Hagen-Wehringhausen. . Der Bau der Ennepe-Brücke für die Bahnhofshinterfahrung bleibt kompliziert. Das Gezerre geht dank geplatztem Vergleichs in die nächste Runde.

Das rosafarbene Haus, das der Bahnhofshinterfahrung im Weg steht, bleibt für mindestens zwei weitere Jahren stehen. Die Mieter haben den in der vergangenen Woche vor dem Hagener Landgericht ausgehandelten Vergleich gestern Morgen fristgerecht widerrufen. Damit kommt jetzt ein juristisches Verfahren in Gang, das womöglich bis zum Bundesgerichtshof führen kann. Zum Auftakt wird das Landgericht am heutigen Donnerstag einen Urteilsspruch zur Räumung der Immobilie verkünden. „Das war jetzt seitens der Stadt bereits das dritte Vergleichsangebot – ein viertes wird es nicht mehr geben“, kündigte gestern der Hagener Rechtsdezernent Thomas Huyeng für die Zukunft eine kompromisslose Haltung der Stadt an, „darüber diskutiere ich nicht einmal mehr.“

Am vergangenen Donnerstag hatte die 4. Zivilkammer unter Vorsitz von Richter Thomas Zimmermann nach zweistündiger Verhandlung noch folgenden Vergleich entwickelt: Der neunköpfige Familienclan, der die Immobilie an der Weidestraße seit 1994 bewohnt und der Stadt fast 100.000 Euro Miete schuldet, verpflichtet sich, das Wohn- und Gewerbeobjekt bis Ende Februar zu räumen. Die fünf Erwachsenen erhalten jeweils 4000 Euro als Entschädigung und die Stadt verzichtet obendrein noch auf sämtliche Mietzinsansprüche sowie auf die Nebenkosten der vergangenen Jahre.

Bewohner lehnen Vergleich ab

Für die Bewohner inakzeptabel, teilte nun deren Anwalt Claus-Armin Kürschner der Stadt mit. Aufgrund der bei der Stadt gegen die Familie vorliegenden Pfändungs- und Bußgeldforderungen mache das Angebot in dieser Form für seine Mandanten keinerlei materiellen Sinn, da sie das Geld faktisch nicht erreiche. Zudem sei es durch die von der Stadt inszenierte Kampagne für die Beklagten inzwischen nahezu unmöglich, in Hagen eine neue Bleibe zu finden.

Mietern liegt seit 2012 Kündigung vor

Die wesentlichen Marksteine des juristischen Ringens um die Räumung des rosafarbenen Hauses auf einen Blick:
2 0. August 1994: Hausbesitzer Prof. Dr. Thomas Wolff schließt mit der Familie einen Mietvertrag über die Wohn- und Gewerbeimmobilie am Ennepe-Ufer ab.
6. August 2012: Wolff kündigt das Mietverhältnis wegen offener Mietzahlungen fristlos.
2. April 2013: Die Stadt, im Rahmen eines Enteignungsverfahrens inzwischen federführend, fädelt eine Räumungsklage ein, weil die Familie das Grundstück zu Unrecht in Besitz habe und dieses nicht räume.
11. Juli 2013: Die Stadt reicht eine Räumungsklage beim Amtsgericht ein.
21. November 2013: Das Amtsgericht leitet den Fall zuständigkeitshalber an das Landgericht weiter.
3. Februar 2014: Ein Anwalt der Familie schlägt einen Vergleich mit einer Entschädigung über 40 000 Euro vor. Das Geschäft scheitert, weil, so die Mieter, die Räumungsfristen zu knapp bemessen sind.
2. April 2014: Die Stadt (seit November 2013 offiziell Eigentümerin der Immobilie) stellt beim Landgericht einen Eilantrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, dass die Familie das Grundstück zu räumen und herauszugeben habe.
28. April 2014: Das Gericht folgt dem Eilantrag der Stadt – die Weigerung der Familie sei verbotene Eigenmacht.
12. Juni 2014: Das Landgericht Hagen lehnt den Widerspruch der Familie ab – die Stadt habe im Hinblick auf den erheblich gestörten Bauablauf bei der Bahnhofshinterfahrung ein berechtigtes Interesse an der Räumung. Die Familie ruft das OLG an.
30. Juni 2014: Das OLG Hamm hebt die Zwangsvollstreckung bis zum Erlass eines endgültigen Landgericht-Urteils auf. Die Hammer Richter sehen in der Sache keine Eilbedürftigkeit.
16. Oktober 2014: Das OLG verweist den Fall aus formaljuristischen Gründen zurück ans Landgericht: Die Bezirksregierung habe es versäumt, die Enteignungsverfügung an alle Mieter zuzustellen.
22. Januar 2015: Das Landgericht Hagen formuliert ein weiteres Vergleichsangebot über 20 000 Euro, was gestern von den Mietern abgelehnt wird.

„Wäre das erste Vergleichsangebot über 40.000 Euro seinerzeit durch den Anwalt der Stadt nicht nachträglich zum Nachteil meiner Mandanten noch einmal verändert worden, stünde die Immobilie bereits seit einem Jahr leer“, schiebt Kürschner den Schwarzen Peter ins Rathaus. Darüber hinaus ergäben sich aus seiner Aktenlage noch weitere, neue rechtliche Erwägungen: So gebe es für das rosafarbene Haus nicht bloß einen, sondern zwei Hauptmieter. Das Enteignungsverfahren und die fristlose Kündigung seien jedoch nur gegen einen Mieter geführt worden. „Damit sind in unseren Augen sämtliche Beschlüsse der Enteignung obsolet“, so die Einschätzung des Anwalts. „Ich erwarte jetzt ein echtes und ehrliches Vergleichsangebot der Stadt“, wirft Kürschner dem Rechtsamt in dem gesamten Verfahren grobe handwerkliche Fehler vor.

Verfahren kann sich hinziehen

Mit der für heute erwarteten Räumungsentscheidung im Hauptverfahren ist der juristische Setzkasten längst nicht ausgereizt. „Wir müssen davon ausgehen, dass die Bewohner im Rahmen aller rechtsstaatlichen Mittel versuchen werden, den Prozess zu verzögern“, erwartet Dezernent Huyeng erneut den Gang zum Oberlandesgericht in Hamm. „Ich wäre froh, wenn dies noch 2016 passieren würde“, weiß er um die langwierigen Terminierungsfristen in OLG-Hauptsacheverfahren. Und auch das muss nicht das letzte Kapitel bleiben: Für eine Revision beim Bundesgerichtshof würden fünf weitere Jahre ins Land ziehen. Dann sind sämtliche Bauabschnitte der Bahnhofshinterfahrung, immerhin das größte kommunale Straßenbauprojekt in NRW, längst fertig. Bis auf den Abschnitt am Ennepe-Ufer – bis dahin erreicht das rosafarbene Haus traurigen Legendenstatus.