Ennepetal. Bei einer bundesweiten Islamisten-Razzia schlägt die Polizei auch in Ennepetal zu. Alle Hintergründe zum Fall und zu den Salafisten in Ennepetal.

Islamisten-Razzia in Ennepetal: Am frühen Dienstagmorgen stürmten Polizisten eine Wohnung an der Diestelkampstraße in Ennepetal. Ihr Ziel: ein mutmaßlicher Islamist. Er soll gezielten Betrug mit Corona-Subventionen begangen haben, um mit diesem Geld möglicherweise auch extremistischen Terror zu finanzieren. Der Ennepetaler ist einer von zahlreichen Verdächtigen, die in ganz Deutschland am Dienstag, 22. November, Besuch von der Polizei bekamen.

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Die Maßnahmen werden vom Landeskriminalamt Berlin und der dortigen Generalstaatsanwaltschaft koordiniert und liefen in einigen Teilen des Landes bis in den frühen Nachmittag hinein. Festnahmen hat es laut Auskunft des Landeskriminalamts Berlin bislang nicht gegeben. „Die Hausdurchsuchungen dienen der Auffindung und der Sicherung von Beweismitteln für den Betrug oder auch zur Negierung der Vorwürfe“, teilt ein Sprecher auf Anfrage der Redaktion mit.

57 Objekte in Deutschland durchsucht

Seit den frühen Morgenstunden durchsuchte die Polizei 57 Objekte, wobei der Schwerpunkt der Maßnahmen in der Bundeshauptstadt Berlin liegt. In Nordrhein-Westfalen haben die Beamten neben Ennepetal auch in Wuppertal, Essen und Frechen zugegriffen. Die Beschuldigten sollen aus Ägypten, Tunesien und Syrien stammen, der Hauptverdächtige im Internet islamistisches Material verbreitet haben. Auch in Brandenburg, Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen gibt es Razzien im islamistischen Milieu.

Ein Screenshot aus dem IS-Video, das das Selbstmordattentat von Ahmed C. in Bagdad im Jahr 2014 zeigt.
Ein Screenshot aus dem IS-Video, das das Selbstmordattentat von Ahmed C. in Bagdad im Jahr 2014 zeigt. © WP | WP

Die Generalstaatsanwaltschaft teilt mit: „Der 25-jährige Beschuldigte Fayez K., der dem salafistischen Milieu zugerechnet wird, steht im Verdacht, sich über Strohleute, gegen die sich die Durchsuchungsmaßnahmen richteten, die Situation der Corona-Krise ausgenutzt zu haben, um sich über eine Million Euro an Fördermitteln von der IBB durch falsche Angaben über erfundene gewerbliche Tätigkeiten zu erschleichen.“ Hierbei soll er sich der Personalien und Steuerdaten der Strohleute bedient haben, die für die Zahlungen auch ihre Konten zur Verfügung gestellt haben. Die dafür erforderlichen E-Mail-Accounts soll K. eigens für die Tatbegehung in deren Namen eingerichtet haben.

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Gegen Fayez K., der sich mittlerweile wieder in Syrien aufhalten soll, haben die Behörden in der Vergangenheit mehrfach wegen Störung des öffentlichen Friedens ermittelt: „So soll er beispielsweise öffentlich Masken mit dem Gesicht des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron verbrannt und die Videos dieser Aktion auf Youtube veröffentlicht haben. Auffällig war dabei die zeitliche Nähe zu der Rede des französischen Staatspräsidenten Macron am 21. Oktober 2020 im Nachgang zur Enthauptung des französischen Lehrers Samuel Paty durch einen tschetschenischen Attentäter“, heißt es in einer Mitteilung der Berliner Generalstaatsanwaltschaft.

Bagdad-Bomber aus Ennepetal

Von Berlin aus erschlossen die Ermittler ein Netzwerk, das unter anderem auch nach Ennepetal führte. Die Stadt stand und steht immer wieder im Fokus, wenn es um islamischen Extremismus geht. So geht im Jahr 2014 der Fall von Ahmet C. um die Welt. Der 21-jährige Deutsch-Türke lebte ein unauffälliges, sehr gut integriertes Leben in Ennepetal, spielte unter anderem beim TuS Fußball. Im Sog der Salafisten, die aus dem Bergischen Land mit Wuppertal als ihr Zentrum seit Jahren in Schwelm und Ennepetal versuchen, junge Männer für ihr radikales Gedankengut und letztendlich für den Dschihad zu akquirieren, radikalisierte sich der Ennepetaler innerhalb von nur wenigen Monaten.

Über die Wuppertaler Netzwerke war er bald derart hasserfüllt gegenüber Andersgläubigen, dass er sich der islamistischen Terror-Miliz Islamischer Staats (IS) anschloss. Über die Türkei reiste er nach Syrien, trug fortan den Kampfnamen „Abu Qaqa al-Almani“. Am 19. Juli des Jahres 2014 schließlich schickten ihn die Befehlshaber des IS in die irakische Hauptstadt Bagdad. Ahmet C. hatte sich bereit erklärt, als Selbstmordattentäter im Heiligen Krieg zu sterben.

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In Empfang nahm ihn ein Bombenbauer des Islamischen Staats, der später verhaftet wurde und über die insgesamt 19 Attentate, die er vorbereitet hatte, aus dem Gefängnis heraus mit einem Spiegel-Journalisten sprach. Das Attentat des Ahmed C. sei das schnellste gewesen, das Abu Abdullah – so der Name des Bombenbauers – vorbereitet hätte: „Er verstand ein paar Worte, aber es ging eher mit Händen und Füßen. Es war meine kürzeste Operation; der Platz an dem ich ihn in Empfang nahm, lag nahe am Ort der Detonation. Er kam zum ersten Mal in seinem Leben nach Bagdad, 45 Minuten später war er tot. Ich dachte: Jetzt kommen schon Leute aus Deutschland, um sich hier in die Luft zu sprengen. Es gab mir ein Hochgefühl.“ 54 Menschen riss der Ennepetaler mit in den Tod.

Radikalisierung im Kleingarten

Eine zentrale Persönlichkeit bei der Rekrutierung von Ahmed C. soll Atila G. gewesen sein, dessen Fall vier Jahre später die Stadt Ennepetal erneut in den Fokus islamistischen Terrors rückte. Atila G. gilt als Scharfmacher des IS. Aus einer Laube in einem Schrebergarten und seiner Ennepetaler Wohnung heraus soll der in Vielehe lebende Hassprediger mindestens sechs junge Männer für die Terror-Miliz rekrutiert haben, in Deutschland zum Führungszirkel der Organisation gehört haben. Seinen Sohn Muhammed H. stuften die Verfassungsschützer als Hochkaräter der salafistischen Szene ein. Abu Walaa – seinerzeit wohl einer der bedeutendsten IS-Führer auf deutschem Boden – soll regelmäßiger Gast im Ennepetaler Schrebergarten gewesen sein. Während G.s Sohn Muhammed H. im Jahr 2018 zu drei Jahren und sechs Monate Gefängnis verurteilt wurde, weil er in den bewaffneten Dschihad ziehen wollte, ist sein Vater bislang stets ungeschoren davon gekommen. Auch wenn die Ermittler felsenfest von seiner Rolle im IS überzeugt sind, konnten sie ihm doch nie etwas nachweisen.

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Welche Verbindungen aus der salafistischen Szene in Ennepetal zu dem aktuellen Fall in der Diestelkampstraße bestehen, ist bislang nicht abschließend geklärt. Nur so viel: „Es besteht kein besonderer Zusammenhang zwischen dem Islamistenmilieu und Coronasubventionsbetrug, die Taten sind lediglich im Rahmen mit Ermittlungen gegen eine dieser Szene zuzurechnenden Beschuldigten bekannt geworden. Durchsucht wurde heute bei den Personen, die als mögliche ,Strohmänner’ tätig geworden sind, darunter auch der Ennepetaler. Zu diesem konkret liegen mir derzeit keine Informationen vor, insgesamt gibt es mehr als 70 Beschuldigte“, teilt Sebastian Büchner, Pressesprecher der Generalstaatsanwaltschaft in Berlin, auf Nachfrage der Redaktion mit. Im Folgenden werden nun die erlangten Datenträger ausgewertet und versucht zu klären, wer welchen Beitrag zum Subventionsbetrug geleistet hat und wohin die vereinnahmten Gelder tatsächlich geflossen sind.