Gevelsberg. Verspätungen und Busausfälle sorgen bei Bürgern in EN für Verärgerung. Bei einem Bürgertreffen wird die Tiefe des Problems klar.
Der Ärger über Busausfälle und Verspätungen auf Linien der VER bleibt weiterhin groß. Auch in Gevelsberg – konkret in Silschede – gibt es Betroffene, die sich nun bei einem Bürgertreffen des dortigen SPD-Ortsvereins im Vereinsheim des FC Silschede äußern konnten. Dabei wurde deutlich, wie groß der Unmut ist, wie komplex sich das Problem für die VER als zuständiges Verkehrsunternehmen darstellt und was getan wird beziehungsweise noch werden muss, um es zu lösen. Zu dem Treffen gekommen war auch der Geschäftsführer des Verkehrsunternehmens, Peter Bökenkötter.
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Darum geht es
Seit Beginn der Corona-Pandemie leiden die Bewohner von Silschede unter den anhaltenden Ausfällen im Busverkehr (unsere Redaktion berichtete mehrfach). Besonders die Linie 584, die Schüler zur Gesamtschule Haßlinghausen befördert, ist davon betroffen. Doch auch der normale Linienverkehr bleibt nicht von Ausfällen verschont.
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Die Situation führt zu Frustration bei den Bürgern. Eine besorgte Mutter brachte es auf den Punkt: „Die Situation ist untragbar geworden. Unsere Kinder kommen zu spät zur Schule, und wir haben das Gefühl, dass niemand etwas unternimmt.“
Die Gründe für die Ausfälle sind vielschichtig und betreffen sowohl die Mitarbeiter der VER als auch die Fahrgäste.
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Personalprobleme und Fahrplaneinschränkungen
Ein Hauptgrund sind die Personalprobleme, insbesondere der hohe Krankenstand unter den Busfahrern, der seit der Corona-Pandemie dramatisch angestiegen ist. Telefonische Krankschreibungen hätten die Situation verschärft, wodurch die Krankenquote auf 15 bis 20 Prozent gestiegen sei, wie der VER-Geschäftsführer erklärte. Neue Mitarbeiter zu finden, gestalte sich schwierig, da der Arbeitsmarkt derzeit keine geeigneten Bewerber hergebe. Sprachliche Barrieren stellten ein weiteres Hindernis dar, und ähnliche Probleme plagten auch umliegende Verkehrsbetriebe.
Die VER bemühe sich, Rentner zu reaktivieren und Teilzeitmodelle auf 520-Euro-Basis anzubieten. Dennoch bleibe die Situation äußerst schwierig. Aktuell fehlten der VER sechs Fahrer, und es wird erwartet, dass die Einschränkungen im Fahrplan im Herbst auf 6 bis 7 Prozent steigen werden.
SPD-Ortsvorsitzender Bernhard Bösken zeigte Verständnis für die Ausführungen Bökenkötters, betonte jedoch gleichzeitig die entscheidende Bedeutung von zuverlässigen Busplänen, insbesondere in ländlichen Gebieten wie Silschede, in denen die Bürgerinnen und Bürger besonders stark darauf angewiesen seien.
Christina Bösken, Fraktionsvorsitzende der Gevelsberger SPD, forderte einen lösungsorientierten Ansatz, um die Rekrutierung qualifizierter Bewerber zu fördern, anstelle sich nur auf die Probleme zu fokussieren. Dazu gehörten alternative Dienstzeitmodelle wie das Vier-Tage-Modell.
Peter Bökenkötter erklärte, dass die VER alle Optionen prüfe und für alle Vorschläge offen sei. Die Schaffung von Teilzeitgruppen mit unterschiedlichen Schichtzeiten sei bereits eine Maßnahme zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Respektlosigkeit und Aggressivität gegenüber Fahrern
Die steigende Respektlosigkeit und Aggressivität gegenüber Busfahrern verschärfe die Situation zusätzlich. Die VER bemühe sich um Maßnahmen wie etwa ein „Fahrer-Café“, um mit den Fahrern über Probleme zu sprechen. Doch die Herausforderungen blieben bestehen. „Unsere Busfahrer verdienen Respekt und Wertschätzung für ihre harte Arbeit. Es ist beschämend, wenn man hört, wie sie von manchen Fahrgästen behandelt werden,“ sagte ein älterer Herr mitfühlend.
Finanzierungsschwierigkeiten
Die finanzielle Situation der VER sei äußerst prekär, nicht zuletzt aufgrund der Umstellung auf das Deutschlandticket, so der Geschäftsführer. Die finanziellen Engpässe beliefen sich auf mehr als drei Millionen Euro, und es drohten Haushaltssicherungsmaßnahmen, die alle freiwilligen Leistungen in Frage stellten.
Die Einführung des Deutschlandtickets sei von der VER stets abgelehnt worden, dennoch wurde es von der Politik beschlossen, obwohl es nicht finanzierbar sei. Bökenkötter warnte vor anstehenden Sparmaßnahmen und unterstrich die Notwendigkeit eines funktionierenden Systems und einer klaren Finanzierung, um die Situation wieder zu verbessern. „Es ist inakzeptabel, dass die Politik uns mit einer Hand das Deutschlandticket verordnet und uns mit der anderen Hand die finanziellen Mittel entzieht,“ beklagte Bökenkötter.
Die Umstellung auf Elektrobusse im Rahmen der „Antriebswende“ stelle eine zusätzliche Herausforderung dar, da diese etwa doppelt so teuer seien und eine neue Infrastruktur erforderten. Auch die Finanzierung dieser Maßnahmen sei ungewiss.
Geraune im Saal
Die Reaktionen auf Bökenkötters Antworten waren von allgemeinem Unmut begleitet, begleitet von Gemurmel und Geraune, da sie als unbefriedigend empfunden wurden. Bernhard Bösken kommentierte: „Wir drehen uns gerade im Kreis.“ Aber was tun?
Recruiting im Ausland
Daniel Berenbruch, SPD-Stadtverbandsvorsitzender, erkundigte sich, ob im Nahverkehr auch an Auslandsrecruiting gedacht werde, wie es bereits in anderen Branchen praktiziert werde. Er fragte, ob beispielsweise die Einstellung eines Busfahrers aus Mumbai denkbar sei und wie lange es dauern würde, den erforderlichen Führerschein und das Sprachniveau zu erwerben.
Peter Bökenkötter erklärte: „In Deutschland kostet der Busführerschein 13.000 Euro. Hierzulande benötigt man allein 60 Praxisstunden. Die VER ist aber inzwischen bereit, die Kosten für den deutschen Führerschein vollständig zu übernehmen. Bei der Rekrutierung legen wir Wert auf ausreichende Sprachkenntnisse, damit unsere Mitarbeiter beispielsweise in Notfällen Anrufe absetzen und Erste Hilfe leisten können. Derzeit schauen wir uns verstärkt im europäischen Ausland um.“
Verbesserte Arbeitsbedingungen
Ein Anwohner berichtete von einem kürzlichen Besuch in Mannheim, bei dem er auch den ÖPNV genutzt hatte. Dort seien ihm Werbeplakate für Busfahrerstellen aufgefallen. Auf diesen Plakaten wurde ein volles Gehalt ab dem ersten Tag der Ausbildung sowie zusätzliche Leistungen angeboten. Er fragte, ob solche Angebote auch bei der VER denkbar wären.
Bökenkötter kritisierte diese Art von Lockangeboten: „Ich finde so etwas inakzeptabel. Diese Betriebe, hinter denen große Konzerne stehen, verdienen ganz anderes Geld als wir und verschlechtern den Arbeitsmarkt mit solchen übertariflichen Angeboten. Innerhalb unserer Branche ist dies verpönt und nicht realisierbar hier im EN-Kreis.“
Fehlzeiten wegen Busausfällen
Eine Teilnehmerin, selbst Lehrerin, schlug vor, dass der Schulausschuss erwägen sollte, keine Fehlstunden mehr für Schüler zu vergeben, die aufgrund von Busausfällen zu spät zur Schule kommen. Dies sei eine einfache und unbürokratische Maßnahme. Und zum Thema Respektlosigkeit ergänzte sie: „Es gab mal das Projekt ,Fahr fair’ mit Fahrzeugbegleitern, meist Schülern, um Konflikte im Bus zu deeskalieren und so die Fahrer besser zu schützen. Das wurde in Kooperation mit der VER durchgeführt, ist aber leider wegen der Corona-Pandemie eingeschlafen. Es lohnt sich vielleicht, dieses Projekt wieder zu reaktivieren.“
Die Diskussion endete nach etwas über einer Stunde mit dem Appell von Bernhard Bösken und Peter Bökenkötter, gemeinsam nach Wegen zu suchen, um die aktuellen Herausforderungen im ÖPNV zu bewältigen. Peter Bökenkötter: „Wenn Sie jemanden kennen, der den Busführerschein machen möchte, sagen Sie uns bitte Bescheid!“ Bernhard Bösken betonte abschließend: „Das Thema versandet nicht, Herr Bökenkötter wird sich um Antworten auf die hier gestellten Fragen kümmern. Wir bleiben dran.“