Hagen. . Stadtarchivar Dr. Ralf Blank hat ein privates Tagebuch und dazu das amtliche Kriegstagebuch der Luftschutzleitung Hagen kommentiert herausgegeben – ein Pionier- Projekt.
- Stadtarchivar gibt Kriegstagebücher heraus
- Dr. Blank: Zeitzeugen werden immer weniger
- Luftschutz-Tagebuch durch Zufall erhalten
„Ich renne los durch die brennende Marienstraße und stehe vor dem Kaufhaus Sinn und kann plötzlich nirgendwo mehr hin. Um mich herum Feuer und nochmals Feuer.“ Nach dem ersten Großangriff der Alliierten Truppen am 1. Oktober 1943 liegt Hagen in Trümmern. Der NS-Funktionär Richard Römer hält in seinem Tagebuch die schrecklichen Erlebnisse fest. Jetzt sind sie in Buchform nachlesbar. Stadtarchivar Dr. Ralf Blank hat Römers privates Tagebuch und dazu das amtliche Kriegstagebuch der Luftschutzleitung Hagen kommentiert herausgegeben – ein Pionier- Projekt.
Authentische Aufzeichnungen
Unsere Zeitung hatte im Gedenken an das Kriegsende 1945 vor einigen Monaten täglich in Zusammenarbeit mit Dr. Blank Auszüge aus dem Luftschutztagebuch veröffentlicht – eine Idee, die bei unseren Lesern soviel Zustimmung fand, dass schnell der Vorschlag zu einem Buch kam. „Die Zeitzeugen werden immer weniger. Authentische Quellen wie Briefe und Tagebücher übernehmen nun eine immer wichtigere Funktion bei der Vermittlung von Geschichte“, weiß der Historiker Blank. Besonders spannend ist die Kombination des von Dienst wegen sachlichen Luftschutz-Tagebuchs mit den privaten Aufzeichnungen Römers. Dieser war Parteimitglied seit 1937 und Betriebsobmann der Deutschen Arbeitsfront in den Hagener Stadtwerken, einem NS-Vorzeigebetrieb. „Man merkt, dass dieser Mann gar nicht mehr den Endsiegglauben verkündet, er stand dem Regime zunehmend kritisch gegenüber“, wertet Blank aus. „Römer führte seine Aufzeichnungen bis Anfang 1948 weiter, sie sind auch ein wichtiges Dokument zur frühen Nachkriegszeit.“
„Hilflos steht man vor dem Grauen“
Das Buch „Hilflos steht man vor dem Grauen. Tagebücher aus der Kriegs- und Nachkriegszeit 1943 - 1948“ wurde von Dr. Ralf Blank unter Mitarbeit von Andreas Korthals herausgegeben. Es ist im Klartext-Verlag erschienen, umfasst 296 Seiten und kostet 22,95 Euro.
Das Luftschutz-Tagebuch ist durch Zufall erhalten geblieben, es sollte wie so viele Akten auf Befehl der NS-Bosse verbrannt werden. „Doch der damalige Revier-Oberleutnant der Schutzpolizei Emil Seliger vergrub die Dokumente stattdessen hinter dem Stadthaus II in der Prentzelstraße, dem früheren Gebäude des Amtsgerichts“, so Blank. Bei Seligers Pensionierung gelangten sie ins Stadtarchiv.
Einzigartig in NRW
Mit seinen umfangreichen Beständen gilt das Stadtarchiv als einzigartig in NRW. Die wissenschaftliche Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs ist eine zentrale Aufgabe. „Bücher wie dieses eröffnen einen intimen Blick auf den Alltag der Menschen. Es ist wichtig, gerade angesichts der gegenwärtigen Situation, Quellen von ganz normalen Leuten zugänglich zu machen, die den Schrecken des Krieges zeigen“, unterstreicht Blank. Denn die alliierten Luftangriffe auf Hagen erfolgten nicht aus heiterem Himmel. Sie waren eine Folge des nationalsozialistischen Terrors. „Die Hagener Initiative, beide Tagebücher zu veröffentlichen, muss begrüßt werden, weil sie anregt, auch andernorts in die Sicherung, Auswertung und Dokumentation vergleichbarer Quellen einzutreten“, lobt Wilfried Reininghaus als Vorsitzender der Historischen Kommission für Westfalen das Buch, das mit großzügiger privater Unterstützung realisiert werden konnte.