Hagen. . Die Fraktion zu verlassen, aus der Partei auszutreten – dieser Entschluss ist ihm nicht leicht gefallen. Für Michael Grzeschista war es eine der schwierigsten Entscheidungen seines Lebens.
- Heute im Porträt: Michael Grzeschista
- Er wechselte von der SPD in die FDP
- Es war eine der schwierigsten Entscheidungen für ihn
Der Schal, den er trägt, geht ins Gelb. Der Schal, den er trug, war rot. Lange, sehr lange Zeit war er rot. Ein halbes Leben lang war er rot. „35 Jahre“, sagt Michael Grzeschista, „die kann man nicht verstecken. Die Fraktion zu verlassen, aus der Partei auszutreten – dieser Entschluss ist mir nicht leicht gefallen. Das war sehr emotional. Eine Woche der wilden Gefühle.“
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Rückblick eines „Überläufers“, eines Politikers, der die Seiten gewechselt hat: Kommunalwahl im Mai 2014. Ratsherr Michael Grzeschista, zu der Zeit noch Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Eilpe, und die SPD steigern das Ergebnis im Stadtteil um sechs Prozent. „Wenn man das mal überlegt, entsprach unser Zugewinn an Stimmen auch schon dem Stimmenzuwachs, den die SPD insgesamt in der Stadt geholt hat“, sagt Michael Grzeschista rückblickend.
Mails bereiteten schlaflose Nächte
Honoriert werden das Ergebnis und der engagierte Wahlkampf in Grzeschistas Augen keineswegs. Im Gegenteil: Als es um die Besetzung von Ausschüssen und Aufsichtsgremien geht, bleibt der altgediente Genosse auf der Strecke. „Natürlich hat niemand einen Anspruch darauf, dass seine Wünsche auch erfüllt werden“, sagt Grzeschista, „aber mit mir hat man noch nicht einmal gesprochen. Man hat mich vor vollendete Tatsachen gestellt. Und selbst als in einem Gremium noch ein Platz unbesetzt blieb, hat man mir zu verstehen gegeben, dass man mich dort nicht sehen will.“
Für den überzeugten Sozialdemokraten, der schon als Schüler Wahlkampf für Willy Brandt machte, war klar: Das Vertrauensverhältnis ist zerrüttet. „Ich bin die 20 Mitglieder der Fraktion durchgegangen und habe genau überlegt, mit wem ich mir noch eine Zusammenarbeit vorstellen kann“, sagt Grzeschista, der einst mit dem heutigen Landtagsabgeordneten Wolfgang Jörg und dem Bundestagsabgeordneten René Röspel die Gruppe der „G7“ in der Hagener SPD gründete. Eine Gruppe damals jüngerer Sozialdemokraten. Das Ergebnis fällt für ihn ernüchternd aus. „Da war mir klar: Es geht nicht mehr.“ Dabei, so räumt Grzeschista ein, sei er auch persönlich verärgert gewesen.
Seit 1984 mit politischem Mandat
1979 trat Michael Grzeschista, damals noch kein Parteimitglied, im Ratskeller einer SPD-Wählerinitiative bei, die bei den anstehenden Kommunal-, Europa-, Landtags- und Bundestagswahlen Stimmen für die Sozialdemokraten sammeln sollte.
1980 wurde der heutige FDP-Ratsherr Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
1984 zog er im Alter von 26 Jahren für die SPD in die BV Eilpe/Dahl ein, der er zwei Wahlperioden lang angehörte.
Seit 1994 ist er Mitglied des Rates der Stadt. Er holte den Wahlkreis Eilpe (wie auch bei den folgenden Wahlen) direkt.
Schwerpunkte waren und sind unter anderem Stadtentwicklung, Informationstechnologie und Nahverkehr.
Michael Grzeschista („Ich finde, jeder Politiker sollte mit Bus und Bahn fahren“) ist freiberuflich im Bereich Schienennahverkehr und Öffentlicher Personennahverkehr tätig.
Er hat nach dem Abitur Maschinenbau und Sonderpädagogik studiert, dann aber beruflich den Weg in die Wirtschaft eingeschlagen.
Michael Grzeschista war unter anderem Mitglied und Vorsitzender des Betriebsausschusses des Hagener Betriebs für Informationstechnologie (Habit), der Verbandsversammlung des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR), des Bezirksplanungsrats (später Regionalrat), des Stadtentwicklungsausschusses und des Umweltausschusses.
Michael Grzeschista engagiert sich ehrenamtlich als Schöffe am Amtsgericht Hagen. Er war und ist Mitglied unter anderem bei Fichte Hagen, war 16 Jahre lang Kreisvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt, Vorstand im Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), des Vereins für extensive Naturlandschaftspflege, des Vereins Naturerlebnis Marienhof und der Interessengemeinschaft Eilpe.
Das, was ihm da bewusst wurde, auch zu vollziehen – das war der nächste Schritt. „1500 Mails sind innerhalb einer Woche bei mir eingegangen. Ich hatte wirklich schlaflose Nächte“, sagt Grzeschista, der als junger Mann mit einem Schnaps im Parteibüro in Eilpe als neues Mitglied willkommen geheißen wurde, „dann habe ich mich an den Rechner gesetzt und ein Schreiben an den Oberbürgermeister und den Fraktionsvorstand formuliert, es wieder gelöscht, es neu formuliert, es wieder gelöscht, es noch einmal geschrieben, ausgedruckt und dann zerrissen.“
Heimlicher Handschlag
Am Ende brachte Grzeschista die paar Zeilen zu Papier. Und höchstselbst ins Rathaus. Seither ist er kein Mitglied mehr jener Fraktion, der er seit 1994 angehörte. Der Sozialdemokrat mit dem roten Schal, lange Zeit Vorsitzender des Ortsvereins und Vorsitzender der parteinahen Arbeiterwohlfahrt, ist zu einem Liberalen mit gelbem Schal geworden. „Es gibt viele Mitglieder der SPD-Fraktion, die mich nur mit Handschlag begrüßt haben, wenn sie sicher waren, dass uns keiner beobachtet“, sagt er.
Der Genossen-Groll war groß: Auch weil seit dem Abgang die SPD nicht mehr alleine die größte Fraktion stellt. Und weil Grzeschista der FDP, dem der Wähler lediglich zwei Mandate zugedacht hatte, zu einem dritten und damit – nicht unumstritten – zum Fraktionsstatus verhalf.
„Natürlich habe ich in dieser Zeit auch erwogen, ganz mit der Politik aufzuhören“, sagt er, „aber über die SPD-Liste wäre dann jemand nachgerückt, der nicht aus Eilpe kommt. Damit wäre der Stadtteil nicht im Rat vertreten gewesen. Ich lebe in Eilpe, kenne die Menschen und die Probleme. Das hätte ich nicht gewollt.“
Also wird der Sozi zu einem Liberalen. Er tritt der Fraktion bei und später auch der Partei. „Dabei gibt es ja Grundwerte, für die beide Parteien stehen“, sagt Grzeschista, „es ist auch nicht richtig, dass sich in der FDP alles an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientiert. Viele Mitglieder sind auch im sozialen Bereich sehr engagiert.“
Grzeschista ist ein Liberaler, der in einer kleinen Fraktion wesentlich mehr politische Arbeit zu bewältigen hat, als zuvor in Reihen der SPD. „Wir sind ein kleiner Kreis“, sagt er, „aber wir diskutieren Themen sehr intensiv, tauschen Argumente aus und bilden uns eine Meinung. Dabei steht bei uns nicht der Fraktionszwang im Vordergrund.“
In vielen Vereinen aktiv
Wenig einheitlich ist auch das Bild, dass seine ehemalige Fraktion abgibt. Grzeschista erlebt dieser Tage mit, wie die Genossen im Rat sich (nicht zum ersten Mal) selbst zerlegen. Mark Krippner, jener Politiker, der schon an der Spitze der SPD im Rat stand, als Grzeschista den Genossen den Rücken kehrte, steht vor der Abwahl: „Genugtuung empfinde ich nicht“, sagt Grzeschista, der nach eigener Aussage nur ein einziges Mal in mehr als 20 Jahren als Ratsmitglied einen Antrag auf Kostenerstattung eingereicht hat, „ich finde, dass es eher traurig ist, wie sich die SPD wieder einmal präsentiert. Es gibt Mandatsträger, die sich mehr der Partei als den Menschen in der Stadt verpflichtet fühlen. Dabei glaube ich immer noch fest, dass der große Teil der Hagener SPD-Mitglieder sich eine ehrliche, sachorientierte Politik wünscht.“
Eine, die die Basis nicht vergisst. „Politik wir nicht in den Parteien, sondern von den Mitgliedern in den Vereinen gemacht“, sagt Grzeschista, der unter anderem an der Gründung des Vereins Naturerlebnis Marienhof und des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland in Hagen beteiligt war, „da kann man Gespräche führen, Hintergründe erklären und zuhören. Aber es ist eine Krankheit vieler Mandatsträger, in diesen Kreisen in erster Linie Zusagen zu geben und Versprechen zu machen, die sich nicht halten lassen.“