Ennepe-Ruhr. Die Opfer werden mehr, ihre Schicksale immer heftiger – dennoch will der Ennepe-Ruhr-Kreis beim Frauenhaus nun den Rotstift ansetzen.

Die Frauen, die an die Tür des Frauenhauses klopfen, sind durch die Hölle gegangen. Sie sind auf der Flucht vor Männern, die sie verprügeln, sie vergewaltigen, sie erniedrigen. Viele von ihnen haben ihre Kinder dabei und sie werden immer mehr. Mitten in diese steigenden Bedarfen will die Kreisverwaltung nun den Rotstift ansetzen. Die Politiker des Kreistags im Ennepe-Ruhr-Kreis werden in ihrer Sitzung am kommenden Montag, 25. September, darüber abstimmen, ob mit sofortiger Wirkung die finanzielle Ausstattung des Frauenhauses bereits für das laufende Jahr rasiert wird.

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Die Rahmenbedingungen sind im Ennepe-Ruhr-Kreis wie folgt: Seit 1992 betreibt der Verein „Frauen helfen Frauen“ die Anlaufstelle in einem mittlerweile maroden und viel zu kleinen, anonymen Haus in Sprockhövel. Die 25 Plätze reichen bei Weitem nicht aus. „Wir sind dauerhaft voll belegt. Die Zahl der Frauen, die Hilfe suchen, steigt und ebenso steigt die Heftigkeit der Gewalt, der sie ausgesetzt sind“, sagt Sozialarbeiterin Kathleen Schmalfuß vom Frauenhaus. Ein Blick auf die freien Kapazitäten in den NRW-Frauenhäusern zeigt, dass der Ennepe-Ruhr-Kreis damit nicht allein ist. Am Freitagmittag gibt es im ganzen Bundesland überhaupt nur in fünf Frauenhäusern freie Plätze. Von Schwelm aus sind die nächsten in Düsseldorf und Hamm. Nicht zuletzt das ist der Grund dafür, weshalb in Hattingen ein neues Frauenhaus entstehen soll und das alte, marode Gebäude in Sprockhövel abgelöst werden soll.

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Die Finanzierung der Frauenhäuser erfolgt größtenteils über das Land NRW. Im Ennepe-Ruhr-Kreis gibt es bislang 5,1 Vollzeitstellen, von denen 0,58 der Kreis trägt. Das ist seit 2006 der Fall, „da seit diesem Zeitpunkt ein erhöhter Bedarf für die Arbeit mit im Frauenhaus lebenden Kindern deutlich wurde“, wie es die Verwaltung schreibt und weiter: „Seit Mitte April 2023 fördert das Land NRW nun eine weitere Stelle mit besonderem Augenmerk auf die Verbesserung der Belange der im Frauenhaus lebenden Kinder.“ Doch laut Plänen des Ennepe-Ruhr-Kreises soll diese Stelle nicht komplett zusätzlich geschaffen werden.

Nur 0,42 Stellen möchte die Kreisverwaltung schaffen, durch einen Rechenkniff das eigene Engagement zurückfahren. Das soll wie folgt gelingen: Die bisher vom Kreis geförderte 0,58-Prozent-Stelle wird auf eine ganze aufgestockt, die dann als die förderungswürdige Stelle angemeldet wird. Weil das Land 80 Prozent der Kosten übernimmt, zahlt der Ennepe-Ruhr-Kreis fortan nur noch 0,2 Stellenanteile.

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Ist hier unter dem Strich ein Plus von einer knappen halben Stelle zu verzeichnen, will der Ennepe-Ruhr-Kreis an anderer Stelle die Budgets für die in Not geratenen Frauen und Kinder drastisch kürzen – bei den Sachkosten. Und da fallen vor allem zwei Positionen auf: Die Kosten für Fort- und Weiterbildung sollen bei 5000 Euro pro Jahr gedeckelt werden. Zuvor konnten sich die Angestellten für 10.000 Euro pro Jahr auf den neuesten Stand bringen. Noch deutlicher wird allerdings eine andere Position Einfluss auf das Leben der Frauen und Kinder nehmen.

Die Betreuungskosten sollen von zuvor 14.500 Euro nun bei 6000 Euro gedeckelt werden. Darunter fallen beispielsweise Erstausstattungen mit Zahnbürsten und ähnlichem, wenn die Frauen ohne solche Dinge ankommen. Darunter fallen Windeln. Darunter fallen Mietkosten für Autos, wenn bei einem auswärtigen Gerichtstermin kein gut sichtbares EN-Kennzeichen vorfahren soll, um den Gewalttäter nicht auf der Spur der Frau zu bringen. Darunter fallen Fahrten beispielsweise in den Zoo. „Wir haben hier Kinder, die aus extremsten Verhältnissen kommen. Sie haben solchen Dinge noch nie gesehen, das sind ganz wichtige Angebote“, sagt Kathleen Schmalfuß. Insgesamt 15.000 Euro sollen die Sparmaßnahmen bei den Sachkosten bringen, die der Ennepe-Ruhr-Kreis dem Verein dann weniger überweisen würde.

Finanzieller Bedarf steigt

Das passiert in einer Situation, in der Frauenhäuser einen Zulauf erhalten wie nie zuvor. Opfer von körperlicher, sexueller, psychischer und auch ökonomischer Gewalt trauen sich zum einen mehr als früher, sich aus ihren Situationen zu befreien. „Das Thema ist in der Corona-Pandemie auf den Schirm gekommen und die Menschen sind deutlich sensibler dafür geworden, was in ihrer Nachbarschaft passiert“, sagt Kathleen Schmalfuß. Gleichzeitig nähmen die Fälle und die Brutalität zu. Und: „Die finanzielle Ausstattung der Frauen, die hier herkommen, geht deutlich zurück.“ Heißt: Der finanzielle Bedarf des Vereins steigt eigentlich.

Was in dieser kontroversen Lage nun mit der finanziellen Ausstattung des Frauenhauses im Ennepe-Ruhr-Kreis passiert, liegt in den Händen der Politiker des Kreistags mit seiner rot-grünen Mehrheit, die neben anderen Themen wie der Einbringung des Haushalts am kommenden Montag ab 17 Uhr in öffentlicher Sitzung eben auch über exakt dieses Thema beraten werden.

Wer die Hilfe des Frauenhauses benötigt, findet alle Informationen auf www.gesine-intervention.de oder kann sich telefonisch an 02339/6292 wenden. Frauenberatung findet unter 02336/4759091 in Schwelm, unter 02302/52596 in Witten, unter 02324/38093050 in Hattingen sowie unter 02330/611111 in Herdecke statt.

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