Fröndenberg. Der Internetaufruf von Familie Bichlmaier wurde hundertfach geteilt. Die Artisten trainieren derweil fleißig weiter. Mit Video.
Seit zwölf Jahren hat Fröndenberg mit dem Mitmachzirkus Manegentraum eine heimische Artistengruppe. Doch damit könnte im Sommer Schluss sein. Denn Familie Bichlmaier muss die Fläche, auf der sie Trailer, Wohnwagen, Auflieger und Zirkuszelte lagern, bis Ende Juni verlassen. Wie es danach für sie weitergeht, wissen sie nicht. An Ideen mangelt es aber auch in schwierigen Corona-Zeiten nicht.
Schön, einen Platz gehabt zu haben
Auf dem leicht zugewucherten Grundstück zwischen ausgedienten Lagerhallen erstreckt sich das Zuhause von Familie Bichlmaier. Mit ihrem Mitmach-Zirkus touren sie seit Jahren durch den Kreis Unna – und über die Grenzen hinaus. Für den Pressetermin schmeißt sich Ann-Katrin Bichlmaier sogar in Schale. „Nach eineinhalb Jahren mal wieder in das Kostüm zu schlüpfen, ist doch schön“, sagt die 45-Jährige und lacht. Wie in anderen Branchen gilt auch für ihre Familie derzeit Berufsverbot, die letzten Auftritte liegen eine ganze Weile zurück. Dabei hat sich der Mitmach-Zirkus Manegentraum längst einen Ruf abseits der traditionellen Zirkuszelte gemacht. Veranstaltungen im Rahmen des Ferienspaßes, die der Kreis Unna auflegt, Kooperationen mit Vereinen oder Schulprojekte. Die Struktur hat sich in den vergangenen Jahren zusehends verändert, sagt Ann-Katrin Bichlmaier.
Sieben Auflieger, mehrere kleinere Gespanne und drei Zugmaschinen gehören zum Fuhrpark – und für die Gerätschaften sowie die eigenen Wohnwagen braucht es nun ein neues Zuhause. Nach zwölf Jahren auf der Hohenheide muss Familie Bichlmaier ihre Zelte buchstäblich abbauen. Und obwohl genau dieses Szenario von Anfang an klar war, kommt das Ende überraschend. Dem Eigentümer des Geländes macht sie keinen Vorwurf. Es sei schön gewesen, überhaupt so lange einen festen Platz zu haben. „Es wäre natürlich toll, in Fröndenberg zu bleiben“, sagt Ann-Katrin Bichlmaier. Doch die Suche nach einer neuen Bleibe war bislang erfolglos. Das Problem: eine großflächige Wiese reicht nicht. Dabei sind die Artisten vergleichsweise anspruchslose Mieter. Lediglich einen Strom- und Wasseranschluss sowie eine Abwasserleitung brauchen sie, erzählt die 45-Jährige. Und zumindest ein bisschen Platz. 24.000 Quadratmeter wie auf der Hohenheide müssen es zwar nicht unbedingt sein, eine kleine Garage reicht aber ebensowenig.
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Die Familie führt über das weitläufige Gelände. Zwischen zwei verwitterten Industrielagerhallen haben sie ihre kleine Siedlung aufgeschlagen. Dass ein Leben im Wohnwagen aber nicht immer mit Campingurlaub gleichzusetzen ist, merkt man. „Zuhause ist da, wo der Wohnwagen ist“, sagt ihm Ann-Katrin Bichlmaier. Den Trailer hat Ehemann Markus über die Jahre selbst immer weiter zu einer schicken und modernen Bleibe ausgebaut. „Das könnte man so auch kaufen, kostet dann aber so viel wie ein Einfamilienhaus“, sagt er und lacht. Beim Zirkus müsse man eben nicht nur Messer werfen oder Feuer spucken können, „sondern auch schrauben können oder Elektriker sein“.
Mit dem drohenden Umzug und dem Auftrittsverbot plagen die Familie derweil gleich mehrere Sorgen. Während die Überbrückungshilfen des Bundes den Betrieb am Laufen halten, füllt das Jobcenter den Kühlschrank. „Zirkus ist Kummer, Sorgen und das Kämpfen gewohnt, aber so etwas gab es ja noch nie.“ Aber davon will sich Ann-Katrin Bichlmaier auch nicht unterkriegen lassen. Sie tritt die Flucht nach vorn an und postet vor wenigen Tagen einen Hilfeaufruf für die Suche nach einem neuen Zuhause in sozialen Netzwerken. Binnen Stunden wird der Post hundertfach geteilt. Einzig eine Alternative zur Hohenheide zeichnet sich bisher nicht ab. Doch alleine für den Zuspruch empfindet die 45-Jährige Dankbarkeit.
An Ideen für eine Zeit nach Corona mangelt es nicht. Personell wolle man sich auf jeden Fall wieder vergrößern. „Der reisende Zirkus soll erhalten bleiben“, sagt Ann-Katrin Bichlmaier. Kooperationen mit Berufsschulen oder sozialen Einrichtungen seien durchaus denkbar. Einen Wohnwagen hat die Familie sogar in ein mobiles Klassenzimmer umgebaut, die typischen Tische und Stühle sowie ein Computerraum inklusive. So will man den Mitmach-Zirkus bis vor die Haustür bringen. Ein Angebot, das vor allem benachteiligten Familien oder kranken Kindern zugute kommen soll.
Markus und Ann-Katrin Bichlmaier führen dann in eines der Herzstücke des Geländes. Die alte Lagerhalle. Die würde sich hervorragend für Foto-Shootings eignen – und das haben scheinbar schon viele so erkannt. Immer wieder bekommt Markus Bichlmaier Anfragen, doch muss stets ablehnen.
Zwischen einem Auflieger, einer alten Zugmaschine, die der Herr des Hauses derzeit selbst wieder zusammenschraubt, und einer Werk-Ecke übt Tochter Joeline auf dem Drahtseil; Sohn Marlon wirft Messer auf eine ausgediente Holztür. An Arbeit mangelt es trotz Corona nicht. Kleinere Reparaturen nimmt die Familie selbst in die Hand, ansonsten halten sie sich fit, um zeitnah auftreten zu können – sollten es Corona-Lockerungen erlauben.
Artisten halten sich fit
Zu jeder guten Zirkus-Show gehört natürlich auch ein Feuerspucker. Und genau das führt Markus Bichlmaier vor. Statt Petroleum fällt die Wahl aber auf ein ungefährliches Pulver. Auf den ersten Blick sieht es nach Maismehl aus. Der Zirkusdirektor füllt einen Teelöffel in ein Metallröhrchen. „Vorher tief Luft holen und dann mit einem Luftstoß rauspusten“, sagt er und zündet die Fackel an. Dann pustet er in das Röhrchen und ein Feuerball steigt nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht in die Luft. Ziemlich beeindruckend – und ein wenig angsteinflößend.
Wann solche Show-Einlagen wieder vor größerem Publikum möglich sind, das weiß niemand. Ob sie weiter in Fröndenberg bleiben können – auch das wissen sie nicht. Und trotzdem verliert die Artisten-Familie nicht die Hoffnung.
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