Gevelsberg. Die Kosten steigen, der Schuldenberg wächst auch. Was die Stadt Gevelsberg trotzdem noch investieren möchte und was das für die Steuern bedeutet.
Die Stadt Gevelsberg stellt sich in ihrer Finanzplanung für das Jahr 2024 auf ein dickes Minus ein, das es so schon lange nicht mehr gegeben hat – so bewertete es Bürgermeister Claus Jacobi am Donnerstagabend in seiner Rede zur Etateinbringung im Rat. „Sollte nicht irgendetwas Besonderes passieren, werden wir ein Defizit von circa 16 Millionen Euro zu verdauen zu haben“, brachte er es auf den Punkt.
Die vergangenen und teils noch aktuellen Multikrisen schlagen auf der Kostenseite kräftig zu Buche. Inflation, Corona, Ukraine-Krieg oder die zuletzt wieder gewachsene Zahl an Flüchtlingen werden da zum Beispiel angeführt. Aber auch die vereinbarte Tariferhöhung für Beschäftigte im öffentlichen Dienst will von den Kommunen bezahlt werden. Sie wird vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels zumindest als notwendige Investition betrachtet.
Von Land und Bund fühlt sich die Stadt Gevelsberg im Stich gelassen. „Vor Ort sind die Dinge nicht mehr nachhaltig zu lösen“, machte Kämmerer Andreas Saßenscheidt deutlich. Die für viele Gevelsbergerinnen und Gevelsberger entscheidende Grundsteuer B und die Gewerbesteuer sollen trotz der angespannten Lage nicht steigen.
Stadt fühlt sich im Stich gelassen
„Dieses Jahr scheint in der Finanzpolitik alles auf dem Kopf zu stehen“, stieg Bürgermeister Claus Jacobi in seine Rede zum Haushalt 2024 der Stadt Gevelsberg ein. „Anders als in den Vorjahren, bringen wir unseren Etatentwurf als Stadtverwaltung nicht vor Beginn des Haushaltsjahres ein, sondern erst einige Wochen nach dessen Beginn.“ Und das entspreche sogar einer Empfehlung der Landesregierung. „Vor allem sollte es darum gehen, die Zahlen auf der Einnahme- und Aufwandsseite vor dem Hintergrund der schweren volkswirtschaftlichen Krise unseres Landes bis zum Beginn des Haushaltsjahres besser abschätzen zu können“, fuhr der Bürgermeister fort.
Gleichzeitig habe der Zeitpuffer dazu dienen sollen, Wege zu finden, wie das Land den Kommunen finanziell und vor allem auch bilanziell unter die Arme greifen könne. Dabei verweist Jacobi auch auf einen von 355 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern verfassten „Brandbrief“ an den NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst, der versprochen habe: „Ich lasse die Kommunen nicht im Regen stehen.“
Passiert sei seitdem gar nichts, zeigte Jacobi sich enttäuscht. Ganz im Gegenteil, es habe sogar eine Verschlechterung gegeben. „Sodass man sich fragt, ob den Kommunen auf der Intensivstation jetzt auch noch der Notarzt verweigert wird?“, empörte sich der Bürgermeister. So habe das Land den Kommunen ohne jede Vorankündigung und Beteiligung die Isolierung, sprich die bilanzielle Verteilung der hohen kriegs- und krisenbedingten Aufwendungen für die kommenden Jahre genommen.
Rede von Gefahr für Demokratie
„Als die bilanziellen Erleichterungen gesetzlich nicht mehr verlängert werden sollten, haben wir für einen kurzen Moment daran geglaubt, dass dies jetzt das Signal wäre und mehr frisches Geld vom Land käme“, so Claus Jacobi weiter. „Aber Pustekuchen: Keine bilanziellen Erleichterungen mehr, schaut, wie ihr als Kommunen mit den Buchungen hinkommt und mehr Geld gibt es auch nicht.“
Der Bürgermeister spannte den Bogen noch weiter: „Bei der Frage nach der Zukunft kommunaler Handlungsfähigkeit geht es im Moment um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage, ob unsere in Deutschland so schwer und tragisch erkämpfte Demokratie bleibt und im Vertrauen der Bürger wieder wächst oder mehr und mehr zerfasert und erodiert“, sagte Jacobi klipp und klar. „Nur, wenn die Bürgerinnen und Bürger sich sicher sein dürfen, dass ihre existentiellen Wünsche nach Wohnraum, Arbeit, öffentlicher Sicherheit, Bildung, Zukunft und Teilhabe vor Ort, zu Hause in der Kommune, solide und planmäßig organisiert und erfüllt werden können, wird unsere Demokratie stabil bleiben.“
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Deswegen möchte die Stadt Gevelsberg trotzdem weiter investieren: Modernisierung der Realschule, die Umgestaltung der Innenstadt, der OGS-Ausbau, die neue Dreifachturnhalle und der Radwegebau sind nur ein paar Beispiele. Und auch wenn es widersprüchlich erscheine, so Jacobi: „Wir sollten die Steuerbelastung unserer Bürger im Rahmen unserer kommunalen Zuständigkeiten nicht weiter erhöhen, denn ich denke, dass die meisten Haushalte und Familien längst an der Überlastungsgrenze angekommen sind.“ Auch wolle die Stadt die Unternehmen nicht weiter belasten.
Frist bis spätestens 2027
Kämmerer Andreas Saßenscheidt erklärte, dass das Haushaltsdefizit schon 2023 wesentlich höher ausgefallen wäre, als geplant. Hätte es die Möglichkeit, Sonderkosten zu isolieren, nicht gegeben, hätten 10 Millionen Euro minus im Etat gestanden. Stattdessen konnte die Stadt mit 3 Millionen Euro minus planen. „Auch wenn ich Ihnen heute leider noch kein vorläufiges Jahresergebnis nennen kann, so darf ich aber doch ankündigen, dass es zu einem geringeren Defizit kommen wird“, konnte Saßenscheidt auch eine gute Nachricht verkünden. Das liege daran, dass die Gewerbesteuer größere Erträge gebracht habe, als geplant.
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Das Land NRW habe zwar zuletzt gesetzliche Erleichterungen geplant, um den Kommunen die Aufstellung rechtskonformer Haushalte zu ermöglichen. „Inzwischen wurde aus diesen Überlegungen ein leider in wesentlichen Punkten veränderter Gesetzentwurf, den der Landtag voraussichtlich Ende Februar beschließen wird“, schränkte Saßenscheidt ein.
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Gehe das geplante Gesetz so wie aktuell bekannt durch das Verfahren, würde das Millionen-Defizit aus 2024 spätestens im Jahr 2027 die Rücklagen der Stadt Gevelsberg angreifen. Heißt: Trotz des dicken Haushaltslochs ist das Eigenkapital der Stadt in diesem Jahr nicht betroffen. Die Stadt gerät auch nicht in die Haushaltssicherung, behält also die alleinige Entscheidungsgewalt über ihre Finanzen. Möglicherweise zum letzten Mal für lange Zeit.