Schwelm. Diese Ratssitzung geht wohl in die Geschichte ein. Der Zuschauerraum ist voll, die Diskussionen sind hitzig. So geht’s mit Stadtmarketing weiter.

Eine so hitzige eine Ratssitzung gab es in Schwelm wohl selten. In einem regelrechten Tumult machen sich die Fraktionen gegenseitig Vorwürfe, klagen über fehlenden Respekt, reden sich in Rage. Aus dem prall gefüllten Zuschauerraum ertönen immer wieder Zwischenrufe: „Frechheit“, „Falschaussagen“, „Das stimmt so nicht“. Grund für die kaum zu bremsende Aufregung ist der Antrag von CDU, SPD, Grünen, Linken und BIZ, die die Stadtmarketing GmbH & Co. KG zu einer Hülle verkommen lassen wollen. Ein Vorhaben, dem die privaten Gesellschafter, von denen einige gekommen sind und vor allem die FDP überhaupt nicht zustimmen. „So geht man nicht mit Bürgern um, die sich Jahrzehnte für das Stadtmarketing eingesetzt haben“, betonen Philipp Beckmann, Michael Schwunk und Uwe Hugendick von der FDP. Und dafür gibt’s großen Applaus von den Rängen.

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Lediglich einen Tag vor der Ratssitzung am Donnerstag, 23. Februar, flatterte der Antrag auf die Tagesordnung, der insbesondere bei den privaten Gesellschaftern für Ärger und Entsetzen sorgt (wir berichteten). Kein Wunder also, dass viele der Betroffenen die Initiative ergreifen, um sich das Ganze am Donnerstagabend im Rathaus erklären zu lassen, sogar im Laufe der Sitzung kommen immer wieder Besucher hinzu. Stühle gibt es keine mehr, das stört die wenigsten, sie stehen in den hinteren Reihen, fordern von der Politik eine Erklärung, wollen ihrem Ärger Luft machen. Unter ihnen sind neben den Gesellschaftern auch die beiden Angestellten des Stadtmarketings, Claudia Lipka und Daniela Weithe, Händler und Gastronomen. Väter mit ihren Kindern lauschen den Politikern.

Doch zunächst haben die Bürger das Wort. Und hier meldet sich Udo Schmidt, Rechtsanwalt, Mitbegründer des Stadtmarketings und Sprecher der privaten Gesellschafter. Er möchte wissen, wieso so etwas nicht in den entsprechenden Gremien verhandelt wird, und, warum Politik und Verwaltung vorher nicht privat auf die Betroffenen zugegangen sind. „Das hier ist auch ein Gremium, im Rat wollen wir darüber sprechen“, kontert Bürgermeister Stephan Langhard. Im nächsten Schritt könne das Thema durchaus in anderen Gremien oder Gesellschafterverfahren Platz finden.

Empörung bei Gästen

Der Ton ist rau und dementsprechend geht es zur Sache: Michael Müller, künftiger CDU-Fraktionsvorsitzender, versucht die Beweggründe zu erläutern. Insbesondere sei der Antrag der FDP (wir berichteten) Anlass für diese „Eilentscheidung“ gewesen. „Wir halten den Antrag der FDP nicht für sinnvoll“, sagt Müller. Zur Erinnerung: Dieser fordert, die Wirtschaftsförderung sowie die personelle Ausstattung, die dafür im Rathaus vorhanden war, zurück ins Stadtmarketing zu überführen. Zudem sollen künftig alle Freizeit- und Brauchtumsveranstaltungen zentral über das Stadtmarketing erdacht, organisiert und ausgeführt werden und weitere Ressourcen dafür an das so deutlich gestärkte Stadtmarketing zu übertragen.

Michael Müller betont für die Steller des Gegenantrags: „Wir wollen die Gesellschaft nicht kaputt machen, das Engagement soll dem Antrag nicht zum Opfer fallen.“ Viel mehr sei das Ziel, so Kräfte zu bündeln, um das Stadtmarketing künftig gut aufzustellen. Und warum die Eile? Dazu erklärt der Nachfolger des scheidenden CDU-Fraktionsvorsitzenden Oliver Flüshöh: „Wir müssen den Stellenplan heute beschließen.“ Zudem müsse das Geld für das im Antrag aufgeführte Stadtmarketingkonzept eingeplant werden. „Wir haben darüber mehrfach im Aufsichtsrat gesprochen“, fügt Michael Müller hinzu. Seiner Ansicht nach sei man sich dort überwiegend einig gewesen. Erste laute Rufe aus dem Zuschauerraum: „Das stimmt so nicht, das sind Falschaussagen“, ruft unter anderem Stadtmarketing-Gesellschafter Ralf Stoffels in den Raum. „Frechheit!“, ertönt es aus einer anderen Zuschauerreihe. Bürgermeister Langhard bittet immer wieder um Ruhe, es habe kein Bürger oder Zuschauer mehr das Recht auf Wortbeiträge. Großes Entsetzen: „Sie haben vorhin doch was anderes gesagt“, beschweren sich die Gäste. Empörung. Doch zunächst bleibt den Zuschauern nichts anderes übrig als die Situation so hinzunehmen.

Rückendeckung bekommen die aufgebrachten Bürger von der FDP: Sie wisse um die schwierige Situation in der Innenstadt und auch um die Probleme der vergangenen Jahre bezüglich des Stadtmarketings. „Aber unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen uns ja, dass eine Zusammenführung mit der Wirtschaftsförderung nicht sinnvoll ist“, argumentiert Michael Schwunk und nimmt Bezug auf die nach nur sechs Monaten als Wirtschaftsförderin ausscheidende Daniela Mehling sowie ihren Vorgänger Simon Nowak, der Schwelm ebenfalls nach wenigen Jahren wieder verließ.

Unterbrechung der Sitzung

Grünen-Fraktions-Chef Marcel Gießwein ist da ganz anderer Auffassung: „In den letzten zehn Jahren ist in dieser Konstellation nichts passiert. Das Ganze, was da nicht funktioniert hat, muss neu aufgestellt werden. Hier muss man handeln. Für uns als Grüne war schon immer klar, dass das alles zusammengehört.“ Stoffels, der in der ersten Zuschauerreihe sitzt, kann kaum fassen, was er da hört, auch Claudia Lipka ist regelrecht schockiert. Auch einen Tag später sagt sie: „Was da abgelaufen ist, ist an Unehrlichkeit nicht zu überbieten.“

Die Diskussion heizt sich weiter auf. „Einfach zu sagen, wir brauchen euch nicht mehr’, das macht man nicht“, betont FDP-Mann Phillip Beckmann im Laufe der Sitzung. „Menschen so die Tür zuzuschlagen ist dumm und falsch.“ Hartmut Ziebs, CDU, bedauert: „Den respektvollen Umgang unter Politikern vermisse ich heute. Genau diesen Prozess hätte ich mir schon vor zehn Jahren gewünscht.“ Letztenendes wird die völlig überhitzte Diskussion unterbrochen. Sitzungspause. Und dann erhält Ralf Stoffels doch noch die Gelegenheit ein paar Worte loszuwerden. „Wir engagieren uns hier seit Jahren privat, ehrenamtlich und mit privaten Mitteln“, betont er. Dennoch wird der zuvor gestellte Vertagungsantrag der FDP mehrheitlich abgelehnt.

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Um dem gut zweistündigen Tumult ein Ende zu setzen, beantragt Thorsten Kirschner, Fraktionsvorsitzender der SPD, für den dritten Punkt des gemeinsamen Antrags (u.a. Ausstattung der Gesellschaft mit 0,5 Stelle) eine Vertagung, der bei neun Enthaltungen zugestimmt wird. Für den ersten Punkt, die Einrichtung einer Organisationseinheit in der Verwaltung wird das Wort „Stadtmarketing“ gestrichen. Mit 36 Mal „ja“ und zehn Mal „nein“ geht auch dieser Beschluss durch. Ein gleiches Ergebnis gilt für den zweiten Punkt, der das Budget für das Stadtmarketingkonzept enthält.

Die Unzufriedenheit ist auch nach der Abstimmung noch spürbar. Für Gesprächsstoff im Zuschauerraum sorgt zusätzlich die Tatsache, dass Oliver Flüshöh den Sitzungssaal vor der Abstimmung verlässt und erst danach wieder zurückkehrt. Wie es nun mit der Stadtmarketing Gesellschaft weitergeht, das ist offen. Das Unverständnis bei den vielen Sitzungsgästen bleibt jedoch bestehen.