Hagen. Jugendamtsleiter Reinhard Goldbach und Christian Goebels vom Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) sprechen über die Entwicklungen in Hagen und die Arbeit des Fachbereichs.
Rund 180 Kinder sind in Hagen aktuell in einem Heim untergebracht. Weitere rund 190 Kinder befinden sich in einer Maßnahme im Bereich der ambulanten Hilfen. Von der Hilfe bei der Alltagsbewältigung überforderter Eltern bis zur akuten Kindeswohlgefährdung: Jugendamtsleiter Reinhard Goldbach und Christian Goebels vom Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) sprechen über die Entwicklungen in Hagen und die Arbeit des Fachbereichs.
Erfahrene für Kinderpflege gesucht
Die Bereitschaftspflege, bei der Säuglingen, Kleinkindern und Kindern in Notsituationen ein geschützter Lebensraum auf Zeit geboten wird, wird in Hagen vom Sozialdienst katholischer Frauen organisiert.
Paare, Personen und Familien mit Erfahrung in der Betreuung von Kindern, die Lust und Zeit haben, bei der Bereitschaftspflege mitzuwirken, können sich an den Sozialdienst katholischer Frauen wenden, Hochstraße 83b, in Hagen, oder unter der Nummer 36 74 30. E-Mail an: info@skf-hagen.de. Weitere Informationen unter www.skf-hagen.de
Fachberatung Kindeswohl
Die Fachberatung Kindeswohl im Beratungszentrum am Ring, Märkischer Ring 101, berät Personen, die zur Gruppe der „Berufsgeheimnisträger“ gehören.
Zum Beispiel als Lehrer, Arzt, Psychologe, Sozialarbeiter oder Sozialpädagoge. Oder Personen, die in anderen Kontexten beruflich im Kontakt mit Kindern und Jugendlichen stehen und zum Beispiel als Trainer im Sportverein den Verdacht haben, dass bei einem Kind eine Kindeswohlgefährdung vorliegt und bei der Gefährdungseinschätzung und der Planung weiterer Schritte fachliche Beratung in Anspruch nehmen wollen.
Beraten wird auf Grundlage anonymisierter Daten. Kontakt: 207 4500 oder E-Mail an fachberatung-kindeswohl@stadt-hagen.de.
Priorität: die richtige Entscheidung
„Im Einzelfall spielen die Kosten nicht die entscheidende Rolle“, sagt Goldbach, „sondern die richtige Entscheidung.“ Die Unterbringung eines Kindes in einer stationären Heimeinrichtung kostet etwa 5000 bis 8000 Euro monatlich. Tritt ein schweres Problem, zum Beispiel akute Kindeswohlgefährdung, in einer Familie mit drei oder vier Kindern auf, kann die Unterbringung der Kinder die Stadt jährlich bis zu einer halben Million Euro kosten.
Weswegen zum Beispiel kritische Pädagogen, die sich in der Stadtredaktion gemeldet haben, sagen, dass in Hagen zunehmend weniger Kinder untergebracht würden, weil die Kosten der Unterbringung zu hoch seien. Dem hält Goldbach klar entgegen: Es gebe kein streng gedeckeltes Budget. Die richtige Entscheidung im Einzelfall habe höchste Priorität.
Jugendämter auf dem Prüfstand
Christian Goebels ist seit 28 Jahren beim Hagener Jugendamt und somit ein sehr erfahrener Mitarbeiter in der Behörde. Er weiß, wie sehr der Beruf auch mal an die Substanz gehen kann. Vor allem, wenn Kinder vernachlässigt werden. „Die Zahl der Kinder, die wir in Obhut nehmen, steigt“, sagt er. Rund 180 Kinder seien aktuell in Hagen stationär in einem Heim untergebracht. Im ambulanten Bereich, dem Bereich der flexiblen Hilfen zum Beispiel, sind es etwa 190 Fälle. Darunter fallen zum Beispiel überforderte Eltern, die Hilfe bei der Lebens- und Alltagsbewältigung benötigen oder Hilfe beim Aufbau von Alltagsstrukturen.
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„Jugendämter stehen immer auf dem Prüfstand“, sagt Goebels, „wir befinden uns immer in einem schwierigen Abwägungsprozess.“ Der Graubereich, wie er es nennt, die Fälle, die irgendwo zwischen leichten Hilfen und akuter Gefährdung liegen, sei groß in Hagen.
Im Bereich der Ambulanten Hilfen entscheide das Jugendamt gemeinsam mit den Organisationen oder beteiligten Hilfsinstitutionen in der Stadt, wie es mit den Kindern weitergeht. Bei stationären Unterbringungen entscheidet ein Gremium gemeinsam und stets nach intensiven Analysen.
Unterbringung sollte wohnortnah sein
Wohnortnahe Unterbringung sei dabei ein wichtiges Ziel, sagt Christian Goebels, und geht nur am Rande auf den Jugendamt-Skandal in Gelsenkirchen ein. Dort stehen die Leiter in Verdacht, bei der Unterbringung von Heimkindern in Ungarn mittels eines komplizierten Geflechts zwischen dem Träger eines Kinderheims, Mitarbeitern des Kinderschutzbundes und einer privaten Firma, in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben. „Die Jugendlichen zu Maßnahmen ins Ausland zu schicken, halte ich generell für schwierig, weil man dort nicht eingreifen kann, wenn es Probleme gibt“, so Goebels.
Nach Inobhutnahmen von Kindern, die immer durch einen Familienrichter bestätigt werden müssen, sei es langfristig stets das Ziel, die Kinder wieder in die Familie zu integrieren. Was bei Vernachlässigungen von Kindern durch gezielte Maßnahmen sicherlich einfacher ist, als wenn Kinder in eine Familie zurückkehren sollen, in der sie zum Beispiel geschlagen werden. Etwas mehr als die Hälfte aller Meldungen in Sachen Kindeswohlgefährdung bestätigen sich in Hagen.
Der Begriff der Kindeswohlgefährdung
Häufige und wiederholte körperliche Gewalt wird als Kindeswohlgefährdung angesehen. Die Gefährdung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Es bedarf der Auslegung durch die Rechtsprechung.
Bei einer Kindeswohlgefährdung stehen dem Familiengericht gegenüber Eltern unterschiedliche Eingriffsmöglichkeiten zur Verfügung. Von Weisungen oder Verboten bis zur teilweisen oder vollständigen Entziehung des Sorgerechts.
Oft werden dabei auch Hilfen angeboten, die aus dem Katalog der Hilfen zur Erziehung stammen.
Grundsätzlich gelte das Vier-Augen-Prinzip, die betroffenen Kinder oder Familien werden immer von zwei Jugendamtsmitarbeitern in Augenschein genommen. Die meisten Inobhutnahmen finden am Wochenende statt, wenn Eltern, möglicherweise auch alkoholisiert, über die Stränge schlagen. Rund 100 Meldungen in Sachen Kindeswohlgefährdung erreichen das Jugendamt jedes Jahr. Es sind meistens aufmerksame Nachbarn, die das Jugendamt über die Vorfälle informieren.
Zu wenige Bereitschaftspflegefamilien
Ein Problem dabei: In Hagen gibt es aktuell nur acht Bereitschaftspflegefamilien, wo Kinder, deren Wohl dringend gefährdet ist, vorübergehend untergebracht werden können. Häufig sind diese Familien sogar doppelt belegt.
„Wir freuen uns über weitere Familien, die sich dazu bereit erklären würden“, sagt Goebels. Doch selbst wenn die Zahl der Bereitschaftspflegefamilien hoffentlich zeitnah steigen würde, würde das nicht das Problem beheben, dass die dort untergebrachten Kinder eine viel zu hohe Verweildauer in den Bereitschaftspflegefamilien haben. Was unter anderem dafür sorgt, dass die Kinder eine starke Bindung zu der Familie aufbauen und später wieder aus einem Umfeld herausgenommen werden müssen, in dem sie Vertrauen und Zuneigung aufgebaut haben.
Gutachter hinzuziehen
Die Verweildauer in den Bereitschaftsfamilien ist unter anderem so hoch, weil die schwer beanspruchten Familiengerichte in den meistens Fällen einen Gutachter hinzuziehen. Ein Gutachten kostet Zeit. Wertvolle Zeit. Wobei Christian Goebels dazu sagt: „Wir haben in Hagen ein sehr gutes Verhältnis zu den Familienrichtern. Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut.“
Etwa 70 Mitarbeiter sind aktuell im Jugendamt beschäftigt. Eine Anzahl an Stellen, über die sich die Behörde laut ihrem Leiter Goldbach nicht beschweren könne. Wenngleich es in manchen Fällen zu Umverteilungen von Zuständigkeiten kommen kann, die von Betroffenen natürlich besonders sensibel wahrgenommen werden. „Ja, wir haben einige Wechsel im Jugendamt. Aber nicht mehr als in anderen Fachbereichen. Das Verhältnis von Mitarbeitern und Fällen stimmt.“
Es sei nicht schön, wenn Fallzuständigkeiten wechseln würden, man könne es aber nicht ändern. „Aber jemand, der sagt, dass die Kommune am Jugendamt spart, weil sie pleite ist, der irrt. Wir haben keine Beanstandungen an unseren Arbeitsstandards in Hagen.“