Gevelsberg. Nach einer Messerstecherei in einer Gevelsberger Unterkunft fehlt das Opfer vor Gericht, weil es Angst hat, abgeschoben zu werden.
So kurz wie der Prozessauftakt gegen den Gevelsberger P. kurz vor Weihnachten war, so lang zog sich am Donnerstagmorgen nun der Folgetermin in die Länge. Zu Erinnerung: Die Anklage wirft dem Beschuldigten vor, den neuen Freund seiner Noch-Ehefrau aus Eifersucht in einer städtischen Unterkunft An der Drehbank in Gevelsbergmit einem Messer attackiert zu haben – wohlgemerkt in der Absicht, ihn zu töten. Nur: Das Opfer wollte sich zum Folgetermin am Donnerstagmorgen partout nicht blicken lassen. Aus Angst davor, abgeschoben zu werden.
Das Schwurgericht Hagen wollte den Geschädigten unbedingt zeitnah vernehmen. Es hatte die Information erhalten, dass dem Zeugen am 19. Januar die Abschiebung aus der Bundesrepublik droht. Das schien ihm derart große Angst gemacht zu haben, dass er schon im Vorfeld der Verhandlung mitgeteilt haben soll, zu dieser nicht scheinen zu wollen.
Angst vor Abschiebung
Ob er die Sorge hatte, noch vom Gerichtsgebäude aus in den Flieger gesetzt zu werden oder ob er nach seiner Aussage dort bis zu seiner Abschiebung festsitzt, bleibt am Donnerstag für Prozessbeobachter unklar. Fakt ist: Der wichtigste Zeuge des Tages ist nicht da. Nicht zum Verhandlungsstart um 9.30 Uhr. Nicht zur nächsten Frist um 13 Uhr, auch nicht um 14 Uhr und nicht zur allerletzten Frist um 14.15 Uhr. Zwischendurch scheint er nicht einmal erreichbar zu sein. Dann plötzlich die Wende.
Die Vorsitzende Richterin Heike Hartmann-Garschagen betritt nach einer der vielen Verhandlungspausen den Saal und verkündet, dass der Geschädigte gar nicht abgeschoben werden soll. „Das Ausländeramt hat mitgeteilt, dass die an der Verlängerung der Duldung arbeiten.“ Telefonisch erreicht diese Nachricht auch das Opfer unmittelbar danach. Der Geschädigte lässt aber verlauten, es an diesem Tag nicht mehr nach Hagen zu schaffen.
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War in einer der Verhandlungspausen auch die Frage danach aufgekommen, ob der Zeuge nicht von der Polizei abgeholt und zum Gericht gebracht werden könne, musste Vorsitzende Hartmann-Garschagen das verneinen. Herr Y. sei vor kurzem innerhalb von Gevelsberg umgezogen. „Er hat zwar die Einladung zum heutigen Termin bekommen, die Belehrung über die Folgen, wenn er wegbleibt, aber nicht.“
Polizisten sagen aus
Untätig ist das Schwurgericht in der ganzen Zeit aber nicht. Ganz im Gegenteil. Elf Zeugen vernimmt die Kammer im Laufe des Vormittags. Darunter vor allem Polizeibeamte, die in verschiedenen Funktionen in der Tatnacht, aber auch im Zuge der anschließenden Ermittlungen tätig waren. Heraus kristallisiert sich im Wesentlichen der Tathergang, wie er seinen Weg auch in die Anklageschrift gefunden hatte. Die Vorwürfe lauten demnach versuchter Mord, tateinheitlich begangen mit gefährlicher und einfacher Körperverletzung, Bedrohung und Beleidigung.
Am 5. Juli gegen 0.05 Uhr soll der Angeklagte an einer Adresse in der Straße „An der Drehbank“ in Gevelsberg aufgetaucht und in die unverschlossene Unterkunft eingedrungen sein, in der sich die von ihm seit längerem getrennt lebende Ehefrau zusammen mit den Kindern und ihrem neuen Lebensgefährten Y. befand. P. soll der Frau einen Faustschlag ins Gesicht versetzt und sie als „Schlampe“ beleidigt haben. Mit einem weiteren Faustschlag soll er schließlich dem Nebenbuhler das Nasenbein gebrochen haben.
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Währenddessen sei die Frau zu einem Nachbarn geflüchtet, um Hilfe zu holen, wie es heißt. Der Angeklagte soll in seinen mitgeführten Rucksack gegriffen haben. Dort soll er ein Messer mit einer Klingenlänge von 19 Zentimetern herausgezogen und damit dem Geschädigten eine fünf Zentimeter kleine Schnittverletzung im Bereich des Bauchnabels zugefügt haben. Dabei soll er angekündigt haben, dass er nun beide umbringen werde.
Tatort und Festnahme
Mit gezücktem Messer hätte P. seine Noch-Ehefrau verfolgen wollen, doch der Lebensgefährte soll ihn daran gehindert und ihn zunächst festgehalten haben. In Tötungsabsicht soll der Angeklagte daraufhin seinem Nebenbuhler einen wuchtigen Stich in den linken Rückenbereich versetzt haben.
Gericht möchte Opfer am 19. Januar anhören
Das Schwurgericht Hagen möchte den Geschädigten Y. nun im Zuge des nächsten Prozesstermins am Mittwoch, 19. Januar, anhören. Die Verhandlung soll um 9.30 Uhr beginnen. Für den Prozess sind außerdem noch weitere Termine vorgesehen:Der 27. und der 31. Januar sowie der 2., 16., 18. und 23. Februar.
Neue Details bringen die Aussagen der drei Polizeibeamten und der Polizeibeamtin ans Licht, die zuerst am Tatort An der Drehbank in Gevelsberg ankamen und die den Beschuldigten P. im Keller seiner Wohnanschrift an anderer Stelle in Gevelsberg festnahmen. Auch sind Bilder vom Tatort zu sehen, von umgeworfenen Stühlen mit Blutspritzern, einem blutverschmierten Küchenmesser als mutmaßliche Tatwaffe und von den beiden Kindern der 37-jährigen Noch-Ehefrau von P. und Lebensgefährtin des Opfers, die laut mehrerer Aussagen während der Tat im selben Raum schliefen und wohl nichts von allem mitbekommen haben.
Die Vernehmungen des Geschädigten Y. und seiner Lebensgefährtin gestalteten sich laut Aussage zweier Polizisten schwierig, da beide nur gebrochenes Deutsch sprechen. Der Gevelsberger Anwalt Christoph Wortmann, der den Angeklagten am Donnerstag vertritt, wundert sich immer wieder über detaillierte Angaben, die die beiden laut der von der Polizei gefertigten Anzeige gemacht haben sollen. „Haben Sie sich da mit Händen und Füßen verständigt? Manche Sachen in der Anzeige sind sehr genau“, fragt er einen der Zeugen.
Details vergessen
Diese berufen sich immer wieder darauf, sich an bestimmte Details nicht mehr erinnern zu können, auch wenn Wortmann sie auf Diskrepanzen zwischen ihren Aussagen anspricht. Eine Polizistin und ein Polizist berichten von der Verhaftung von P., den sie nach der Tat im Keller seines Wohnhauses festsetzten. „Wir haben ihn durch die Kellerräume verfolgt“, erinnert sich die 30-jährige Beamtin. Ihr Kollege (21) bestätigt: „Der Beschuldigte war bei der Festnahme alkoholisiert, man hat seine Fahne gerochen. Er hat sich aber kooperativ verhalten.“
Die Noch-Ehefrau des Angeklagten und Lebensgefährtin des Opfers sollte am Donnerstag auch aussagen. Nach längerem Zögern lässt sie über ihren Spanisch-Dolmetscher mitteilen, dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen möchte. Die Aussagen, die sie nach der Tat bei der Polizei gemacht habe, dürften im Zuge des Verfahrens aber verwertet werden.