Hagen. Sollte die Insel-Situation des südwestfälischen Stromnetzes in den nächsten Tagen in Hagen beseitigt werden, drohen bei Enervie viele Entlassungen.

Was bei den Stromkunden in der Region – allen voran bei den energieintensiven Unternehmen – als frohe Kunde auflaufen dürfte, treibt den Mitarbeitern der Enervie-Gruppe die Sorgenfalten auf die Stirn: Sollte sich in den nächsten Tagen bestätigen, dass es womöglich doch eine kurzfristige Lösung gibt, die isolierte Insellage des Enervie-Stromnetzes in Südwestfalen aufzubrechen, wären nicht nur die verlustbringenden Kraftwerke des Energieversorgers plötzlich sofort abstellbar, sondern auch bis zu 350 Mitarbeiter des Unternehmens verzichtbar.

Eine Entwicklung, die seit diesem Freitag für erhebliche Unruhe in der Enervie-Belegschaft sorgt, zumal sich bis zur Sondersitzung des Aufsichtsrates am Dienstag der kommenden Woche keine klare Faktenlage abzeichnet. „Insbesondere in den Kraftwerken herrscht sehr viel Angst und Bammel“, beschreibt Gesamtbetriebsratsvorsitzender Thomas Majewski die Stimmung, „und das ist berechtigt.“

Verantwortliche geben sich bedeckt

Oberbürgermeister Erik O. Schulz, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Enervie-Gruppe, hatte am Donnerstagabend den Haupt- und Finanzausschuss informiert, dass Vorstandssprecher Ivo Grünhagen ihn über diese sich überraschend auftuende technische Entwicklung in Kenntnis gesetzt habe. Für weitergehende Aussagen zu den Details und den Konsequenzen für das Unternehmen stehen weder der Vorstand noch der Verwaltungschef bis zur Sitzung des Aufsichtsgremiums zur Verfügung.

Millionen-Verluste durch Kraftwerksvorhaltung

Weite Teile des Enervie-Kraftwerksparks werden aufgrund der Insellage des regionalen Verteilnetzes zur Sicherstellung der Stromversorgung in der Region benötigt, denn die Last im Netzgebiet von Enervie Asset-Network übersteigt in weiten Teilen des Jahres die Kapazität der Koppelstelle zum Übertragungsnetzbetreiber Amprion in Garenfeld.

Das bedeutete bislang, es konnte aufgrund technischer Restriktionen nicht ausreichend Strom zur Versorgung der Region aus dem Übertragungsnetz bezogen werden.

Im Ergebnis mussten daher die Enervie-Kraftwerke, die zuletzt ein Jahresminus von etwa 50 Millionen Euro produzierten, lediglich noch betrieben werden, um die Stromversorgung für Industrie, Gewerbe und Haushalte sicherzustellen. Die dafür entstehenden Kosten spiegeln sich in einer deutlichen Erhöhung der Netzentgelte wider.

Nach Informationen dieser Zeitung scheint inzwischen eine relativ unaufwändige technische Möglichkeit gefunden zu sein, die es Enervie zum einen ermöglicht, die aufgrund der Energiewende ineffektiv gewordenen konventionellen Kraftwerke unwiderruflich abzuschalten und zum anderen durch externe Einspeisung die Versorgungssicherheit in Südwestfalen zu garantieren. Bislang war dieses Szenario von allen Beteiligten, vor allem den umliegenden Netzbetreibern der Region, immer ausgeschlossen worden.

Lösungen wurden umgesetzt

Offenkundig scheint jedoch inzwischen der vorweihnachtliche Berlin-Besuch von Enervie-Vorstand Grünhagen bei Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel Wirkung zu zeigen. Damals hatte sich der Manager mit Wirtschaftsvertretern als Botschafter der gesamten Region in der Hauptstadt dafür eingesetzt, eine finanzielle Entlastung der Kunden innerhalb der südwestfälischen Strominsel zu erwirken. Aufgrund von unmissverständlichen Hinweisen aus dem Haus der Bundesnetzagentur soll es zwischen den Technikern von Enervie, Amprion, AVU und der RWE-Tochter Westnetz daher inzwischen gelungen sein, den Versorgungsknoten zu durchschlagen.

Von letzten Detailfragen abgesehen, so ist aus Haßley zu hören, haben die Experten eine lange Zeit undenkbare Lösung nun doch umgesetzt. Vorbehaltlich sämtlicher vertraglichen und regulatorischen Fragen der Beteiligen, könnte somit das endgültige Aus der Enervie-Kraftwerke innerhalb weniger Monate bevorstehen. „Ich habe Hinweise, dass die technische Lösung mit hoher Wahrscheinlichkeit bis Ende des Jahres steht“, rechnet Majewski fest mit diesem Schritt.

Die Kosten

Mit allen Konsequenzen für die dort beschäftigten Enervie-Mitarbeiter. Während das Unternehmen das Ende der Stromerzeugung in die Finanz- und Unternehmensplanung bislang für das Jahr 2020 eingetaktet hat und für die entsprechenden Sozialplankosten glaubte, sechs Jahre lang Rückstellungen aufbauen zu können, werden die erforderlichen Millionen-Beträge jetzt womöglich schon innerhalb der nächsten zwölf Monate fällig.

Ein geordneter Ausstieg wurde damit durch die jüngste Entwicklung geradezu pulverisiert. Insider sprechen von immerhin 75 Millionen Euro für einen adäquaten Sozialplan, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende geht sogar von 100 Millionen Euro aus. Geld, das der aufgrund der Verwerfungen durch die Energiewende ohnehin um Liquiditätsfluss und Eigenkapitalquote ringende Energieversorger trotz aller eingefädelten Kostensenkungsprogramme nur mit Mühe aufbringen kann. Die ohnehin unschöne Bilanz des Bereinigungsjahres 2014 würde damit empfindlich zusätzlich belastet.

Forderungen des Betriebsrates

Majewski formuliert derweil die klare Forderung: „Es müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, die Kollegen im Unternehmen unterzubringen“, erwartet er, dass sämtliche Fremdvergaben der Enervie an Drittfirmen auf den Prüfstand kommen. „Die Existenzsicherung der Mitarbeiter muss Priorität haben.“

Immerhin drohe den Beschäftigten, so der Betriebsratschef, jetzt nicht etwa ein sozialverträgliches Ausscheiden, sondern Abfindungen, Transfergesellschaft und womöglich am Ende häufig auch die Arbeitslosigkeit. Über alle weiteren Details sollen die Enervie-Beschäftigten am kommenden Mittwoch nach der Sondersitzung des Aufsichtsrates vom Vorstand und den Arbeitnehmervertretern informiert werden.