Ennepe-Ruhr. Weil das Frauenhaus des Kreises zu klein und nicht mehr zeitgemäß ist, müssen vermehrt Gewaltopfer abgewiesen werden. Es besteht Handlungsbedarf.

Wie viele Jahre Laura in Angst gelebt hat, weiß sie gar nicht mehr genau. Wie oft sie Freunde und Kollegen über ihre Verletzungen angelogen hat, kann sie kaum zählen. In dieser Nacht ist er nicht da und sie hat allen Mut zusammengenommen. Für sich und die Kinder hat sie das Nötigste zusammengepackt. Heute Nacht hauen sie ab. Von ihm, von den Schlägen, von den Erniedrigungen. In den anonymen Schutz des Frauenhauses des Ennepe-Ruhr-Kreises. Doch selbst dort bleibt die Tür für Laura und ihre Kinder geschlossen. Das Frauenhaus des Ennepe-Ruhr-Kreises ist an der Auslastungsgrenze. Die drei müssen in eine Unterkunft in eine andere Stadt weiterziehen.

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Schon vor der Corona-Pandemie war das Frauenhaus, das sich an einem geheimen, sicheren Ort in der Stadt Sprockhövel befindet, zu klein, nicht mehr zeitgemäß und sanierungsbedürftig. Für diese Probleme wirkte die Pandemie nun wie ein Brennglas. Laura und ihr Schicksal sind rein fiktiv, doch andere Frauen mit anderen Namen haben genau das erlebt. Denn: Vor allem seit Pandemie-Beginn sind die Schutzwohnung und das Frauenhaus permanent ausgelastet. Frauen in Notlagen mussten abgewiesen und an sichere Institutionen in der Nachbarschaft geleitet werden.

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Diese tragische Situation soll sich schnellstmöglich ändern. Die Politik des Kreistags hat den Neubau eines Frauenhauses auf den Weg gebracht. Dies soll im Jahr 2024 in Hattingen entstehen und bestenfalls zu 90 Prozent über ein Bundesförderprogramm finanziert werden. Damit einher soll auch eine inhaltliche Neukonzeption gehen. Bis es so weit ist, gilt es noch, die ein oder andere Hürde zu überspringen, wie die Diskussion im Kreistag zeigt.

Aktuelle Situation im Ennepe-Ruhr-Kreis

Träger des Frauenhauses ist seit 1992 der Verein Frauen helfen Frauen EN. Das Gebäude, ein ehemaliges Hotel für Montagearbeiter, in der das Frauenhaus untergebracht ist, gehört dem Ennepe-Ruhr-Kreis. 13 Frauen und ihre Kinder finden in der heruntergekommenen Immobilie Platz, die für die Bewohnerinnen und das Personal weitere erhebliche Schwierigkeiten parat hält. „Das Haus ist nicht barrierefrei, die Gemeinschaftsräume sind zu klein und direkt vom Eingang zu erreichen. Gerade die Pandemie hat gezeigt, dass das Haus nicht mehr zukunftsfähig ist“, schreibt die Kreisverwaltung in ihrer Vorlage.

Die einzelnen Zimmer sind sehr klein, es gibt nur eine Gemeinschaftsküche und es gibt keine Wohnungen für Mütter mit mehreren Kindern. Außerdem können ältere männliche Kinder nicht untergebracht werden.

Förderprogramm

Da kommt das Förderprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ des Bundesfamilienministeriums genau richtig. Ziel des Förderprogramms ist es, die Erreichbarkeit, Zugänglichkeit und Funktionsfähigkeit von Hilfseinrichtungen für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder zu verbessern. Für investive Maßnahmen, verbunden mit innovativen Konzepten, sollen 90 Prozent der Baukosten gefördert werden. Ursprünglich war das Programm bis Ende 2023 aufgelegt, ist coronabedingt um ein Jahr verlängert worden. Eine weitere Verlängerung steht zur Diskussion. Bislang trug das Land NRW die verbliebenen zehn Prozent der Kosten, so dass es dem EN-Kreis möglich wäre, ein komplett finanziertes neues Frauenhaus zu bauen.

Hilfe auf Weg in gewaltfreies, unabhängiges Leben

Das Frauenhaus ist ein Angebot für von Gewalt betroffenen Frauen.

Das Frauenhaus ist anonym und sicher und Frauen können dort eine Zeit lang wohnen. Sie werden beraten und auf dem Weg in ein gewaltfreies, unabhängiges Leben unterstützt.

Jede Frau hat mit ihren Kindern ein eigenes Zimmer. Die Gemeinschaftsräume und der große Garten stehen allen gemeinsam zur Verfügung.

Zu wichtigen Terminen, wie z.B. Ämtergänge, Polizei, Familien- und ausländerrechtliche Angelegenheiten, können die Frauen begleitet werden.

Wer Fragen dazu und zu dem Frauenhaus hat, kann sich unter 02339 – 6292 melden.

Wichtig ist die Neukonzeption: Die Örtlichkeit soll von den Randlagen in die Mitte der Gesellschaft wechseln, deutlich mehr Plätze bieten, barrierefrei werden sowie zusätzlich eine Beratungsstelle erhalten. „Wir sind schon lange dabei, die Wege für die Menschen, die zu uns kommen zu erleichtern“, sagt Andrea Stolte vom Verein „Frauen helfen Frauen“, der unter seinem Programm „Gesine Intervention“ auch das Frauenhaus für den EN-Kreis betreibt.

Der Ort und der Zeitplan

Nachdem die Städte Witten (2), Schwelm (2), Ennepetal, Sprockhövel und Hattingen (2) jeweils Grundstücke angeboten hatten, fiel die Wahl des Ennepe-Ruhr-Kreises nun auf ein etwa 4000 m² großes Innenstadtgrundstück in Hattingen. Das Baurecht dort sieht eine zweigeschossige und lockere Bauweise vor. „Durch die Anforderung des Grundstücks würde ein geschützter Innenbereich geschaffen, der von den einzelnen Bauteilen des Zentrums umschlossen wird. Damit bietet das Grundstück den nötigen Schutz für den Außenaufenthalt gefährdeter Frauen und Kinder“, teil der Kreis mit. Das Bauvorhaben soll durch die Hattinger Wohnungsbaugesellschaft HWG umgesetzt werden. Fertigstellung und Kauf sollen im Jahr 2024 abgewickelt werden.

Der Antrag auf Förderung ist gestellt und nach Auskunft des Ministeriums stehen die Chancen dafür im Ennepe-Ruhr-Kreis gut. Noch sind viele Fragen zu klären, fest stehe allerdings, so die Verwaltung in ihrer Vorlage, dass dieses Investitionsprogramm auf absehbare Zeit eine letzte Chance sei, eine derart umfangreichen Förderung zu erhalten. Ob die Fördersumme für das Projekt ausreicht, oder ob der Kreis doch noch zuschießen muss, ist ebenso ungeklärt wie zahlreiche weitere Fragen. Nach deren erfolgreicher Beantwortung soll keine Frau mehr abgewiesen werden.