Schwelm. Ein Vater aus Schwelm gibt zu, seine zwei Töchter sexuell missbraucht zu haben. Im Gericht schildert er, wie es zu den Taten kam.
Es ist ein beklemmendes Gefühl, das nach dem ersten Prozesstag im Missbrauchsprozess um einen 40-jährigen Mann aus Wuppertal bleibt. Die Anklage wirft ihm vor, zwei seiner Töchter zunächst in Meinerzhagen und später in Schwelm über Jahre hinweg schwer sexuell missbraucht zu haben – in insgesamt 1434 Fällen. Eine Zahl, die auf Hochrechnungen beruht, basierend auf den Aussagen, die er bisher gemacht hat. Dabei sollen die Übergriffe schon im Kleinkindalter begonnen haben. Außerdem soll der Familienvater eine der beiden Töchter im Schlaf nackt fotografiert und das Material gespeichert haben.
Der Angeklagte zeigt sich vor der Ersten Großen Jugendstrafkammer am Landgericht Hagen geständig, wundert sich lediglich selbst über die hohe Zahl an Fällen. Der Mann schildert verstörende Details nach außen hin ganz unaufgeregt und nahezu emotionslos. Als zwei Zeugen während der Verhandlung aussagen, faltet er seine Hände und guckt starr auf den Boden.
Im Laufe des ersten Prozesstages zeichnet sich das Bild eines Familienlebens, das Fragen aufwirft. Was hat die Ehefrau des Angeklagten und Mutter der beiden Töchter mitbekommen? Wie geht sie heute damit um? Wie sind die Kinder damit umgegangen? Was hat das Umfeld geahnt? Und stecken vielleicht noch mehr Taten hinter dem Fall, als sich anhand des Geständnisses vermuten lassen? Fragen, auf die der Prozess möglicherweise Antworten bringen wird.
Genaue Zahl der Missbräuche unklar
„Es fing an, als sie klein war und mit mir kuscheln wollte“, erklärt der 40-Jährige, ab wann er anfing, die ältere der beiden Töchter anzufassen. „Sie war ein bisschen älter als ein Jahr, sie konnte noch nicht sprechen.“ Wie er jetzt verstehen würde, sei es da schon zu Grenzüberschreitungen gekommen. „Sie hat oft bei mir geschlafen, ich habe sie unter die Decke genommen“, so der Beschuldigte weiter. Zu den Übergriffen sagt er: „Es war ständig und ist auch immer schlimmer geworden.“
Immer wieder stellt der Vorsitzende Richter Jörg Weber-Schmitz die Frage nach der Häufigkeit? Wie oft ist das passiert? Eine konkrete Antwort bekommt er nicht. „Einmal die Woche, vielleicht auch mehr. Ich weiß es nicht“, antwortet der Vater. Klar ist später nur, dass er sich in der Zeit zwischen Dezember 2012 und November 2021 regelmäßig an seinen Töchtern vergreift.
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Zunächst an der einen, später auch an der anderen. „Sie war auch ein Kuschelkind“, erinnert sich der Angeklagte. Zwei oder drei Jahre alt soll sie gewesen sein, als ihr Vater beginnt, sie zu missbrauchen. „Laut Anklageschrift war es seit der Geburt“, hakt Richter Weber-Schmitz nach. Für seine Aussage bei der Kriminalpolizei sei er nicht so gut vorbereitet gewesen, entgegnet ihm der Angeklagte. „Das kann ich nicht genau sagen“, erklärt er, sich heute nicht mehr an alle Details erinnern zu können. „Ich wusste, dass es falsch ist. Vor dem Gesetz und vor Gott“, sagt der Mann über seine Taten. „Es war eine starke Versuchung.“
Vater offenbart sich dem Jugendamt
Der vorsitzende Richter möchte wissen, wie das Sexualverhältnis zur Ehefrau des Angeklagten in dieser Zeit war. „Nicht einwandfrei“, lautet die Antwort. Es habe Streit gegeben, sei kompliziert gewesen. Dennoch habe es Sex gegeben. „Wir haben vier, fünf Kinder. Klar hatten wir Sex“, erklärt das der 40-Jährige.
Auf die Frage, wieso er sich dann zu seiner älteren Tochter hingezogen gefühlt habe, antwortet er: „Was soll ich sagen? Sie ist schöner, interessanter, sie ist immer lieb. Es hat gelockt.“ Laut eigener Aussage habe er seiner Tochter aber nie gesagt, dass sie nicht erzählen dürfe, was zwischen ihr und ihrem Vater passiere. Das soll sie von selbst verstanden haben. Auch habe er laut eigener Aussage von ihr abgelassen, wenn sie sich von ihm weggedreht habe oder es Anzeichen gab, dass sie Schmerzen hat. Wie kann es dann sein, dass es so viele Fälle sind? Das möchte Staatsanwältin Bettina Hirschberg wissen. „Sie ist trotzdem jedes Mal zu mir ins Bett gekommen“, sagt der Angeklagte. „Und das haben Sie als Aufforderung verstanden?“, hakt die Staatsanwältin weiter nach. „Nein, es war meine Begierde“, lautet die Antwort. „Ich kann nicht sagen, wie sie das fand. Ich glaube, sie hat es toleriert.“
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Ob seine Frau etwas mitbekommen habe, möchte der Richter vom Angeklagten wissen. „Ich weiß nicht, was sie mitbekommen hat“, so der Mann. „Sie hat schon mal etwas gesehen und gefragt, was ich da mache, aber ich habe es abgestritten.“ Wie es im Januar 2022 dazu kam, dass er sich stellte, schildert er wie folgt: „Es wurde vermutet, dass ich das mache. Ich habe den Nudismus ausgelebt. Verwandte sind misstrauisch geworden und haben das Jugendamt informiert.“ Das sei mit der Polizei vorbeigekommen. Das Jugendamt Schwelm ordnet schließlich eine räumliche Trennung des 40-Jährigen von seiner Familie an.
Fragen nach Internetbekanntschaft
„Ich wollte mir einen Anwalt nehmen und es leugnen“, erzählt der Angeklagte weiter. Gott habe ihm aber gesagt, er solle reinen Tisch machen. „Ich hatte Angst vor der Hölle“, sagt er. Außerdem habe er Angst davor gehabt, dass seine Kinder ohne ihn aufwachsen müssten.
Eine Sozialarbeiterin, die beim Jugendamt in Schwelm gearbeitet hat, bestätigt, dass der Mann sich dort gemeldet und über die Missbräuche gesprochen habe. „Er hat sehr sachlich und unemotional berichtet, das war schon ungewöhnlich“, erinnert sie sich. Sie habe den Fall der Polizei gemeldet, der Beschuldigte habe sich ebenfalls dort melden wollen, um auszusagen.
Die 41-Jährige spricht außerdem davon, dass der Angeklagte mit der älteren Tochter an einem Tag zu einer Internetbekanntschaft habe fahren wollen, was das Protokoll, das ein Mitarbeiter des Jugendzentrums in Schwelm während des Geständnisses im Jugendamt geführt hat, bestätigt. Er sei aushilfsweise dabei gewesen, weil das Amt zu dieser Zeit unterbesetzt gewesen sei, so der Diplom-Sozialpädagoge im Zeugenstand vor dem Landgericht. Fragen zu dieser Internetbekanntschaft sei der Angeklagte ausgewichen, sagt die frühere Schwelmer Jugendamtsmitarbeiterin. Auf dem Weg zu dieser Bekanntschaft soll er seiner Tochter gesagt haben, dass sie nichts von dem erzählen dürfe, das zwischen ihr und ihrem Vater passiert sei. Zu dieser Zeit seien Jugendamt und Polizei schon bei ihm zuhause gewesen. Mehr dazu ist am ersten Verhandlungstag nicht zu erfahren.
Will Mutter ihren Mann zurück?
Bis zum nächsten Prozesstag möchte Richter Jörg Weber-Schmitz jemanden ausfindig machen, der etwas dazu sagen kann, wie es den beiden Mädchen heute geht – auch um ihnen eine Aussage vor Gericht zu ersparen. Nach Angaben der Sozialarbeiterin haben drei Kollegen, die mit dem Fall beim Jugendamt Schwelm befasst waren, gleichzeitig gekündigt.
Ebenso möchte der Richter eine Konfrontation zwischen Angeklagtem und seiner Ehefrau vor Gericht vermeiden. Sie soll laut Zeugenaussage beim Jugendamt um ein gemeinsames Gespräch mit ihrem Mann gebeten haben, dass dieser sich geändert habe und aus ihrer Sicht wieder in den Haushalt zurückkehren solle. Ob das vor oder nach seiner Offenbarung bei Jugendamt und Polizei gewesen ist, bleibt unklar.