Hagen. . Zur Sondersitzung tritt heute in Hagen der Enervie-Aufsichtsrat zusammen. Im Mittelpunkt steht die technisch nun doch mögliche Auflösung der Strom-Insellage Südwestfalen.

Wenn am heutigen Dienstag um 15 Uhr der Aufsichtsrat der Enervie AG zu seiner eilig einberufenen Sondersitzung zusammentritt, dürfte die eigentliche Botschaft die Teilnehmer kaum noch überraschen: Vorbehaltlich letzter Detailfragen scheint es zeitnah nun doch möglich zu sein, die südwestfälische Strominsel netztechnisch mit dem Rest der Republik zu verbinden. Damit können die verlustbringenden Enervie-Kraftwerke in der Region sofort abgeschaltet und müssen nicht länger weiterbetrieben werden, bis die Energieversorgung dann im Jahr 2020 mit Hilfe des neuen Amprion-Umspannwerks in Garenfeld gewährleistet ist.

Weitaus spannender dürften für die Aufsichtsratsmitglieder jedoch die Antworten auf die zahlreichen offenen Finanz-Fragen sein. Denn durch die fundamentale Veränderung der Strominsel-Thematik wird nicht bloß die bislang angedachte, ohnehin umstrittene mittelfristige Finanzplanung der Enervie-Gruppe faktisch pulverisiert, sondern auch der gerade in der Endabstimmung befindliche 2014er-Jahresabschluss wird in weiten Teilen auf links gedreht und muss eventuell sogar neu aufgeschnürt werden.

Netzentgelte können wieder sinken

Der Enervie-Aufsichtsratsvorsitzende, Hagens Oberbürgermeister Erik O. Schulz, hatte am vergangenen Donnerstag die Botschaft öffentlich gemacht, dass sich eine Lösung für die Strominsel-Problematik auftue. Unter dem Druck der Bundesnetzagentur hatten die vorgelagerten Netzbetreiber (Amprion, AVU, Westnetz), die zuletzt weniger durch ausgeprägten Kooperationswillen aufgefallen waren, plötzlich einen gangbaren Weg entwickelt, Enervie aus der Inselnetz-Bredouille herauszuhelfen. Damit werden auch die bereits erhöhten Netzentgelte, die den defizitären Weiterbetrieb der Kraftwerke abfedern sollten und vor allem bei energieintensiven Wirtschaftsunternehmen auf massive Kritik stießen, überflüssig.

Mit dem Aus der Kraftwerke stehen aber auch bis zu 350 Arbeitsplätze der in der Erzeugungssparte Beschäftigten schlagartig zur Disposition. Ob diese Mitarbeiter mit einem Sozialplan rechnen dürfen – der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Thomas Majewski rechnet ein Volumen von 100 Millionen Euro vor – oder aufgrund der Aufgabe eines kompletten Geschäftsfeldes sogar betriebsbedingte Kündigungen im Raum stehen, möchten die Aufsichtsräte ebenfalls erfahren. Ebenso wird Enervie-Vorstandssprecher Ivo Grünhagen beantworten müssen, in welchem Umfang dafür bereits auskömmliche Rückstellungen gebildet wurden oder ob es gar ausreichende Mittel für den Rückbau der Kraftwerksanlagen gibt.

Warnungen vor radikalem Schnitt

Parallel mehren sich im Umfeld des Aufsichtsrates jene Stimmen, die vor einer Schließung aller Kraftwerke und einem radikalen Bilanz-Schnitt, wie ihn Grünhagen als klares Signal an die Banken favorisiert, ausdrücklich warnen. So würden, so der Tenor der Kritiker, bereits in wenigen Jahren Reserve-Kraftwerksstandorte benötigt, um regenerative Technologien abzusichern. Hier wäre beispielsweise das Gas- und Dampfkraftwerk in Herdecke mit seiner hochmodernen Technologie ein prädestinierter Standort, der sich mit relativ geringem Aufwand für wenige Jahre einmotten ließe. So plant das Energieunternehmen Statkraft, deutsche Tochter eines norwegischen Staatskonzern und gemeinsam mit Enervie Betreiber der Herdecker Anlage, keineswegs, das gesamte Kraftwerk abzuschreiben.

Ein Kurs, der jene Aufsichtsratsmitglieder bestärkt, die ohnehin erhebliche Zweifel an einem Radikalschnitt hegen und für eine sanftere Abschreibungspraxis mit Augenmaß plädieren. Allen voran u.a. auch der einzige private Anteilseigner Remondis (19,06 Prozent), der erst im vergangenen Jahr für etwa 60 Millionen Euro das RWE-Aktienpaket übernahm. Eine unternehmerische Entscheidung des Lünener Entsorgungsriesen, die natürlich nicht erst am Sankt-Nimmerleinstag Profit abwerfen soll. Schüttet Enervie aufgrund des Grünhagen’schen Bereinigungskurses auf absehbare Zeit keine nennenswerte Dividende aus, werden auch bei Remondis die Besitzer irgendwann unruhig.