Gevelsberg/Ennepetal/Schwelm. Die Unterbringung von Geflüchteten wird zur Belastungsprobe. Gevelsberg, Ennepetal und Schwelm schlagen Alarm. So ist die Situation.

Gevelsbergs Bürgermeister Claus Jacobi spricht von nicht weniger als einem „Ernstfall der Demokratie“, der sich in den Städten und Gemeinden abspiele. Und damit meint er ganz konkret die Unterbringung von Geflüchteten.

Mehr als eine Million Menschen sind allein durch den Krieg in der Ukraine nach Deutschland geflohen. Viele Kommunen geraten durch Unterbringung und Unterstützung dieser Menschen allmählich an den Rand der Belastungsgrenze. Finanziell, aber auch was personelle Kapazitäten angeht.

Erst vor Kurzem hatten die Städte des Ennepe-Ruhr-Kreises gemeinsam mit Landrat Olaf Schade einen gemeinsamen Appell vor allem an die Bundes- und Landesregierungen gerichtet. Die Zahl der zugewiesenen Geflüchteten ist zu hoch – so die Quintessenz. Was genau das bedeutet, hat Claus Jacobi in einer politischen Sitzung nun noch einmal deutlich gemacht, als es um die Finanzen der Stadt Gevelsberg im kommenden Jahr ging (ausführlicher Bericht dazu folgt).

Gevelsberg bittet um Hilfe

„Hier vor Ort entscheidet sich, ob die Bürger weiterhin das Zutrauen in unsere Demokratie haben, dass Ressourcen am Ende gerecht verteilt, Bildungschancen ausgewogen gewährt und gesunde Lebensverhältnisse in einer friedlichen, von Kriminalität verschonten Bürgergesellschaft weiter möglich sind“, machte Jacobi in der Ratssitzung am vergangenen Donnerstag deutlich. Tagesordnungspunkt: Einbringung des Etats für das Haushaltsjahr 2023.

„Und zu dieser alles entscheidenden Fragestellung möchte ich den Bundes- und Landespolitikern heute eine ganz klare Ansage machen: Noch spüren wir nicht, dass Bund und Land im Gleichschritt mit den Kommunen den Krisenmodus auch wirklich eingeschaltet haben.“

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Noch seien es nahezu ausnahmslos die örtlichen Ebenen, die landauf, landab Unterbringungsmöglichkeiten für die mehr als eine Millionen Menschen schafften, die in Not, Verzweiflung und Kriegsangst nach Deutschland drängten und eine menschenwürdige Unterkunft brauchten. „Unsere Ressourcen in den Städten zur Bewältigung dieser Situation sind mittlerweile erschöpft“, macht Gevelsbergs Bürgermeister deutlich. „Wir stoßen mit der Aufnahme von Flüchtlingen an unsere Grenzen und die Situation ist dramatischer als 2015.“

Appell an Bund und Land

Jacobi sieht nun vor allem Bund und Land in der Pflicht. Diese hätten bislang keinerlei Rahmenbedingungen geschaffen, die zumindest für eine gleichmäßige Verteilung der Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland, geschweige denn in Europa sorgten. „Die Schaffung von Landeserstaufnahmeeinrichtungen verläuft mehr als schleppend, während Gevelsberg seine Quote längst übererfüllt hat“, so Jacobi weiter.

Gehe es so wie bisher nur auf dem Rücken der Kommunen weiter, sei die Inanspruchnahme von Turnhallen und Schulen zur Unterbringung geflüchteter Menschen nur noch eine Frage der Zeit. „Die Landesregierung darf es dazu nicht kommen lassen und muss – ich sage es nochmals – die Aufnahmekapazität in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes um ein Vielfaches erhöhen“, sagt Jacobi klipp und klar. „Wenn man wirklich eine Entlastung schaffen will, müssen dort mindestens 150.000 Plätze geschaffen werden.“

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Ebenso seien es derzeit noch ausschließlich die Kommunen, die die vielen neuen Schulen, Kitas und OGS-Ausbauten finanzieren müssten, die ganz zeitnah gebraucht würden, wenn deutlich mehr Kinder – „Gott sein Dank aus Kriegswirren gerettet“, so Jacobi – nach Deutschland kämen und hier eine echte Bildungschance bräuchten.

Umschwung in Ennepetal

Was in Gevelsberg noch eine Frage der Zeit ist, ist in Ennepetal bereits Realität: „Gerade als ich diese Zeilen schreibe, schaue ich auf einen Reisebus, der wieder neue Flüchtlinge zu uns bringt“, schreibt Bürgermeisterin Imke Heymann am Montag zu diesem Thema an die Redaktion. „Allein in den letzten Wochen haben wir über 80 Menschen aufgenommen. Ab heute müssen wir neu ankommende Flüchtlinge in der Turnhalle Friedenshöhe unterbringen.“ Geeigneter Wohnraum sei auf dem Markt aktuell nicht zu finden. Die Situation in der Klutertstadt hat sich innerhalb von ein paar Wochen drastisch geändert. „Die Behelfsunterkünfte in Ennepetal haben wir vor einiger Zeit schließen können“, hatte es noch Ende Juli geheißen.

„Es ist für mich unmenschlich, Frauen und Kinder in einer Turnhalle ohne Perspektive auf eine würdige Unterkunft einzuquartieren“, blickt Imke Heymann nun auf die aktuelle Lage. Die Ankündigung von Ministerin Josefine Pauls, dass das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration bis zum Frühjahr die Landeseinrichtungen auf eine Kapazität von etwa 35.000 Plätzen erweitern wolle, reiche bei Weitem nicht aus, ein Vielfaches sei nötig, macht auch Ennepetals Bürgermeistermeisterin deutlich. „Bund und Länder müssen jetzt handeln, ein deutliches Signal senden und die Kommunen kurzfristig spürbar entlasten“, sagt Heymann.

Lage in Schwelm schwierig

Wie die Situation in Schwelm ist, hatte vor Kurzem erst der Schwelmer Beigeordnete Marcus Kauke der örtlichen Politik deutlich gemacht. „Aufgrund von Aus- beziehungsweise Weiterreisen sind derzeit noch 287 Flüchtlinge in Schwelm ansässig. Seit etwa sechs Wochen registriert der städtische Asylbereich wieder einen Anstieg bei privaten Aufnahmen dieser Flüchtlingsgruppe in Schwelm“, hatte der Beigeordnete mitgeteilt.

In der städtischen Unterkunft stehen insgesamt 120 Plätze für die Unterbringung von Flüchtlingen und Obdachlosen zur Verfügung. Aktuell sind 41 Plätze belegt; davon 17 Plätze mit ukrainischen Flüchtlingen. Bis zum 12. Oktober wurden 16 weitere Zuweisungen durch die Bezirksregierung mitgeteilt, das aber nicht aus der Ukraine, sondern aus anderen Ländern.

Dabei macht auch die derzeitige Personalknappheit in der Stadtverwaltung die Lage in Schwelm vergleichbar kompliziert wie im Jahr 2015.