Ennepe-Ruhr-Kreis. Beim Neujahrsempfang des Feuerwehrbandes des EN-Kreises spielt auch die Silvesternacht eine Rolle. Was sind die Folgen der Übergriffe?

„Helfende Hände schlägt man nicht“: Das betonte der Bezirksbrandmeister Uwe Wiedenbeck beim Neujahrsempfang des Kreisfeuerwehrbandes, der erstmals nach zweijähriger Corona-Pause wieder in Breckerfeld stattfand. Neben der Corona-Pandemie und der Energiekrise war auch die vergangene Silvesternacht ein großes Thema für alle Beteiligten. Kreisbrandmeister Rolf-Erich Rehm zeigte sich nach wie vor schockiert über das Verhalten der Menschen gegenüber Einsatzkräften. Es sei „kaum zu fassen“. „Bei den Tätern hat die gesamte Erziehung des Elternhauses und das über Generationen versagt. Man kann auch nicht von Dummheit sprechen, das hätte ja noch den Anschein von Jugendstreichen. Nein es bleibt ein asoziales Verhalten, für das es in unserer Mitte keinen Platz geben darf“, äußerte sich Rehm sehr deutlich.

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Feuerwehr und Rettungsdienst würden sich in den kommenden Jahren deutlich verändern: „Das Anspruchsdenken der Menschen mit ihrer Allinklusiv-Mentalität, aber auch die Feuerwehren mit dem Anspruch alles zu können und allen zu helfen, jedes Gebiet für sich abdecken zu müssen führt zu personellen Erfordernissen, die am Markt nicht mehr abzubilden sind. Die ehrenamtlichen Feuerwehrkräfte sind auch nicht endlos verfügbar, um die Unterstützung leisten zu können“, fügte Rolf Erich Rehm hinzu.

Traditionelles Gruppenbild des Neujahrsempfangs: Präsidium, stellv. Kreisbrandmeister, Ehrengäste und Ehrenmitglieder.
Traditionelles Gruppenbild des Neujahrsempfangs: Präsidium, stellv. Kreisbrandmeister, Ehrengäste und Ehrenmitglieder. © Feuerwehr Breckerfeld | Justus Bergermann

Und diese personellen Engpässe seien nicht neu. „Eigentlich ist es egal, ob Berufsfeuerwehr oder Ehrenamt“, erklärt der Kreisbrandmeister nach der Veranstaltung auf Nachfrage der Redaktion. Ein Mangel bestehe in beiden Bereichen. Die aktuellen Geschehnisse des Jahreswechsels sorgen derweil zwar nicht für noch weniger Kräfte, so Rehm, aber: „Das Unverständnis ist enorm groß.“ Dass durch diese Ereignisse nun jedoch ein weiterer Personalmangel entsteht, das hofft und glaubt Rolf-Erich Rehm nicht. Vielmehr gingen die personellen Probleme – insbesondere im Ehrenamt – auf das Berufsleben der Menschen zurück. „Meist haben wir zu normalen Tageszeiten Personalproblem, weil viele Leute nicht mehr da arbeiten, wo sie wohnen. Heute pendeln sehr viele. Dadurch gibt es schlechtere Verfügbarkeiten. Ich hoffe, dass sich der Trend nicht weiter verstärken wird.“ Letzten Endes, so betont er weiter, funktioniere aber noch alles. Indes sagt Rehm auch: „Natürlich könnten es mehr sein, das ist immer so. Allein schon, um die Belastungsgrenze runterzusetzen.“ Denn vor allem die Ehrenamtler gingen täglich bereits acht Stunden ihrer Arbeit nach und müssten daraufhin nachts gegebenenfalls noch mal für einen Brand raus. „Das ist eine enorme Belastung.“

Schüren Übergriffe Ängste?

Aber was machen die Geschehnisse der Silvesternacht, die Angriffe auf Einsatzkräfte, mit den Feuerwehrkräften? Schüren sie nun Ängste, fühlen sich manche Feuerwehrleute sogar unwohl? „Das Unwohlsein hängt immer von den persönlichen Ängsten ab. Meistens sind wir ja immer eine größere Gruppe, das birgt eine gewisse Sicherheit“, so erklärt es der Kreisbrandmeister mit Blick auf die Feuerwehr. Dennoch betont Rehm: „Beim Rettungswagen kann natürlich ein mulmiges Gefühl auftauchen, wenn da nachts in einer einsamen Gegend nur zwei Leute drauf sind.“

Präsident und Kreisbrandmeister Rolf-Erich Rehm.
Präsident und Kreisbrandmeister Rolf-Erich Rehm. © Feuerwehr Breckerfeld | Justus Bergermann

Der Kreisbrandmeister befürchtet, dass die Lage in absehbarer Zeit nicht eingedämmt wird. „Aktuell erleben wir es so, dass alles wieder in Richtung gesellschaftspolitischer Probleme verkopft wird.“ Und das sei ein großer Fehler in seinen Augen. „Man muss identifizieren, wer es gemacht hat, und derjenige gehört auch konsequent bestraft. Die Strafen hier in Deutschland seien in der Regel streng genug, doch die Durchführung sei oftmals das „Problem“. „Hier darf nicht die Ausrede ,schwierige Kindheit’ gelten, man darf nicht stigmatisieren. Da hat einfach die Erziehung versagt. Ich hätte mir beispielsweise damals nicht vorstellen können, mit der Polizei nach Hause gebracht zu werden.“

Dennoch weiß Rehm auch, dass beim Thema Strafen oftmals mehrere Bereiche berührt seien. So sei es nicht nur die Politik, auch die zuständigen Gerichte spielten eine wesentliche Rolle. „Wer heute eine Straftat begeht, wird oft erst in einem Jahr verurteilt. Das ist wie mit der Erziehung, wenn ich sofort schimpfe, bringt es was. Sonst nicht.“ Der Kreisbrandmeister wünscht sich daher nicht unbedingt härteren Strafen, sondern vor allem schnelleres Durchgreifen, schnellere Konsequenzen für die Verursacher und Täter.

Skepsis macht sich bei Rolf-Erich Rehm und der Kreisfeuerwehr aufgrund der schockierenden Ereignisse jedoch nicht breit. „Ich glaube, wir können bei uns im Kreis davon ausgehen, dass es friedlich bleibt“, lobt Rolf-Erich Rehm noch einmal auch beim Neujahrsempfang den Ennepe-Ruhr-Kreis und seine Bürgerinnen und Bürger. Auch mit Blick auf die Gevelsberger Kirmes oder das Schwelmer Heimatfest ist er optimistisch. Zudem stimme man sich vorab immer mit der Polizei ab. „Wenn wir da Hinweise bekommen, dass es heftiger werden könnte, bereiten wir uns natürlich vor. Aber so wie ich die Gevelsberger Kirmes und das Schwelmer Heimatfest erlebt habe, sind das echt sehr friedliche Veranstaltungen.“

Hohe Fluktuation

Ein weiterer Blick auf das zukünftige Geschehen lässt die Frage offen, wie es um die offenen Stellen bei der Feuerwehr im Kreis aussieht. Den Mangel hat Rehm bereits anklingen lassen, betont jedoch auch, dass dieser bereits lange vor den Übergriffen auf Einsatzkräfte bittere Realität geworden ist. In seinen Augen liegt das auch an der äußerst langen Ausbildung, die ein angehender Feuerwehrmann durchlaufen muss. „Wenn Sie heute jemanden einstellen wollen, ist der frühstens in fünf Jahren fertig. Das ist zum einen ein langer Zeitraum, zum anderen rüsten größere Städte immer weiter auf und da können kleinere Städte nicht mithalten.“

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Der Kreisbrandmeister erklärt diesbezüglich, dass es eine hohe Abwanderungstendenz gebe – auch hier im Ennepe-Ruhr-Kreis. „Es gibt immer den Bedarf einer Neubesetzung. Und es gibt keine arbeitslosen Feuerwehrleute, also gibt es keinen Markt. Das ist ein Kreislauf. Wir hier im EN-Kreis sind da natürlich gebeutelt, weil wir die ganzen kreisfreien Städte um uns haben.“ Unter anderem seien das Bochum, Wuppertal und Hagen. Daher herrsche zwischen dem Kreis und den Großstädten eine enorme und ständige Fluktuation. „Das ist nicht dramatisch, aber wir suchen hier bei der Kreisleitstelle und auch bei den Feuerwehren immer Leute.“

Vorbereitung auf schwierige Situationen

Beim Neujahrsempfang konnte Präsident und Kreisbrandmeister Rolf-Erich Rehm viele Gäste aus der Politik, Verwaltung und den kreisangehörigen Feuerwehren begrüßen. So waren die Landtagsabgeordneten Kirsten Stich und Verena Schäffer der Einladung gefolgt. Auch Landrat Olaf Schade sowie der neue Kreisdirektor Sebastian Arlt waren anwesend. Viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister begleiteten ihre Feuerwehrführung ebenfalls nach Breckerfeld. Dazu kamen viele Ehrengäste.

Landrat Olaf Schade machte zum Abschluss der Veranstaltung in Breckerfeld noch einmal deutlich, dass alle Menschen im Ennepe-Ruhr-Kreis dankbar sind, eine leistungsfähige Feuerwehr zu haben. „Wir müssen uns bereit machen für schwierige Situationen. Daher ist es eine gute Nachricht, dass dieses Jahr mit dem Bau des Gefahrenabwehrzentrums begonnen werden kann, was inhaltlich erforderlich ist“, so der Landrat. „Die Ereignisse der Silvesternacht sind wirklich ganz nah. Hagen und Essen sind unweit der Kreisgrenzen. Angriffe auf Rettungskräfte dürfen wir nicht dulden und durchgehen lassen. Es muss eine Grenze geben: Menschen, die helfen, gehören nicht angegriffen, und wer angreift, muss die Härte des Gesetzes erfahren“, sagte Olaf Schade mit Nachdruck.

Zudem spiele die aktuelle wirtschaftliche Lage auch eine entscheidende Rolle. „Es gab Zeiten, da ist der Handwerker ganz gerne zur Feuerwehr gegangen – wegen des Geldes.“ Doch das, so weiß auch Rolf-Erich Rehm, sei heute ganz anders. Im Handwerk verdienen Berufstätige heutzutage sehr gutes Geld, Handwerker sind so gefragt wie nie. „Eine richtige Lösung habe ich für dieses Problem aber auch nicht“, gibt der Kreisbrandmeister abschließend zu und bleibt dennoch optimistisch. Nicht nur mit Blick auf die Entwicklung der Übergriffe im Allgemeinen, sondern auch in Bezug auf die Lage hier vor Ort – sowohl beim Punkt Personal als auch beim Punkt Gewalt.