei dieser Flächenberechnung wird berücksichtigt, dass ein Mindestabstand von 40 Metern zur Autobahn eingehalten werden muss. Ebenso müssen Distanzen zur Hochspannungsleitung sowie zur Wingas-Erdgastrasse respektiert werden.
Das Gewerbegebiet hat ein Gefälle von 20 Metern, so dass hier Plateaus modelliert und Anschüttungen gestaltet werden müssen. Dazu müssen 375 000 Kubikmeter Bodenmassen bewegt werden – Kosten: unklar.
5,6 Hektar der Fläche sind mit Klärschlamm belastet, der bei einer nicht-landwirtschaftlichen Nutzung abgetragen und entsorgt werden muss. Weitere 130 000 Kubikmeter Boden müssen hier umgeschichtet werden – Kosten: unklar.
Für die Anbindung des Böhfeldes muss der Knotenpunkt Dortmunder/Kabeler/Böhfeldstraße ausgebaut und mit Ampeln erweitert werden. Außerdem fällt eine Erschließungsstraße an – Kosten: 6,7 Millionen Euro.
Die Entwässerung des Böhfeldes kann über ein Trennsystem erfolgen. Regen kann in den See fließen, Schmutzwasser an die Kabeler Straße angeschlossen werden – Kosten: 3,6 Millionen Euro.
Für den Naturverbrauch (Landschaft und Artenschutz) muss ein Ausgleich geschaffen werden – Kosten: 920 000 Euro.
Der auf dem Böhfeld agierende Landwirt muss für seinen Betrieb, die Verlagerung sowie für Pachtaufhebungen entschädigt werden. Außerdem gilt es, noch weitere Flächen von Privateigentümern zu erwerben – geschätzte Gesamtkosten: 7 Millionen Euro.
Luftaufnahmen des Gebietes zeigen deutliche Kraterspuren, so dass hier der Kampfmittelräumdienst hinzugezogen werden muss – Kosten: unklar.
19 Hektar des Areal verfügen über einen besonders hochwertigen, ertragreichen Boden, der gesondert begutachtet und mit besonderen Ausgleichmaßnahmen kompensiert werden muss – Kosten: unklar.
Das Böhfeld ist mit erheblichen Restriktionen behaftet (siehe Infobox). Die Hochrechnungen der Verwaltung und die Debatten im Stadtentwicklungsausschuss im Sommer 2015 haben gezeigt, dass die Herrichtung des Areals zu einem realistischen Quadratmeterpreis von etwa 130 Euro führen wird, der wiederum von der ohnehin klammen Stadt Hagen bei der Vermarktung teuer subventioniert werden müsste. Stehen dann die Erstellungskosten von etwa 20 Millionen Euro und die deutlich geringeren Erlöse noch in einem vertretbaren Verhältnis zueinander?
Die Stadt Hagen hat einen erheblichen Mangel an Gewerbeflächen. Der RVR als Regionalplanungsbehörde hat für die nächsten 20 Jahre eine Bedarf von 120 Hektar ermittelt. Unabhängig von der Frage, ob diese Schätzung im Endergebnis zutrifft, bleibt zu konstatieren, dass die Stadt Hagen dringend in die Zukunft investieren muss – und das bedeutet auch in entsprechende Gewerbeflächen. Diese sind zum einen Beschäftigungsmotor (42 Prozent aller Arbeitsplätze in Hagen befinden sich in Gewerbegebieten – diese wiederum nehmen nur knapp 7 Prozent der Stadtgebietsfläche ein) und bilden damit gleichzeitig das finanzielle Rückgrat der Gemeindefinanzen. Auf die Entwicklung von Gewerbegebieten zu verzichten bedeutet gleichzeitig, in Zukunft immer weniger Spielräume für die Entwicklung der Stadt zu haben.
Hohe Kosten für Aufbereitung der Flächen
Kann man das Kostenthema denn völlig ausklammern?
Bei der Entwicklung von solchen Flächen geht es nicht in erster Linie um die Frage der Aufbereitungskosten und der mit dem Verkauf zu erzielenden Erlöse. Viel wichtiger sind die Folgeeinnahmen und die langfristigen Effekte. Zudem ziehen die Preise für Gewerbeflächen zurzeit merklich an, so dass Preise jenseits der 100 Euro pro Quadratmeter heute schon realistisch sind.
Das Böhfeld bietet auch großflächige Entwicklungsmöglichkeiten für Unternehmen.
Foto:
Hans Blossey
Es wird immer wieder betont, dass das Böhfeld die letzte potenzielle zusammenhängende Gewerbefläche dieser Größenordnung in der Stadt sei. Bedeutet dies, dass die Stadt nach einer Vermarktung der Böhfeldes aufhört, Flächenvorratshaltungspolitik zu betreiben? Wo gibt es noch Entwicklungsgebiete?
Die Stadt braucht natürlich eine auf die Zukunft gerichtete Flächenvorratshaltungspolitik. Es müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um Flächen zu aktivieren. Sowohl Brachflächen als auch noch weitere neue Gebiete. Das wird die Stadt auch im Rahmen der Stellungnahme zum Regionalplanentwurf des RVR sehr deutlich machen. Nur dann können die prognostizierten Bedarfe gedeckt werden. Das Besondere am Böhfeld ist aber, dass es sich tatsächlich um die letzte große Fläche handelt, auf der Ansiedlungen von 3 Hektar und mehr überhaupt möglich sind. Und diese Flächengröße ist eine in der Nachfrage äußerst gängige Größe. In Hagen liegen derzeit aktuell Flächennachfragen von rund 30 Hektar vor, von denen die Hälfe über die Grenze von 3 Hektar gehen. Man erkennt daran, dass auch das Böhfeld diese Gesamtnachfrage schon heute nicht decken könnte, aber für die 3-Hektar-Anfragen unverzichtbar ist. Die weiteren im Wirtschaftsflächenkonzept und von der Stadt identifizierten Flächen sind fast alle kleiner oder nur geringfügig größer. Dies unterstreicht die Wichtigkeit der Entwicklung des Böhfeldes.
Entwicklung der Industriebrachen
Teil der Hagener Gewerbeflächenpolitik ist es auch, Brachen zu entwickeln und zu vermarkten. Sind Sie mit dem Tempo beispielsweise rund um das Westside-Areal, die Varta-Insel oder auch das freigezogene Nordwest-Gelände zufrieden?
Wir sind nicht nur bei den drei genannten Flächen auf einem guten Weg. Wobei diese alle unterschiedlich bewertet werden müssen. Die Westside wird erst durch die Bahnhofshinterfahrung erschlossen und kann demnach auch erst 2019 baulich in Angriff genommen werden. Die Vermarktungsaktivitäten der Wirtschaftsförderung sind hier aber im vollen Gange. Die Varta-Insel befindet sich derzeit noch im Privatbesitz. Vor einer Entwicklung ist zunächst der Erwerb durch die HIG und in der Folge die Sanierung der Fläche erforderlich. Wenn diese Fragen geklärt sind, macht eine konkrete Vermarktung der Flächen Sinn. Gleichwohl hat die Wirtschaftsförderung auch hier schon erste Aktivitäten ergriffen, um die Fläche bei Investoren bekannt zu machen. Beim Nordwest-Gelände erfolgt die Vermarktung durch einen Externen. Die Stadt bzw. die Wirtschaftsförderung können hier deshalb nur mittelbar Einfluss auf die Entwicklung nehmen. Sollte ein Investor gefunden sein, wird dieser seitens der Wirtschaftsförderung und der Stadt unterstützt.
Wasserwerk als Gewerbefläche
War es seinerzeit ein gravierender strategischer Fehler, das Wasserwerk in Hengstey als lokale Versorgungseinheit zu erhalten, statt daraus eine attraktive Gewerbefläche zu machen und das Wasser aus Schwerte zu beziehen?
Im Vorfeld der Entscheidung des Rates habe ich sehr deutlich auf die großen Chancen hingewiesen, die mit einer Gewerbefläche an dieser Stelle verknüpft gewesen wären. Übrigens ohne dass wir Abstriche an die Qualität oder Quantität unserer Trinkwasserversorgung hätten machen müssen. Eine politische Mehrheit hat das damals anders gesehen und sich für den Erhalt des Wasserwerkes an dieser Stelle ausgesprochen – und diese Entscheidung gilt es zu respektieren.