Hagen. Der Hagener Bundestagsabgeordnete René Röspel kritisiert den Ethik-Rat scharf für dessen Vorschlag, Sex unter Geschwistern künftig zu erlauben. Das Thema betreffe Einzelfälle, die in der Realität kaum vorkämen. Wichtiger seien Themen wie Reproduktionsmedizin und Sterbehilfe, so der Ethik-Experte.

Der Ethik-Rat will den Inzest-Paragraphen liberalisieren und stößt damit auf erbitterte Kritik. Die Parteien protestieren gegen den Vorschlag, und die Kirchen erst recht. Denn Inzest ist das letzte Tabu unserer Zeit. Auch der Hagener SPD-Bundestagsabgeordnete und Ethik-Experte René Röspel (50) hält den Vorstoß für unglücklich, nicht zuletzt angesichts der drängenden anderen Probleme im Ethik-Bereich.

„Das ist die Schwäche des Ethikrates, dass er über ein ganz anderes Thema redet, als die meisten Menschen denken, worüber gesprochen wird“, sagt Röspel im Interview mit dieser Zeitung. „Rechtsphilosophisch gesehen ist einvernehmlicher Geschwisterinzest ein interessantes Thema, aber es betrifft einen Einzelfall, der in der Realität kaum vorkommt. Da zeigt sich ein Manko des Ethikrates, dass sie keine Abgeordneten in ihren Reihen haben.“

Die Kritiker des Ethik-Rates sehen in einer Liberalisierung des Inzest-Paragraphen das System Familie in Gefahr.

René Röspel: In einer intakten Familie gibt es diese Problematik nicht, und sie müsste auch nicht strafrechtlich bewehrt sein. Der beste Schutzmechanismus besteht immer noch darin, dass man dem Kind, das man aufzieht und den Geschwistern, mit denen man aufwächst, keinen Schaden zufügen will. Die Frage des Missbrauchs aber, wenn ein Elternteil oder ein Geschwister sich mit Gewalt einem Kind oder einem anderen Geschwister nähert, bleibt davon ohnehin unberührt, sie wird in Paragraph 174 geregelt.

Also macht der Ethikrat viel Wind um ein Problem, das gar nicht existiert?

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Röspel: Der Ethikrat hat sich mit einer Ausnahmesituation befasst, die dem normalen Familienbegriff überhaupt nicht zuzuordnen ist, mit dem Fall eines Mannes und einer Frau, die erst als Paar erfahren haben, dass sie Geschwister sind. Anders als bei Missbrauch sind aber nur verschwindend wenige Fälle von Geschwisterinzest bekannt. Man würde den betreffenden Paragraphen 173 heute sicher nicht mehr so formulieren, aber ihn abschaffen zu wollen, wird für derart viele Fragen und Diskussionen sorgen, dass der Ethikrat auch für die Gesellschaft nachvollziehbar erklären muss, warum er ihn abschaffen will. Die Familie als Keimzelle der Gesellschaft ist dennoch direkt in das Thema involviert. Denn die Familie mit ihrer Struktur von Vater, Mutter, Kind beinhaltet Fürsorge- und Verantwortungsverhältnisse, die grundlegend für unsere Ordnung sind.

Im Zusammenhang mit moderner Reproduktionsmedizin wird das Thema tatsächlich spannend. Denn jedes Kind sollte das Recht haben, seinen Vater und seine Mutter zu kennen. Inwieweit führen zum Beispiel Samenspenden dazu, dass Geschwister nichts voneinander wissen? Die moderne Reproduktionstechnik bringt familienethisch alles durcheinander. Aus diesem Grund bin ich nach wie vor z.B. gegen die Eizellspende.Inzest ist historisch in allen Kulturen ein Tabu, sicher auch, weil man früh erkannt hat, dass bei Heiraten in der Verwandtschaft das Risiko behinderter Kinder steigt.

Es ist richtig, dass der Ethikrat in Frage, stellt, ob das Inzest-Verbot heute wegen des Risikos behinderter Kinder juristisch bestehen kann. Wenn ich mich gegen die Präimplantationsdiagnostik ausspreche, kann ich nicht gleichzeitig sagen, Genetik ist ein Argument gegen Inzest. Das eugenische Argument ist nicht mehr tragbar. Das würde in der Konsequenz zu großen ethischen Problemen führen. Welchen Gruppen dürfte dann juristisch noch das Kinderkriegen erlaubt sein? Das sind Fragen, die wir wirklich nicht stellen sollten.

Werden große gesellschaftliche Debatten nicht immer am Einzelfall angestoßen?

Röspel: Das kann ein Problem sein, das erkenne ich auch beim Thema Sterbehilfe. Da geht es ja um ganz wenige Fälle, die als Argument für Diskussionen dienen, die an den wesentlichen Fragen vorbeigehen.

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Wie ist Ihre Position zur ­Sterbehilfe?

Röspel: Es ist nicht Aufgabe einer Gesellschaft, ihre Mitglieder in den Tod zu schicken. Ich gebe mich nicht damit zufrieden akzeptieren zu sollen, dass aktive Sterbehilfe sein muss. Es werden immer besonders tragische Fälle als Argument angeführt, aber wenn man sich die Situation in Belgien und den Niederlanden anschaut, handelt es sich in den wenigsten Fällen um medizinische Indikationen, sondern einsame Menschen wollen sterben.

Wie kommen Sie zu Ihrer Haltung?

Röspel: Ich habe Biologie studiert, weil mich das Leben und wie es funktioniert interessierte. Während des Studiums habe ich immer mehr Respekt für das menschliche Leben entwickelt, und ich bin überzeugt, dass das Leben etwas so Wunderbares und eine solche Kostbarkeit ist, dass man nicht hineinpfuschen sollte und dass man es auch nicht ohne weiteres abgeben sollte. Ich will nicht dazu beitragen, dass man sagt: Wer nicht mehr will, den geben wir auf. Das ist nicht meine Vorstellung vom wertschätzenden Umgang mit alten und kranken Mitmenschen.