Hagen. . Angesichts der grassierenden Lehrermangels greift die Stadt Hagen bei der Stellenbesetzung an den Grundschulen auf Studenten zurück.

  • An den Hagener Grundschulen sind 70 Studenten als Ersatz für Lehrer tätig
  • Viele Stellen können nicht mehr von Pädagogen besetzt werden
  • Bezahlt werden die Lehrer-Studenten nach dem Tarif für den öffentlichen Dienst

Als der Lehrermangel in den Grundschulen immer größer wurde und Dagmar Speckmann nicht mehr wusste, wo sie neue Pädagogen hernehmen sollte, griff die Hagener Schulrätin zu einer ungewöhnlichen Maßnahme. Auf einer Geburtstagsparty ihres Sohnes, Sportstudent an der Ruhruni Bochum, fragte sie dessen Kommilitonen, ob sie nicht Unterricht erteilen wollten. Der Appell machte die Runde an der Fakultät: Heute arbeiten 70 Studenten in Hagen, viele geben Sport- und Schwimmunterricht. „Trotzdem können wir nicht alle Stellen besetzen“, berichtet Speckmann: „Die Lage ist schwierig. Ohne die Studenten wäre sie noch schwieriger.“

Der Markt ist leergefegt

Der Lehrermangel in Hagen ist so groß wie nie. Und das liege nicht daran, wie die Schulrätin betont, dass das Land NRW der Stadt zu wenige Stellen zugestehe, sondern sei darin begründet, dass von den Universitäten und Hochschulen nicht mehr genügend Pädagogen nachrückten. Der Lehrermarkt ist leergefegt. Während frisch examinierte Pädagogen früher zunächst eine Elternzeitvertretung übernahmen und darauf warten mussten, dass sich die Gelegenheit zu einem unbefristeten Engagement mit Verbeamtung ergab, führt der Weg von der Uni heutzutage ohne Wartezeit direkt ins Beamtenverhältnis. Dies hat zur Folge, dass nicht nur ausgeschriebene Lehrerstellen nicht besetzt werden können, sondern auch Ersatz für erkrankte oder Lehrerinnen in Elternzeit faktisch nicht mehr zu finden ist.

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Der akute Personalmangel hat häufigen Unterrichtsausfall zur Folge. Um dem zu begegnen, rekrutiert die Stadt Hagen zahlreiche Studenten direkt aus dem Hörsaal – zum Beispiel Linda Pollmann (25), die in Bochum Sport und Latein studiert, kurz vor dem Bachelor-Abschluss steht und „nebenbei“ an der Grundschule Helfe zwölf Stunden pro Woche Sport- und Förderunterricht erteilt. Oder Anjo Wilmanns (24), Student in Dortmund, der an der Heideschule Hohenlimburg beschäftigt ist: „Ich komme aus einer Lehrerfamilie. Man kann den Kindern in diesem Beruf so viel mitgeben; das ist es, was ich machen will.“

Die Auswahlkriterien

Auch in anderen Städten und Bundesländern unterrichten Studenten an den Grundschulen, doch wohl nirgendwo sonst hat sich das Modell zu einer solchen Erfolgsgeschichte entwickelt wie in Hagen. „Ich will das gar nicht schön reden“, so Schulrätin Speckmann: „Studenten können eine ausgebildete Lehrkraft nicht gleichwertig ersetzen. Aber angesichts des Mangels an Bewerbern bleibt uns keine Wahl.“

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Dennoch gebe es Auswahlkriterien. Es kommen grundsätzlich nur Lehramtsstudenten in Betracht, jeder von ihnen muss sich im Schulamt bewerben, ein Vorstellungsgespräch beim Rektor der für ihn vorgesehenen Grundschule absolvieren und sorgfältig einarbeiten lassen: „Wir nehmen nicht jeden“, betont Speckmann: „Aber wir haben auch noch nie einem Studenten kündigen müssen. Ich glaube, das liegt daran, dass wir sorgfältig auswählen.“

Bezahlung laut Tarif

Bezahlt werden die Lehrer-Studenten nach dem Tarif für den öffentlichen Dienst. Wer noch keinen Bachelor oder Master in der Tasche hat, erhält für acht Wochenpflichtstunden ein Bruttogehalt von 1193 Euro, wer mehr Stunden gibt oder schon einen Abschluss vorweisen kann, verdient mehr. Zum Vergleich: Das Grundgehalt eines verbeamteten Lehrers in der Besoldungsgruppe A 12 beläuft sich auf 3384 Euro.

Bei der letzten Einstellungsrunde stellte die Stadt zwölf neue Grundschullehrer ein, neun Stellen konnten mangels Bewerbern nicht besetzt werden. Zudem fehlen fünf Sonderpädagogen und sechs Stellen in der Vertretungsreserve. Die Erfolgsaussichten, die Stellen nach einer erneuten Ausschreibungsrunde zum 1. Februar doch noch besetzen zu können, hält Manfred Speil von der Schulverwaltung für gering: „Weil der Markt in allen Schulamtsbezirken unserer Region leer sein dürfte.“

Umso wichtiger sind die 70 in Hagen beschäftigten Studenten: Die Summe der mit ihnen vereinbarten Unterrichtsstunden entspricht der Pflichtstundenzahl von 30 vollbeschäftigten Lehrern.

>>Hintergrund:

  • In Hagen gibt es 28 städtische Grundschulen. Der Lehrerbedarf beträgt aktuell 400,9 Stellen.
  • Aufgrund des akuten Lehrermangels erteilen seit zwei Jahren Studenten Unterricht an den Grundschulen. Ihre Zahl ist inzwischen auf 70 angestiegen.
  • Die Bezahlung erfolgt nach Tarif, die Eingruppierung in der Entgeltgruppe 9 (ohne Ausbildung), 10 (Abschluss Bachelor) oder 11 (Abschluss Master). Die Studenten arbeiten in der Regel mit acht bis 13 Wochenpflichtstunden.
  • Zudem unterrichten zwei voll ausgebildete Lehrer mit der Befähigung für die Sekundarstufe II an einer Grundschule in Hagen. Nach zwei Jahren erhalten sie eine Stelle im Sek-II-Bereich und werden verbeamtet.
  • Aufgrund von Mutterschutz oder Elternzeit sind gegenwärtig über 50 Lehrerinnen in Hagen nicht mit ihrer regulären wöchentlichen Pflichtstundenzahl an ihrer Grundschule tätig.