Hagen. . Christian Kurrat, Soziologe an der Fernuni Hagen, verfasst seine Doktorarbeit über die Faszination Pilgern und untersucht erstmals das boomende Phänomen. Grade der Jakobsweg wird jährlich von mehreren hunderttausend Menschen beschritten. Die Gründe für das Pilgern sind dabei ganz unterschiedlich.

Die Landkarte, die in Christian Kurrats Fernuni-Büro hängt, ähnelt einem Spinnennetz. Fein verästelt sind dort die Jakobswege dargestellt. „Hier sieht man deutlich, wie ganz Europa auf seinen Jakobswegen zusammenwächst“, erläutert der diplomierte Sozialwissenschaftler das Gebilde. Kaum vergehe ein Tag, an dem nicht über die Einweihung eines neuen Stückes Jakobsweg, der übrigens auch über Hagener und Breckerfelder Gebiet führt, berichtet wird.

Doch das ist nur eins von vielen Pilgerthemen, mit denen sich Kurrat und sein Kollege Patrick Heiser derzeit am Fernuni-Institut für Soziologie beschäftigen. Erstmals wird die boomende Modeerscheinung, über die Christian Kurrat seine Doktorarbeit schreiben wird, wissenschaftlich untersucht. Dazu gehört Ende Januar auch eine einmalige Tagung des Arbeitskreises Religionssoziologie mit dem Titel „Soziologie des Pilgerns“.

Motivation der Pilger ist unterschiedlich

Denn Pilgern ist keinesfalls Pilgern, auch wenn im Jahr 2010 rund 270.000 Menschen auf ihrem Weg das gleiche Ziel hatten – das spanischen Santiago de Compostela, wo sich die Kathedrale über eine Grabstätte erhebt, die dem Apostel Jakobus zugeschrieben wird. „2010 war ein heiliges Jahr, da liegen die Zahlen höher als in anderen Jahren. Im vergangenen Jahr beschritten rund 150.000 Pilger den Weg“, weiß Kurrat und verweist auf den vor sechs Jahren eingetretenen Kerkeling-Effekt.

Damals brachte der prominente Hape Kerkeling seinen Pilgerbericht unter dem Titel „Ich bin dann mal weg“ heraus. Den Beginn des Phänomens führen die Institutsmitarbeiter Kurrat und Heiser aber auf Johannes Paul II. zurück. „1982 besuchte Papst Johannes Paul II. Santiago de Compostela und rief bei einer Europa-Feier den alten Kontinent auf, seine Wurzeln wieder zu beleben und zu sich selbst zu finden.“ Der Europarat erklärte 1987 den Weg zum ersten europäischen Kulturweg. Damals wurden rund 3.000 Pilger pro Jahr registriert.

„Von da an stiegen die Zahlen stetig an“, so Christian Kurrat, der sich selbst 2008 nach Beendigung seines Studiums von Pamplona aus auf den Weg machte. Zwei Jahre später kehrte er nochmals auf den Jakobsweg zurück, doch nicht zum Pilgern, sondern um Pilger für seine wissenschaftliche Arbeit zu interviewen und zu beobachten.

Inhalt der Doktorarbeit

Sechs Idealtypen wird er in seiner Doktorarbeit beschreiben und dabei auch der Frage nachgehen, was das Wandern vom Pilgern unterscheidet und ob es sich wirklich um ein religiöses Phänomen handelt. „Im rein kirchlichen Sinne gibt es da heute kaum noch Zusammenhänge“, weiß Patrick Heiser, dessen Dissertation sich mit katholischen Gottesdiensten und deren Veränderungen beschäftigen wird. „Es gibt viele Menschen, die aus einer Krise heraus den Weg bewältigen wollen. Es gibt die Abenteurer, die diese gesellschaftlich hoch bewertete, zumindest ihre Freunde und Bekannte zum Staunen anregende Laufbewegung machen und es gibt Menschen, die eine Übergangsphase, zum Beispiel vor dem Eintritt ins Rentenalter oder bei einem Jobwechsel, nutzen“, erfuhr Kurrat bei seinen Interviews.

Und natürlich sind die Büchereien und das Internet voll von Erfahrungsberichten, werden Foren und die immerhin 30 deutschen Jakobsgesellschaften zum regen Austausch genutzt.

Austausch für Pilger und Wissenschaftler

Sich wissenschaftlich austauschen und ein Forum zur Diskussion und Präsentation von einschlägigen Forschungsarbeiten auf dem Gebiet des Pilgern wollen Kurrat und Heiser am 28. Januar mit ihrer Tagung in der Fernuni bieten. „Wir bilden da nicht zum Pilgern aus, wir zeigen aber, was Pilgern ist“, beschreibt Kurrat den Tag, zu dem nicht nur Sozial- und Kulturwissenschaftler sowie Theologen eingeladen sind, sondern auch erfahrene Pilger und solche, die es werden wollen. So werden die Zuhörer von den Referenten nicht nur etwas über das Pilgern als Metapher moderner Religiosität, über Rituale des Pilgerns oder die leiblichen Erfahrungen des Pilgerns erfahren, sondern auch Exponate und Fotografien bewundern können.