Hagen. . Der Enervie-Aufsichtsrat will am Montag Weichen stellen. Damit geraten auch Führungsfragen auf die Tagesordnung. Der OB hat sich zum Vorstand bekannt.

  • Der Enervie-Aufsichtsrat will am Montag Weichen stellen
  • Damit geraten auch Führungsfragen auf die Tagesordnung
  • Der OB hat sich bereits zum Vorstand bekannt

Wenn am kommenden Montag, 19. Oktober, Präsidium und Aufsichtsrat der Enervie AG zusammenkommen, geht es um richtungsweisende Weichenstellungen, um das kriselnde Unternehmen im Rahmen des Restrukturierungsprozesses wieder auf gesunde Füße zu stellen. Immerhin hatten die von den Banken losgeschickten Berater aus dem Hause Roland Berger nicht bloß den gewaltigen Liquiditätsbedarf und die konventionelle Erzeugung als Ursachen für die existenzbedrohende Schieflage des Energieversorgers ausgemacht. Darüber hinaus wurden erhebliche strategische und strukturelle Defizite benannt, die offenkundig auf Managementfehlern beruhen.

Dennoch machte Oberbürgermeister Erik O. Schulz, gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender bei Enervie, deutlich, dass er auf eine tiefergehende Ursachenforschung für die Krise und das systematische Hinterfragen von Verantwortlichkeiten aktuell verzichten und lieber nach vorn blicken wolle. Gleichzeitig sprach er Wolfgang Struwe und Erik Höhne, die als Alt-Vorstände das Unternehmen in die nächsten Jahre führen sollen, das volle Vertrauen aus. Ein Bekenntnis, das aus Arbeitnehmerkreisen längst nicht mehr zu vernehmen ist. Die Belegschaft, die im Rahmen der Krise um etwa 450 Köpfe reduziert werden soll, setzt auf einen personellen Neuanfang mit einem Enervie-Vorstand.

Die Stadtredaktion hat vor diesem Hintergrund die Ratsfraktionen gebeten, sich zur aktuellen Situation bei Enervie zu positionieren.

Das sagt die SPD:

Nesrin Öcal
Nesrin Öcal © WP

Nesrin Öcal (stellv. Fraktionsvorsitzende): Die SPD-Fraktion hält eine umfassende Aufarbeitung der Enervie-Krise für zwingend geboten, um eine glaubhafte Neuausrichtung des Unternehmens zu gewährleisten. Dass der Aufsichtsratsvorsitzende die Frage nach der Verantwortlichkeit des gesamten Vorstandes und des Aufsichtsrates einfach im Basta-Stil aussitzen will, widerspricht unserem Amtsverständnis. Insbesondere bei den Arbeitnehmern sowie den Anteilseignern des Unternehmens gewinnt man so verloren gegangenes Vertrauen nicht zurück. Der OB ist nicht gut beraten, wenn er ohne Absprache mit dem Rat der Stadt Hagen als größtem Enervie-Anteilseigner einfach so im luftleeren Raum agiert. Doch genau das tut er, wenn er ohne Rücksprache mit dem Rat schützend seine Hand über die Vorstände Erik Höhne und Wolfgang Struwe hält. Dies ist umso unverständlicher, da die Unternehmensberater von Roland Berger zuletzt attestiert hatten, dass die Enervie bereits 2012 in wirtschaftliche Turbulenzen geriet und nicht ausreichend gegengesteuert wurde. Zu dieser Zeit waren auch diese beiden Vorstände schon in Amt. Auch die Zukunft und Existenzen der Enervie-Mitarbeiter scheinen für Oberbürgermeister Schulz nicht sonderlich von Interesse zu sein. Sind es doch auch die beiden von ihm geschützten Vorstände, die Gesprächen ausweichen.

Das sagt die CDU:

Wolfgang Röspel
Wolfgang Röspel

Wolfgang Röspel (Fraktionschef): Eine Rückschau ist selbstverständlicher Teil jeder Aufarbeitung. Dazu gehört die Wahrheit, dass der Energiemarkt nicht in Hagen gemacht wird. Nach Fukushima wollte Deutschland rasch raus aus der Kernenergie. Erkauft wurde diese zweite Energiewende mit gesetzlich festgelegten Preisverzerrungen zu Gunsten von Wind- und Solarstrom. Gleichzeitig blieb die Enervie der Versorgungssicherheit verpflichtet. Das Dilemma aus Leistungspflicht und fehlender Finanzierung beutelt derzeit viele Erzeuger. Daher müssen wir auch zwischen Verantwortung und Schuld unterscheiden. Wer im Vorfeld einer begrenzt planbaren Zukunft Entscheidungen trifft, übernimmt Verantwortung. Auch die sauberste Planung kann nicht alles einschätzen. Zur Rechenschaft müsste gezogen werden, wer die Enervie achtlos oder gezielt in diese Situation geführt hätte. Würde die Rückschau dafür Anhaltspunkte liefern, würden die zuständigen Gremien der Enervie und der Rat die entsprechenden Schritte einleiten. Grundsätzlich regen wir an, die Zahl der Vorstände auf zwei zu reduzieren. Zunächst haben die Sicherung möglichst vieler Arbeitsplätze und die Zukunft der Enervie Priorität. Hier macht Christoph Köther hervorragende Arbeit. Rechtzeitig vor dessen geplanter Rückkehr zur HVG werden die Unternehmensgremien entscheiden, wer die Aufgabe des Vorstandssprechers übernimmt.

Das sagen die Grünen:

Jochen Riechel
Jochen Riechel © WP

Jochen Riechel (Fraktionssprecher): Eine kritische Rückschau und die konsequente Aufarbeitung der Entwicklung der Enervie sind Voraussetzungen für die Akzeptanz des erzwungenen Restrukturierungsprogrammes, das von allen Anteilseignern, Gläubigern, Kunden, Mitarbeitern, Vorständen und Aufsichtsräten getragen werden muss. Das Unternehmen muss im Rahmen eines strengen, von den Gläubigerbanken vorgegebenen Konzeptes einen Neuanfang finden. Natürlich muss geklärt werden, welche Fehler von wem zu welchem Zeitpunkt gemacht worden sind und welche Entscheidungen in welchem Ausmaß zu der Fehlentwicklung beigetragen haben. Eine solche Analyse wird gewiss Verantwortlichkeiten für die Fehlentwicklung der Enervie zeigen. Aber die Notlage ist nicht hausgemacht: Die wirtschaftliche Entwicklung erzeugender Energieunternehmen ist überall kritisch, und durch die bundespolitische Fehlsteuerung der notwendigen Energiewende ist erkennbar eine paradoxe Entwicklung am Energiemarkt eingetreten: Hocheffiziente Erzeugungsanlagen arbeiten nicht mehr kostendeckend und müssen stillgelegt werden – mit der Folge erheblicher Arbeitsplatz- und Ertragsverluste. Lokale Managementfehler können diese Fehlentwicklungen verschärft haben, sind aber kaum die Ursache. Ein glaubhafter Neuanfang der Enervie kann nur gelingen, wenn es neben einer wirtschaftlichen Neuausrichtung und einem neuen Geschäftsmodell zugleich auch einen sozialverträglichen Umbau des Unternehmens gibt.

Das sagt Hagen Aktiv:

 Josef Bücker
Josef Bücker © WP

Josef Bücker (Fraktionsvorsitzender): Die betriebsbedingte Entlassung von über 450 Mitarbeitern kann nicht einfach so sang- und klanglos an den verantwortlichen Vorständen vorbeirauschen – nach dem Motto: Augen zu und durch. Auch der Aufsichtsrat muss sich die Frage gefallen lassen, ob er seiner Aufsichtspflicht genügt hat oder ob er die Zeichen der Energiewende-Zeit schlicht verschlafen hat. Die Ursachen jetzt allein beim ,schlechten Wetter für Energieversorger’ zu suchen, greift in unseren Augen zu kurz. Sollte noch keine strukturierte Fehleranalyse vorgenommen worden sein, muss das schleunigst geschehen. Notfalls sind externe Stellen mit der Beurteilung zu beauftragen.

Das sagen die Linken:

Elke Hentschel
Elke Hentschel © WP

Elke Hentschel (Fraktionsvorsitzende): Die Linke hält eine Aufarbeitung der gesamten Vorgänge rund um Enervie für zwingend erforderlich. Die jetzige Situation ist unserer Meinung nach durch jahreslanges Missmanagement entstanden. Man muss sich in diesem Zusammenhang auch die Frage stellen, warum der Aufsichtsrat jahrelang die offensichtlich falschen Entscheidungen mitgetragen hat. Die Aufgabe eines jeden Aufsichtsratsmitgliedes muss u.a. auch darin bestehen, das Unternehmen zu kontrollieren, und unternehmerische Entscheidungen kritisch zu hinterfragen. Diese Grundsätze eines Aufsichtsrates sind hier offensichtlich jahrelang nicht angewandt worden. Wir hoffen, dass die langjährigen Enervie-Aufsichtsratsmitglieder ihr Handeln noch einmal überdenken, und sich selbst kritisch hinterfragen, ob sie noch die richtige Besetzung in diesen Krisenzeiten bei der Enervie sind. Wir erwarten, dass die Entscheidungen der Vorstände in den letzten Jahren unbedingt einer wirtschaftlichen Prüfung unterzogen werden müssen. Sollte der Vorstandsebene gravierende Versäumnisse nachgewiesen werden können, sind hier personelle Konsequenzen zu ziehen. Wobei darauf zu achten ist, dass nicht, wie bei Herrn Ivo Grünhagen geschehen, utopisch hohe Abfindungen für die Führungsebene bezahlt werden. Die Leidtragenden der Fehlentscheidungen des Managements und des Aufsichtsrates sind offensichtlich die Arbeitnehmer des Unternehmens.

Das sagt die AfD:

Michael Eiche
Michael Eiche © WP

Michael Eiche (Fraktionschef): Die Daseinsvorsorge gehört in öffentliche Hand. Daher ist eine konsequente Aufarbeitung der existenzbedrohenden Situation bei der Enervie AG einzufordern und die Verantwortlichen – gerade auch auf Vorstandsebene – sind konsequent zur Rechenschaft zu ziehen. Denn es ist zu befürchten, dass weiterhin leichtfertig weiteres, existenzielles Vermögen der Stadt Hagen vernichtet wird und weitere Steuergelder nachgeschossen werden müssen. Das gilt es zu vermeiden. Bei aller Kritik an dem Vorstand und der wenig zukunftsorientierten Unternehmensstrategie der Enervie AG muss die Öffentlichkeit gleichwohl zur Kenntnis nehmen, dass die Krise der Enervie eine Krise der Energieerzeuger generell ist und zwar angesichts einer ideologiebeladenen, wenig effizienten Energiewende.

Das sagt die FDP:

Claus Thielmann
Claus Thielmann © WP

Claus Thielmann (Fraktionschef): Natürlich ist eine umfassende Aufarbeitung notwendig. Diese muss allerdings dem Ziel dienen, dass das Unternehmen gestärkt aus der Krise geht. Öffentliche Spekulationen und Schuldzuweisungen sind nicht dienlich. Zwar ist die aktuelle Situation nicht ohne interne Fehler zu erklären, es ist aber auch nicht von der Hand zu weisen, dass das Unternehmen als regionaler Versorger kaum Einfluss auf die schwierige Entwicklung im Energiemarkt hat. Eine Rückschau kann daher nur zum Erfolg führen, wenn durch Landes- und Bundespolitik endlich den schweren Fehlentwicklungen bei der Energiewende entgegengetreten wird. Wenn sich im weiteren Prozess der Aufarbeitung und Konzernsanierung Anhaltspunkte ergeben, dass das Unternehmen durch die Geschäftsleitung fahrlässig oder sogar vorsätzlich in diese Situation geführt wurde, müssen die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden. Wir sind überzeugt, dass die zuständigen Kontrollgremien hier ihrer Aufgabe vollumfänglich nachkommen. Allerdings ist es im Rahmen des laufenden Sanierungsprozesses nach nicht zielführend, über weitere personelle Konsequenzen zu diskutieren, vor allem da die handelnden Akteure momentan auf einem guten Weg sind. Ob eine Veränderung der personellen und organisatorischen Ausrichtung des Vorstandes notwendig ist, wird sich ergeben.