Hagen. . Hagens Generalmusikdirekter Florian Ludwig über die Tücken von Oper-Produktionen: „Das Musiktheater ist der größte Kompromiss in der Menschheitsgeschichte.“

„Das Musiktheater ist der größte Kompromiss in der Menschheitsgeschichte.“ Diesen Satz muss man erst einmal sacken lassen. Florian Ludwig hat ihn gleich zu Beginn des Gesprächs mit dieser Redaktion förmlich aus dem Ärmel geschüttelt. Und es ist dem Hagener Generalmusikdirektor sehr ernst damit.

„Es ist doch einfach so“, sagt der Musen-Mann, „die Sänger hören das Orchester unten im Graben nicht richtig, die Instrumentalisten sehen ihrerseits die Sänger auf der Bühne kaum. Die Bühnenbilder dahinter sollen sich von der Wirkung auf das Publikum mit Blockbuster-Szenen im Kino messen können. Zusammen soll das alles höchste menschliche Emotionen von größtmöglicher Allgemeingültigkeit transportieren. Und die Musik soll schließlich noch so etwas wie eine göttliche Ebene bilden.“

Wer das erreichen will, der könne dies nur durch die Kompromissbereitschaft aller Beteiligten schaffen. Davon ist der Hagener GMD zutiefst überzeugt, und nach dieser grundsätzlichen Erkenntnis richtet er all sein Streben und Mühen aus.

Aber diese Kompromissfähigkeit ist denn auch der solide Boden, auf dem die Musiktheaterkunst gedeihen kann. Gerade auch in Hagen; das weiß und das schätzt Florian Ludwig so sehr an seinem Haus.

Nachwuchs aus dem eigenen Chor

"Nehmen sie beispielsweise jetzt einmal die Premiere von Mozarts ,Zauberflöte’ am kommenden Samstag bei uns“, erklärt Ludwig, der die musikalische Leitung der Inszenierung hat: „Unsere jüngsten Sängerinnen sind gerade einmal elf Jahre alt, die ältesten Musiker gehen deutlich auf die Rente zu. Im ganzen Theater arbeiten Menschen aus gut 40 Nationen mit verschiedenen Hautfarben aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen. Russen, Chinesen, Brasilianer, Niederländer, Amerikaner, Japaner, Deutsche und viele mehr. Und alle vertragen sich blendend.“

Natürlich gebe es dann und wann menschliche Reibereien, nie aber habe er jemals politischen, rassistischen oder nationalistischen Streit unter den Künstlern erlebt, so Florian Ludwig. Das mache ihn stolz und vor allem zuversichtlich: „Wir sind eine funktionierende Gesellschaft, wie ein Mikrokosmos. Uns eint die gemeinsame Sache, für die wir arbeiten, für die wir bereit sind, Kompromisse einzugehen. Ja, wir sind in diesem Sinne wie das Modell einer Idealgesellschaft.“

Und auch das sagt der Generalmusikdirektor, nicht zuletzt im Hinblick auf die gegenwärtige Flüchtlingssituation: „Neulinge sind bei uns stets willkommen. Sie werden sofort aufgenommen, und man hilft ihnen, wo es geht.“

Eine wahnsinnige Herausforderung

Die drei Knaben für die „Zauberflöte“ hat Florian Ludwig übrigens aus dem eigenen Kinder- und Knabenchor aussuchen können. In einer Soloklasse werden dort die Talentiertesten besonders gefördert: „Ihr Auftritt am Samstag ist natürlich eine wahnsinnige Herausforderung für die Kinder. Sie haben viele Monate dafür geprobt und dabei ein hohes Maß an Disziplin und Ehrgeiz entwickelt. Auch das leistet unser Theater, auch das macht es so wertvoll für die ganze Stadtgesellschaft.“

Aus dem Jugendchor kommt auch Amelie Petrich. Anfang 20 ist sie alt und wird als Papagena nach ihrem Gesangsstudium in Mannheim jetzt ihr erstes Engagement überhaupt bekommen.

„Die Bedeutung des Theaters ist eben nicht nur mit Zahlen zu bemessen“, betont Florian Ludwig auch in Richtung drohender Sparmaßnahmen: „Wir sind ein Schmelztiegel der Generationen und Kontinente. Unsere Kulturarbeit ist so viel mehr als die bloße Summe aller Aufführungen, denn wir wirken auf vielfältigste Weise tief in die Gesellschaft hinein.“