Gevelsberg. Mancher Gevelsberger traute seinen Augen kaum: Eine Herde von 15 Rindern zog mitten durch die Innenstadt. Das steckt hinter dem „Almabtrieb“.

Dass man auch auf der Mittelstraße in Gevelsberg manchmal Hornochsen, Rindviechern oder dummen Kühen begegnet, werden vermutlich viele Verkehrsteilnehmer unterschreiben. Dass aber gleich ein ganze Rinderherde durch die Innenstadt zieht, hat absoluten Seltenheitswert. Am Sonntagmorgen sorgten nicht zuletzt laut scheppernde Schweizer Kuhglocken dafür, dass manch einer verdutzt aus dem Fenster schaute und den „Almabtrieb“ der ungewöhnlichen Art verfolgte.

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15 Tiere zogen von einer Weide „Am Werde“ an der Kartbahn der Sparkasse und der Stadtharfe vorbei durch die Fußgängerzone, den weiteren Verlauf der Mittelstraße und die Rosendahler Straße. Nach etwa vier Kilometern fanden sie auf einer Weide am Rosendahl schließlich ihre neue Heimat auf Zeit. „Da grasen die Tiere jetzt noch, bis es wahrscheinlich auf eine weitere Weide geht. Falls es zu nass und ungemütlich wird, gehen sie direkt in den Stall“, erklärte Landwirt Jörn Kehrmann. Ihm gehört die Herde von „Limousin“-Rindern, die da durch Gevelsberg gezogen war. „Die Tiere sind sozusagen ,städtische Angestellte’, berichtete er. „Sie pflegen für die Stadt Gevelsberg in der Nähe vom Gut Rocholz ein paar Naturschutzflächen, versuchen so zum Beispiel der Herkulesstaude den Garaus zu machen.“

Mitten auf der Mittelstraße gingen die Tiere in Richtung Oberstadt.
Mitten auf der Mittelstraße gingen die Tiere in Richtung Oberstadt. © WP | Privat

Die Kühe und Rinder im Alter zwischen 14 Monaten und vier Jahren heißen Hermine, Halme, Josefine, Charlotte, Onna, Jael, Oraya, Norina, Ninette, Oda, Jodie, Hanna, Niki, Anni und Jelda. Einige von ihnen trugen Schellen und Glocken, die sich Jörn Kehrmann in den vergangenen Jahren in Urlauben in der Schweiz „in einem ganz urigen Laden bei Adelboden“ anfertigen ließ. „So konnten Fußgänger uns auch hier schon frühzeitig wahrnehmen“, meinte er. Viele Schaulustige verfolgten den „Almabtrieb“ und machten Fotos und Filme. „Wir bekamen das erste Video auf ,TikTok’ bereits zugespielt, kurz nachdem wir die Weide erreicht hatten“, erzählt Kehrmann, der seinen Hof am Stüting hat. „Die Kühe sind ganz beeindruckt von dem Wirbel, den sie ausgelöst haben“, meint er schmunzelnd.

Limousin-Rinder

Landwirt Jörn Kehrmann züchtet Limousin-Rinder. Dabei handelt es sich um eine Rinderrasse, die aus der gleichnamigen Region Limousin in Zentral-Frankreich stammt.

„Das Fleisch ist besonders schmackhaft“, betont Kehrmann, der das Fleisch direkt vermarktet. Er habe sich für die Rasse aber auch entschieden, weil ihm die Tiere gut gefallen.

Kehrmann, dessen Hof an der Stütingstraße in Gevelsberg liegt, betreibt neben der Rinder- auch eine Schafzucht.

Die meisten Autofahrer hätten sehr rücksichtsvoll, geduldig und freundlich reagiert oder sogar gelacht, schildert Kehrmann den Verlauf der Aktion. Auch im Nachgang hätten er und seine Helfer erfreulicherweise viele positive Rückmeldungen bekommen. „Wir haben für diese Aktion extra einen Sonntagmorgen ausgeguckt, damit wir nicht allzu viel Stau verursachen und unsere Tiere bei der ersten Wanderung dieser Art nicht überfordert sind von zu vielen Autos und Menschen“, betont er. „Normalerweise werden sie ja in ihrem Anhänger zwischen Stall und Weiden chauffiert.“ Für erste Irritation auf dem Weg hätten bereits Gullydeckel vor den Hufen gesorgt, darüber hätten die Tiere anfangs vorsichtig sehr große Schritte gemacht. Auch der eine oder andere kleine „Aufgeregtheits-Fladen“ sei noch kurz vor dem Ennepepark gefallen... „In der Fußgängerzone war dann das große Schaufenster des Sportshops das Highlight für die Kühe – ihre eigenen Spiegelbilder darin haben sie dazu verleitet, die ,andere’ Herde erstmal mit anständigem ,Hallo’ anzubrüllen“, erzählt Jörn Kehrmann. „Danach ging es dann aber recht entspannt weiter.“

Hilfe bei der Aktion leisteten Freunde und Bekannte von Jörn Kehrmann und seiner Lebensgefährtin Katrin Kattwinkel. „Sie haben die Einfahrten und Straßen nach rechts und links abgesichert, damit kein Tier Hinterhofbesuche macht, haben ein Begleitfahrzeug gefahren, damit wir für den Notfall ein paar Führstricke oder auch Futter zum Locken haben, und eine kleine Stärkung für alle Helfer im Ziel war auch dabei“, so Jörn Kehrmann, der sich herzlich für die Hilfe bedankt.

Mehrere Helfer sorgten dafür, dass die Rinder auf dem rechten Weg blieben.
Mehrere Helfer sorgten dafür, dass die Rinder auf dem rechten Weg blieben. © WP | Privat

Die Aktion habe allen viel Spaß gemacht, sagt der Landwirt, ergänzt aber: „Natürlich stand nicht allein der Spaß im Vordergrund. Mir ist es sehr wichtig, dass die Landwirtschaft ,sichtbar’ bleibt. In unserer Gegend sieht man ja hier und da noch Kühe auf den Weiden, aber es wird immer weniger, weil der Aufwand und die Sorgen um die Tiere immer größer werden.“ Zu den Klimaveränderungen mit der Sorge um genug Wasser in den Bächen an den Weiden und genug Futter komme hinzu, dass Zäune zerschnitten würden, Müll und Hundekot auf den Weiden landen würden. Das könne leider zur tödlichen Gefahr auch für seine Tiere werden. Manche Halbstarke hätten auch Spaß daran, die Tiere zu erschrecken. „Aber mir ist es wichtig, dass meine Kühe, Rinder und Kälber möglichst viel Zeit im Jahr Tag und Nacht draußen verbringen können“, betont Kehrmann. „Da gehören sie einfach hin und es freut mich immer zu beobachten wie sie es genießen, vollgefuttert in einer Wiese zu liegen und wiederzukäuen.“

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Ganz viele Gevelsberger würden auch gut mit auf seine Tiere schauen, gerade am Gut Rocholz. „Da werde ich dann auch schon einmal angerufen, wenn etwas nicht ganz in Ordnung scheint, jemand bemerkt hat, dass ein Tier ausgebrochen ist, oder auch ein Kälbchen geboren wurde“, sagt er. „Darüber freue ich mich immer sehr und bin den Gevelsbergern sehr dankbar dafür.“