Hagen-Mitte. Ein Krankenhaus zieht aus. Noch dazu aus einem altehrwürdigen Hagener Gebäude. Ein Rundgang zwischen Umzugskisten, über alte Flure und entlang schweigender Mauern.

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Durch die Fenster grüßt ein stiller Riese. Die hohen Zinnen der Marienkirche sind von vielen Fluren durch die alten Scheiben zu sehen. Man könnte die Mauern interviewen. Sie würden erzählen. Von Menschen, alt und jung. Von Kranken, geheilt und gestorben. Von Verzweiflung, von Wundern. Von Gebeten zu Gott. Marien-Hospital, du alte Hagener Perle, bald bist du gänzlich Geschichte. Ein vorletzter Spaziergang über die alten, verzierten Böden, auf denen so viele Hagener großes Glück und schmerzendes Leid erfahren haben. Ein Bericht inmitten von Umzugskartons.

Hagen ist hier ganz alt. Und gerade deshalb so wunderschön. Das Schild, das auf den Röntgen-Raum hinweist, findet man heute höchstens noch im Antiquitäten-Laden. Türen, Fenster, Böden, Wände – da die Liebe zum Altbau bei einer ganzen Generation von Immobilien-Käufern ja gerade ihre Renaissance erlebt, dürfte dieses Gebäude für viele ein Augenschmaus sein.

Dritte Etage. Personalküche. Schwester Iris Timm gießt starken Kaffee ein, der aber nicht annähernd so stark ist wie die Leistung des Schwestern-Teams hier in den vergangenen Tagen und Wochen. Im Vollbetrieb haben sie auf ihrer Station der Schmerzklinik Patienten betreut und behandelt und gleichzeitig eine Abteilung, in der neben dem Körper auch Psyche und Geist behandelt werden, in Kisten verschwinden lassen. Kisten, die jetzt, am neuen Ort der Schmerzklinik im Johannes-Hospital wieder ausgepackt werden. Es ist vielleicht besser, dass ein Großteil der verantwortlichen Kistenpacker Frauen sind. An der Systematik, den Beschriftungen, den Zuweisungen nach Funktion, sieht man die organisierte Handschrift weiblicher Akribie.

Sieglinde Becker ist eine jener akribischen Schwestern. Sie hat zwar noch nie erlebt, wie ein Krankenhaus plötzlich aufhört ein Krankenhaus zu sein. Den Umzug der Schmerzklinik vor fünf Jahren vom Josefs- ins Marien-Hospital hat sie aber schon mitgemacht. Wie so vieles mehr. Sie hat 1974 als Schülerin angefangen. Im letzten Drittel ihres Arbeitslebens zieht sie jetzt mit ihrer hoch sensiblen Station noch einmal um – und das Marien-Hospital leer. „Es ist so klein, so familiär, so schön, so stadtnah“, sagt sie über das alte Hospital. Und über ihre eigene Situation: „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Veränderungen sind immer Einschnitte. Wir sind neugierig und natürlich hat man auch ein bisschen Angst.“

Wenn ein Krankenhaus umzieht, nimmt das enorme logistische Dimensionen an. Hunderte Umzugskartons werden herausgetragen.
Wenn ein Krankenhaus umzieht, nimmt das enorme logistische Dimensionen an. Hunderte Umzugskartons werden herausgetragen. © WP Michael Kleinrensing | WP Michael Kleinrensing

Gestern zog die Ausstattung der Abteilung um. Heute die Patienten. Betreut und begleitet durch das Schwesternteam. Neben den Stationsräumlichkeiten zieht auch die Schmerzambulanz um. Ab heute Mittag sollen in den neuen Räumlichkeiten im Johannes-Hospital schon wieder die ersten Therapien laufen. Die letzten Stationen, die dann noch im Marien-Hospital bleiben werden, sind die Onkologie und die Geriatrie. Sie ziehen im September um. Dann wird das alte Hospital final abgeschlossen.

Es gibt bereits Flure, auf denen herrscht gespenstische Stille. Wo früher Ärzte, Schwestern, Patienten und Angehörige umher liefen, ist frei nach dem bekannten Schimanski-Tatort „Schicht im Schacht“. An manchen Stationstüren fehlt schon der Griff. Wahrscheinlich, um keinen Nostalgie-Tourismus zuzulassen.

Es ist viel zu schade, diesen alten Hagener Bau, der zwei Kriegen und der bisherigen Stadtentwicklung um ihn herum getrotzt hat, nicht zu erhalten. Die Stadt würde das Gelände gerne kaufen, um es weiter zu entwickeln. Bleibt zu wünschen, dass der Schönheit des Gebäudes auch in Zukunft Rechnung getragen wird.

Mit Merkel-Mentalität

Der Kaffee in der Schwesternküche ist ausgetrunken. Schwester Sieglinde Becker blickt hinauf zur Uhr, die noch nicht in einer Kiste verschwunden ist. „Wir müssten jetzt eigentlich weitermachen“, sagt sie etwas in Eile. Sie und ihre Kolleginnen formen die Hände zur Raute, die Bundeskanzlerin Merkel immer vor sich her trägt. „Wir schaffen das“, sagen sie. Und lachen.