Hagen. . Forschung an der Fernuniversität und Vortagsreihe an der Fachhochschule Südwestfalen befassen sich mit neuen Familienformen mit tradionellen Mustern und den Folgen der Reproduktionsmedizin.
Die Familie ist nicht kaputtzukriegen. So platt würde das Dorett Funcke nicht sagen. Schließlich ist sie Wissenschaftlerin. Als Junior-Stiftungsprofessorin untersucht die Soziologin an der Fernuniversität in Hagen soziale Lebensformen. Insbesondere Familien. Insbesondere die sogenannten unkonventionellen Familien, die vielfältigen Lebensformen, die das Modell Vater, Mutter, Kind heute ergänzen.
Stieffamilien, Pflegefamilien, Adoptivfamilien, Alleinerziehende, gleichgeschlechtliche Paare. Und Funcke, die seit einem Jahr in Hagen arbeitet, vorher in Jena, Dresden und Bochum, interessiert sich dafür, was daran neu ist und welche elementaren Strukturen weiter gelten. Und ihr Befund bislang: „Das familiensoziologische Modell der Triade, der Dreierbeziehung, ist weiter tauglich. Die Kernfamilienmuster gelten weiter. Familie ist offenbar auch in der Spätmoderne dazu da, Altes zu bewahren.“
Die Suche nach dem Vater
Funcke kommt eigentlich von der Literaturwissenschaft. Sie hat sich ausführlich mit dem österreichischen Autor Thomas Bernhard befasst, der seinen Vater nicht kannte und seine Mutter selten gesehen hat und dem doch ein erfolgreiches Leben gelang. Wie ist das in anderen Fällen, wenn die Triade anders ist, fragte sie sich: „Ich hatte die Idee, lesbische Paare zu untersuchen, die künstliche Befruchtung genutzt haben. Aber die Kinder sind noch nicht alt genug.“ Dann stieß sie auf Erwachsene, die auf der Suche nach ihrem biologischen Vater waren, einem anonymen Samenspender.
Das faszinierte sie: „Diese jungen Leute hatten eine gute Kindheit. Und trotzdem suchten sie nach ihrem Vater. Warum?“ Bei Adoptivfamilien machte sie die gleiche Erfahrung: „Es geht sehr bürgerlich-konservativ zu. Die blutsverwandtschaftliche Abstammung spielt schon noch eine Rolle.“ Wenn die leibliche Position in einer Familie nicht deutlich besetzt sei, könne es deshalb zu Schwierigkeiten kommen. In Adoptivfamilien sei es sinnvoll, die Fakten nicht geheim zu halten: „Verschweigen weckt Verdacht und untergräbt Vertrauen. Und Familie lebt von unbedingtem Vertrauen.“
Es gibt nichts Konservativeres als eine gleichgeschlechtliche Familie
Interessant seien die Ausgleichshandlungen in gleichgeschlechtlichen Familien: „Häufig ist es so, dass die biologisch nicht verwandte Mutter zu Hause beim Kind bleibt, während die andere arbeiten geht. Oder das Kind wird nach der Großmutter der biologisch nicht verwandten Frau benannt.“ Bei männlichen Paaren mit Pflegekind, sei es meist auch so, dass nur einer arbeite und der andere zu Hause bleibe: „Es gibt nichts Konservativeres als eine gleichgeschlechtliche Familie. Arbeitsteilungsprozesse, die sich über Jahrhunderte bewährt haben, kommen wieder zum Ausdruck, wenn das Familienmodell abweicht.“
Dorett Funcke erwartet künftig eine starke Zunahme von Eizellenspenden und Leihmutterschaften, unabhängig von gesetzlichen Regelungen. Sie rechnet damit, dass das mögliche Auseinanderfallen von Zeugung und Sexualität Folgen hat: „Die Eltern werden das im Kopf haben, wenn sie auf ihr Kind schauen.“
Mit den ethischen Fragen der Reproduktionsmedizin befasste sich kürzlich auch die Reihe „Hagener Hochschulgespräche“ der Fachhochschule Südwestfalen. Prof. Dieter Sturma, Leiter des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften an der Universität Bonn will dabei nicht den Moralwart spielen: „Wir leben unter Bedingungen des ethischen Pluralismus. Wir geben keine Entscheidungen vor. Die müssen die Bürger treffen.“
Wenn gegensätzliche Positionen ethisch begründbar seien, erwartet Sturma vom Gesetzgeber, dass er beide zulasse. Man müsse nicht alles regeln, verbieten und ideologisieren. Und das Grundproblem, dass Embryonen zur Sache gemacht würden habe man nicht nur bei der Stammzellenforschung, sondern auch bei In-vitro-Fertilisation, PID, Schwangerschaftsabbruch und dem sogenannten Social Freezing.
Druck zur Selbst-Optimierung
Dass Sturma enge Vorschriften ablehnt, heißt nicht, dass er keine Meinungen hätte: „Wir müssen Platz für behinderte Kinder schaffen. Auch ein Leben mit Trisomie 21 kann lebenswert sein.“ Der Philosoph kritisiert den Druck zur Selbstoptimierung, fragt aber auch, welchen Ideologien Paare aufsitzen, die unbedingt eigene Kinder wollen, koste es, was es wolle: „Das ist doch Biologismus. Die sollten vielleicht lieber syrische Flüchtlingskinder adoptieren.“
Von Prof. Andreas Bernard, Autor des Buches „Kinder machen“, gab es keinen grundsätzlichen Widerspruch: „Das Wort Kinderwunsch ist eine Erfindung der Reproduktionsmedizin.“ Der Kulturwissenschaftler bestätigt auch die Erkenntnisse der Soziologin: „Reproduktionstechnologien erhalten das nach 1968 gefährdete Modell der Kleinfamilie aufrecht. Asexuelle Fortpflanzung und eine liebevolle Familie schließen sich nicht aus.“ Der Wille zur Konvention zeige sich auch in der Zelebrierung gemeinsamer Mahlzeiten bei gleichgeschlechtlichen Familien. Fazit: „Regenbogenfamilien sind die zeitgenössische Ausprägung eines traditionellen Lebensmodells.“ Die Familie lebt.