Gevelsberg. Hermann Glimm ist seit mehr als 40 Jahren das Gesicht der Gaststätte Glimm. Er ist mit 88 Jahren der älteste Wirt in Gevelsberg.
Die Tür sieht schwerer aus, als sie ist. „Immer herein“, sagt Hermann Glimm und sitzt auf seinem Lieblingsplatz. An dem Tisch neben der Theke, mit Blick zum Eingang. Er grinst. Noch ist kein Gast da. Die Gläser stehen parat, die Frikadellen sind fertig, Musik läuft. So wie an fast jeden Tag in seiner Gaststätte Glimm an der Mittelstraße in Gevelsberg. Und das seit mehr als 40 Jahren.
Er sagt, das müsse irgendwann so in den 80ern gewesen sein, als er die Gaststätte von seinen Eltern übernommen hat, da war seine Mutter schon über 80. Die Geschichte der Wirte-Familie Glimm beginnt allerdings schon im Jahr 1904, als seine Großeltern Lina und Fritz Glimm das Lokal im Haus Mittelstraße 45 eröffneten. Damals nannten sie es „Zum Taubenschlag“. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen seine Eltern Hermann Karl und seine Frau Emmi. Und dann sei irgendwann er an der Reihe gewesen. Heute ist er 88 Jahre alt und der älteste Wirt in Gevelsberg. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht. „So lange ich noch Lust habe, mache ich weiter. Und noch habe ich Lust“, sagt er. Es macht ihm Spaß, mit den Gästen zu reden, sich um alles zu kümmern, die ein oder andere Partie zu knobeln. An vier Abenden in der Woche hat er geöffnet.
Bypässe und Oberschenkelhalsbruch
Früher gab es noch Frühschoppen, da waren immer viele Menschen. Doch diese Zeiten sind lange vorbei. Jetzt kommen sie lieber am Abend vorbei, die meisten sind Stammkunden. Mittwoch, Samstag und Sonntag hat Hermann Glimm geschlossen, an den anderen Tagen in der Woche öffnet er um 17 Uhr. „Ich wollte etwas kürzer treten“, sagt er. Damit er noch lange durchhält. Vor fünf Jahren, da dachte er, dass es vorbei ist. Als er auf der Treppe ausrutschte. Oberschenkelhalsbruch mit 83 Jahren. Mehr als zehn Stunden habe er gebraucht, um oben in seiner Wohnung über der Kneipe ans Telefon zu kommen, um Hilfe zu rufen.
„Aufgeben kommt für mich nicht in Frage“, sagt er. Und rumsitzen und Jammern auch nicht. Es sei eine schwere Zeit gewesen, schmerzhaft. Jetzt ist er wieder flott auf den Beinen, macht so einige Meter am Abend, wenn er bewirtet. Mit 68 Jahren hat er drei Bypässe bekommen. „Ich sah aus wie ein Astronaut“ sagt er und lacht. Die Naht von Hals bis zum Bauch, die Schläuche. Heute gehe es ihm gut. Okay, sagt er, morgens knackt und zieht es schon ganz schön. „Ein Stuhl wackelt doch auch manchmal“. Aber wenn er unten ist, in seiner Kneipe, dann ist es wieder gut. Aber die Zeiten, in denen er um 3 Uhr ins Bett ging und um 9 Uhr wieder aufstand, die seien vorbei. „Man muss es ja nicht übertreiben“, sagt er und lacht.
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Eigentlich ist er ja gelernter Koch, war später in Düsseldorf beschäftigt. Als seine Mutter einen Schlaganfall hatte, kam er zurück nach Gevelsberg. Ob Wirt sein Traumjob ist? Er zögert. „Ich weiß nicht, aber ich wollte das alles, was die Familie aufgebaut hat, nicht einfach aufgeben“, sagt er. Er ist glücklich mit der Entscheidung. „Was soll ich denn Zuhause rumsitzen?“
Kneipe feiert bald 120. Geburtstag
Auch als Corona war, er fast zwei Jahre lang ohne Einkommen war, habe er nicht ans Aufhören gedacht. Das Haus hat er verkauft und einen langfristigen Pachtvertrag vereinbart, oben ist seine Wohnung, unten sein Leben. Und einen Nachfolger hat er auch noch nicht gesucht. „Warum, ich will ja noch nicht aufhören.“ Kinder hat er nicht, die in seine Fußstapfen treten könnten. Und von seiner Frau hat er sich getrennt. „Wir haben uns in Tschechien kennen gelernt, als wir mit unserem Stammtisch aus Gevelsberg dort waren.“ Er habe spät geheiratet, sie blieben 25 Jahre zusammen. Es dauerte halt, bis er die richtige traf. Und das, obwohl er so vielen Menschen in seiner Kneipe begegnet ist.
„Lange Zeit kannte ich in Gevelsberg so ziemlich jeden“, sagt er. Früher waren bei Glimm viele Vereine. Heute gibt es die meisten nicht mehr. Die alten Herren der Feuerwehr kommen regelmäßig, auch sonst seien es eher ältere Semester, die bei Glimm ein Bier trinken. Die jüngeren, so sein Eindruck, die gehen immer weniger in Kneipen. Und auch der Geschmack habe sich geändert, Eierlikör mit Fanta bestellt niemand mehr. Süße Liköre sind auch weniger begehrt, „mittlerweile trinken auch Frauen Schnaps, was sie früher nie getan haben.“ Was sich nicht geändert hat: Frikadellen, Mettbrötchen, Bockwurst und Sülze werden wie eh und je bestellt, passen immer zum frisch Gezapften.
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Für 100 Jahre Andreas Pils hat Hermann Glimm eine Urkunde erhalten. Sie hängt neben all den vielen anderen Urkunden an der Wand. Jetzt schenkt er Königs Pilsener aus, weil es Andreas Pils leider nicht mehr gibt. Doch das ist auch so ziemlich die einzige Neuerung in seiner Kneipe. „Ich will, dass sich die Leute hier wohlfühlen, also habe ich alles so gelassen, wie es war.“ Das Holz an den Wänden, die Jahrzehnte alte Theke, Teppiche. Es gehe ihm um Gemütlichkeit, eine entspannte Atmosphäre, ein Gefühl von Vertrautheit.
Eine Kneipe ist schließlich auch ein Ort, an dem sich Dinge anvertraut werden, man über Probleme reden kann. „Das, was hier drin gesagt wird, das bleibt auch hier“, sagt er. Auch das mache einen guten Wirt aus. Verschwiegenheit. Und sich zu merken, was die Gäste haben möchten auch. „Nur für die Rechnung hole ich Zettel und Stift.“ Notieren sollte man sich den April 2024, sagt er. „Dann will ich hier Jubiläum feiern.“ 120 Jahre Glimm in Gevelsberg. Natürlich will er da hinter dem Tresen stehen und für die Gäste zapfen. Als ältester Wirt der Stadt, so wie ihn viele Menschen kennen.