Schwelm/Gevelsberg/Ennepetal. Die Fälle von häuslicher Gewalt nehmen zu. Auch deshalb schlagen die Betreiberinnen des Frauenhauses im EN-Kreis Alarm.

Sie flüchten vor Prügel, sexualisierter Gewalt, Überwachung, Beleidigungen. Sie verlassen – oft mit ihren Kindern – ihr vertrautes Zuhause, ihren vermeintlichen Rückzugsort, um vor ihren Partnern zu fliehen. Im „Gesine Frauenhaus.EN“, ein anonymes Gebäude im Ennepe-Ruhr-Kreis, finden sie Zuflucht. Einen Platz, um aufatmen zu können, um sich sicher zu fühlen. Natürlich ist es nicht das Zuhause der schutzsuchenden Frauen. Gerade in der Weihnachtszeit wird ihnen das schmerzlich bewusst. Doch vor allem an den Tagen um den Heiligen Abend herum häufen sich die Fälle häuslicher Gewalt und mehr Frauen benötigen Schutz.

Diplom-Sozialarbeiterin Kathleen Schmalfuß vom
Diplom-Sozialarbeiterin Kathleen Schmalfuß vom "Gesine Frauenhaus EN" im Gespräch. © WP | Alisa Schumann

Aktuell ist das Frauenhaus im Kreis voll belegt. „Wir haben derzeit 13 Frauen mit ihren Kindern bei uns im Haus. Unsere 25 Plätze für Frauen und Kinder sind also momentan vergeben“, berichtet Kathleen Schmalfuß, die seit mehr als 20 Jahren als Diplom-Sozialarbeiterin im „Gesine Frauenhaus.EN“ und in der Beratung tätig ist. Die Frauen leben mit ihren Kindern gemeinsam in einem Zimmer. „Sie bleiben meistens mindestens sechs Monate bei uns. In dieser Zeit ist viel zu klären. Warum sie zu uns gekommen sind, ob sie eine medizinische Versorgung benötigen, ob mit der Polizei Kontakt aufgenommen werden muss. Und auch, wie es danach für sie weiter geht und wo sie wohnen werden“, erklärt Schmalfuß.

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Weihnachten wird in der Einrichtung traditionell gefeiert. „Wir backen in der Vorweihnachtszeit Plätzchen mit den Kindern, der Tannenbaum wird gemeinsam geschmückt und wir kommen alle zu einem großen Essen zusammen, wo gesungen und Geschenke verteilt werden“, sagt Schmalfuß. Sie hat im Vorfeld des Gesprächs mit dieser Redaktion mit einigen Frauen über deren Gedanken zum Weihnachtsfest gesprochen. „Eine Bewohnerin hat mir erzählt, dass es ihr aufgrund ihrer psychischen Probleme gerade nicht gut gehe. Aber sie möge die anderen Frauen im Haus. Sie seien nicht ihre Familie, das mache sie traurig, aber sie wolle trotzdem versuchen, ein schönes Fest zu feiern.“ Eine andere Frau berichtete, dass es sich überhaupt nicht gut anfühle, an Weihnachten nicht bei ihrer Familie zu sein. „Aber ich muss mich und meine Familie vor meinem Ex-Partner schützen. Ich freue mich trotzdem auf Weihnachten. Ich bin hier nicht allein. Aber ich wünsche mir ein normales Leben, ein stabiles Umfeld, ohne Gewalt, Terror und Angst“, zitiert Kathleen Schmalfuß die Bewohnerin.

An den Feiertagen eskaliert die Situation

Generell sei es so, dass sich die Menschen vor Weihnachten zusammen reißen würden, weil man das Fest als Familie begehen möchte. „Dann, wenn die Familie an den Feiertagen so eng zusammen ist, eskaliert es wieder. Gewalt ist nicht steuerbar“, sagt Schmalfuß. Die Frauen, die sich an das Frauenhaus beziehungsweise die Frauenberatung wenden, haben in der Regel massive häusliche Gewalt erlebt. Das reicht von leichten bis schweren Körperverletzungen und extremen verbalen Auseinandersetzungen. Ist die Gewalt so massiv und bedrohlich, müssen die Frauen an einem anonymen Ort in Sicherheit gebracht werden. Daher wird die Adresse des Frauenhauses auch nicht veröffentlicht.

Kathleen Schmalfuß stellt klar, dass häusliche Gewalt schichtunabhängig ist. Eine Führungskraft schlage genauso zu wie ein Sozialhilfeempfänger. „Aber Frauen, die selbst ein Einkommen haben, haben meist andere Ressourcen, um aus der Situation auszubrechen. Unsere Frauen haben wenig soziale Unterstützung, sodass sie externe Hilfe brauchen. Es ist für viele Frauen wichtig, dass sie weit weg flüchten, weil sie die räumliche Entfernung brauchen, um sich sicher zu fühlen.“

Die Zahl der Fälle von häuslicher Gewalt steigt. „Die Massivität nimmt zu, es wird brutaler und heftiger“, sagt Schmalfuß. Laut einer Polizeistatistik von 2022 erlebt alle vier Minuten eine Frau Gewalt. „Jeden dritten Tag passiert ein Femizid, wird eine Frau getötet“, sagt Schmalfuß. Bereits im Oktober diesen Jahres lagen der „Gesine Frauenberatung.EN“ mit 355 Beratungsfällen, bei denen die Polizei zum Einsatz kam, mehr als im gesamten Vorjahr vor.

Hier finden Frauen Hilfe

Das „Gesine Frauenhaus.EN“ bietet Frauen und ihren Kindern Tag und Nacht Schutz und Zuflucht vor Gewalt. Weitere Informationen, auch zu den Beratungsleistungen, gibt es unter www.gesine-intervention.de. Die Beratungsstelle ist auch zwischen den Jahren unter Tel. 02336-4759152 erreichbar. Darüber hinaus ist die Hotline des Hilfetelefons für Frauen rund um die Uhr unter Tel. 116016 in 18 Sprachen erreichbar.

Auf den Websites www.frauen-info-netz.de und www.frauenhaus-suche.de werden Interessierten freie Plätze in Frauenhäusern angezeigt.

Das „Gesine Frauenhaus.EN“ ist auf Spenden angewiesen:
Förderverein Frauen helfen Frauen EN e.V.
DE05 4525 0035 0012 6005 57

Warum die Gewalt zunimmt, dafür gibt es verschiedene Gründe. Kathleen Schmalfuß glaubt, dass heute auch einfach mehr Fälle angezeigt und mitgeteilt werden. „Das Umfeld ist auch wachsamer geworden und man bekommt ein stärkeres Gefühl dafür, wenn Unrecht passiert.“ Zudem würden Suchtproblematiken steigen, und der gesamtgesellschaftliche Druck in Kombination mit finanziellen Sorgen führen zu mehr Spannungen in den Familien.

Bei häuslicher Gewalt gehe es immer um Macht und Kontrolle durch den Partner. In den vergangenen Jahren sei zudem die digitale Gewalt hinzugekommen. „In der Zeit der Digitalisierung muss ich die Frau nicht mehr vor mir haben, um Druck auszuüben. Ich kann sie auch über soziale Netzwerke bedrohen. Wir haben auch viele Frauen, die eine Spyware auf ihrem Handy haben, mit der ihr Partner sie überwacht.“

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Die Frauenberatung finanziert sich über Gelder vom Land und durch einen Zuschuss vom Kreis. „Danach bleiben noch weitere Kosten, die vom Verein ,Frauen helfen Frauen‘ getragen werden müssen, meist über Spendengelder. Das Frauenhaus erhält Landesmittel. Aber wir brauchen dringend eine bedarfsgerechte Finanzierung und wir brauchen mehr Frauenhausplätze“, macht Kathleen Schmalfuß deutlich.

Dann kam im Herbst die Nachricht, dass der Ennepe-Ruhr-Kreis den Zuschuss kürzt (wir berichteten). Eine Entscheidung, die laut Schmalfuß völlig gegensätzlich zum eigentlichen Bedarf der Einrichtung sei. „Wir erhalten doppelt so viele Anfragen wie wir Frauenhausplätze haben. Zudem ist das derzeitige Frauenhaus, das seit 1992 betrieben wird, völlig marode. Es ist nicht mehr bedarfsgerecht und entspricht nicht mehr den pädagogischen Ansprüchen, die wir bieten möchten.“ Hoffnung verspricht der Koalitionsvertrag der Bundesregierung mit Plänen für eine Finanzierung von Frauenhausplätzen. Schmalfuß‘ Appell: „Es wäre gut, wenn wir uns voll auf unsere Arbeit konzentrieren könnten und uns keine Gedanken über die Finanzierung machen müssten.“