Ennepetal. Angesichts explodierter Preise für Energie könne immer mehr Haushalte ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen. Doch es gibt Hilfsangebote.

Ein Leben ohne Strom ist für die meisten Menschen undenkbar. Doch vielen droht genau das und bei manchen ist es sogar bereits Realität, weil sie den kostbaren „Saft aus der Steckdose“ nicht mehr bezahlen können. 344 Haushalten sperrte der heimische Energieversorger AVU im vergangenen Jahr die Stromversorgung. Um zu verhindern, dass es soweit kommt, bietet die Verbraucherzentrale Hilfe an. „Es ist nie zu spät, bei uns Rat zu suchen”, betont Energieexperte Ulrich Merle, ergänzt aber auch: „Aber eine späte Nachricht erschwert unsere Arbeit und begrenzt unsere Möglichkeiten.”

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Es geht um drohende Stromsperren und somit um die Angst vor dem Abklemmen der Stromzufuhr durch die Versorger. Merle ist für die Verbraucherzentrale NRW tätig, die im Ennepe-Ruhr-Kreis in Witten und in Ennepetal vertreten ist. Für verzweifelte Menschen ist der Energieberater oft die „letzte Rettung“. Er versucht, auch noch kurz vor dem angekündigten Abklemmen der Stromversorgung durch den Grundversorger eine Lösung zu finden. „Wenn ich nicht zu erreichen sein sollte, werden meine Kolleginnen oder Kollegen sofort Kontakt mit der AVU oder den Stadtwerken Witten aufnehmen mit dem Ziel, die angekündigte Sperre erst einmal abzuwenden.” Die Beratungsstelle der Verbraucherzentrale NRW habe einen guten Kontakt zu den beiden Unternehmen, berichtete bereits die Leiterin der Beratungsstelle Witten (zu der Ennepetal als Beratungsstützpunkt gehört), Nadine Schröer, vor einigen Wochen vor dem Sozialausschuss der Stadt Ennepetal.

An jedem Dienstagmorgen ist Ulrich Merle im Bürgerbüro der Stadt Ennepetal in der Voerder Straße 39 in Milspe zu finden. In seinem Büro sitzen oft Menschen, die nicht mehr wissen, wie es in ihrem Leben weitergehen soll, die einfach kein Geld mehr haben, um ihre Stromrechnung bezahlen zu können.

Dreistufiges Verfahren

Merle weiß, dass die Betroffenen sich nicht auf der Sonnenseite des Lebens befinden, oft einen geringen Lohn für ihre Arbeit bekommen oder vom jetzigen Bürgergeld (bisher Hartz IV) oder der Grundsicherung leben müssen. Er erklärt, dass das neue Bürgergeld in Höhe von 502 Euro (für Alleinstehende) Geld für Strom bereits beinhalte.

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Die Stromkosten seien aber sehr gestiegen, und dazu komme noch die Inflation. „Erst kam die Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine und fast alles wurde teurer!“ so Merle. Es seien nicht nur von Transferleistungen lebende Menschen, die zu ihm kämen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich hier einmal sitzen würde!“ höre er immer öfter. Es seien zum Beispiel Menschen dabei, die längere Zeit von Krankengeld leben müssten und nun nicht weiter wüssten.

Ulriche Merle, bei der Verbraucherzentrale NRW in der Beratungsstelle Witten und im zugehörigen Beratungsstützpunkt Ennepetal zuständig für die Budget- und Rechtsberatung zum Thema Energiearmut.
Ulriche Merle, bei der Verbraucherzentrale NRW in der Beratungsstelle Witten und im zugehörigen Beratungsstützpunkt Ennepetal zuständig für die Budget- und Rechtsberatung zum Thema Energiearmut. © WP | Hans-Jochem Schulte

AVU-Pressesprecher Jörg Prostka erklärt, dass sein Unternehmen und die Stadtwerke Witten gemeinsam eine 50-Prozent-Stelle für Energieberatung bei der Verbraucherzentrale finanzieren. Er bestätigt, dass es einen regelmäßigen Austausch mit den Beratern der Verbraucherzentrale auf der Arbeitsebene gebe. Bei der Zahl der zu besprechenden Fälle sei zuletzt ein leichter Anstieg zu verzeichnen gewesen.

Prostka erläutert auch, dass es vor einer tatsächlichen Stromsperrung ein dreistufiges Verfahren gebe: zunächst eine Zahlungserinnerung, in der zumindest schon einmal auf die Stromsperrung als letzte Maßnahme hingewiesen wir, dann eine Mahnung und schließlich eine Sperrankündigung mit Nennung des Termins.

Was ist zu tun, wenn die erste Mahnung in der Post ist? „Ist eine Zahlung der Rechnung nicht möglich, sollte der Kunde sofort telefonisch oder per E-Mail einen Termin mit der Verbraucherberatung machen und alle Unterlagen wie Rechnungen, auch über die Miete, Verdienstbescheinigungen und so weiter mitbringen“, empfiehlt Energieberater Ulrich Merle. Je eher sich jemand melde, desto besser.

Merle betont: „Die Mitarbeit der Betroffenen ist notwendig!“ Der Strom gesperrt werde im schlimmsten Falle erst acht Tage nach der besonderen Ankündigung. Doch soweit soll es gar nicht erst kommen. „Natürlich muss die Stromrechnung bezahlt werden. Wir erreichen aber oft eine Ratenzahlung“, berichtet Merle im Gespräch mit dieser Zeitung.

Beratungstermine

Dienstags von 9 bis 13 Uhr ist Verbraucherberatung (auch für Zahlungsproblem beim Strom) im städtischen Bürgerbüro im Hause Voerder Straße 39 in Ennepetal-Milspe. Am ersten Donnerstag im Monat findet dort von 13 bis 16.45 Uhr eine Energieberatung statt. Für beide Tage ist eine Anmeldung erforderlich: 02302/2828101 (Rufnummer der Zentrale in Witten) oder unter www.verbraucherzentrale.nrw/beratungsstellen/witten. Dort gibt es auch Formulare zur Terminvorbereitung.

2022 verschickte die AVU etwa 10.000 Zahlungserinnerungen (erhalten nur erstmals säumige Kunden), 62.000 Mahnungen (bekommen alle, die zuvor schon einmal eine Zahlungserinnerung bekommen haben) und 2300 Sperrankündigungen. Dass am Ende die Zahl der tatsächlichen Sperrungen mit 344 weit geringer liege, zeige, dass man mit vielen Kunden noch rechtzeitig eine Lösung finde. „Wir sind ohnehin verpflichtet, eine so genannte Abwendungsvereinbarung anzubieten“, so AVU-Sprecher Jörg Prostka. Diese beinhalte in der Regel einen Ratenzahlungsplan.

Die Verbraucherschützer wollen aber auch die Ursachen der oft hohen Stromverbräuche finden. Merle: „Ist bei einem Wohnungseinzug der Zählerstand der AVU richtig mitgeteilt worden? Können große ältere Elektrogeräte wie Kühl- und Eisschränke hohe Verbräuche verursachen? Wie ist die Einkommenssituation? Kann zum Beispiel Wohngeld beantragt werden? „Wir wollen vorbeugend tätig sein. Es gibt sehr komplexe Fälle“, sagt Merle. Oft müsse das Jobcenter mit ins Boot geholt werden. Mit der AVU zum Beispiel treffe man sich regelmäßig in Gesprächsrunden, auch die Caritas und die Diakonie seien bei großen Runden mit am Tisch. „Oberste Priorität hat die Existenzsicherung von Menschen“: Mit diesem Satz bringt Ulrich Merle das Ziel seiner Beratungsarbeit auf den Punkt.