Gevelsberg/Hagen. Nach einem akribisch geführten Prozess hat das Hagener Landgericht eine Gevelsberger Richterin zu drei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt.

Als das Urteil fällt, verzieht die Gevelsbergerin kein Miene. Dabei ist klar, dass ihr Leben damit in Scherben liegt. Die Kammer des Hagener Landgerichts um den Vorsitzenden Richter Christian Potthast verurteilt die Richterin zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten und stellt ihr in einer fast 90-minütigen Urteilsbegründung ein verheerendes Zeugnis aus. Verteidiger Torsten Giesecke wird Revision gegen das Urteil beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe einlegen.

Das Urteil

Die Anspannung ist fast greifbar, als die Tür aufschwingt, die Kammer den Saal betritt und verkündet, dass die Frau, die am Lüdenscheider Amtsgericht für Straf- und Familiensachen zuständig war, für drei Jahre und zehn Monate ins Gefängnis muss. Sie habe sich der Rechtsbeugung, der Urkundenfälschung, des Verwahrungsbruchs sowie der Urkundenunterdrückung schuldig gemacht. Der Begründung ist anzumerken, dass die Richter sich formaljuristisch intensiv mit dem Fall auseinandergesetzt haben. Auch für sie ist es eine Premiere, einen Prozess gegen eine Kollegin zu führen. Ein Prozess, der sich nicht nur um die Taten dreht. Der zusätzlich einen Blick hinter die Kulissen der Justiz gewährte, der die Verantwortung des Richteramts ins Zentrum rückte. Und das im doppelten Sinne: Verantwortung, die die Frau als Repräsentantin von Recht und Gesetz des deutschen Staates trug, Verantwortung in der großen Freiheit der richterlichen Unabhängigkeit, ihre Aufgaben auch ohne Kontrolle und Druck sauber zu erledigen.

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Genau daran haperte es nämlich. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass die 37-Jährige ein Protokoll fälschte, Urteile zurückdatierte, versucht hatte, einem Kollegen, der sie als seine Chefin betitelte, ihre Fehler anlastete, Staatsanwaltschaft, Verteidiger, andere Instanzen und Verfahrensbeteiligte belogen habe. „Ihre Verfehlungen waren so schwer, dass Zweifel an der Justiz aufkommen. Vor allem die Gleichgültigkeit, mit der sie agierte, ist zu beachten“, sagte Christian Potthast. Dies stehe nach der Beweisaufnahme für die Kammer fest.

Detailliert widmete er sich den zehn verbliebenen Fällen – vier waren im Laufe des Verfahrens eingestellt worden – machte am Ende seiner Ausführungen zu den einzelnen Taten aber auch klar: „Die Angeklagte wusste genau, was sie tat. Und ihr Handeln nährt eher den Verdacht, dass in Wirklichkeit noch viel mehr als die angeklagten Verfahren betroffen sind.“ Die 37-Jährige hatte bei diversen Straf- und Familiensachen keine Urteile abgesetzt. Folge: Ein Mann blieb viel zu lange in Untersuchungshaft. Berufungen und Revisionen, die möglich gewesen wären, konnten nicht umgesetzt werden. Kinder bekamen zu wenig Unterhalt, andere Menschen zahlten zu viel, ein Vater konnte über zwei Jahre seine Kinder nicht sehen.

Die große Frage, wo der rote Faden bei den Fällen liegt, warum sie ausgerechnet diese Fälle liegen ließ, beantwortet das Gericht, damit, dass dies die Sachen gewesen seien, die in den Dezernaten des Amtsgerichts die meiste Schreibarbeit bedeuten würden.

Das Strafmaß

Die Worte von Christian Potthast waren an Deutlichkeit kaum zu überbieten: „Die Kammer hat den Eindruck, dass die Angeklagte denkt, sie würde hier an einer Konferenz teilnehmen. Sie hat offenbar bis heute nicht begriffen, dass sie anderen Menschen irreversible Schäden zugefügt hat.“ Strafmildernd fiel aus Sicht des Gerichts in die Waagschale, dass die 37-Jährige die meisten Taten gestanden hatte, sie ihren Beruf verliert, einige Taten sehr lange her sind, die Hemmschwelle sank und sie unter einer von Gutachter Dr. Nikolaus Grünherz bestätigten Arbeitsstörung leidet.

Auf der anderen Seite sprachen aus Sicht der Gerichts schwerwiegende Dinge gegen die Gevelsbergerin. Neben dem langen Tatzeitraum waren dies die Vielzahl der Taten, „die erhebliche kriminelle Energie und die Skrupellosigkeit, mit der sie ihre Verfehlungen auf denjenigen abschiebt, der sie so lange deckt und von dem sie weiß, dass er mit Depressionen zu kämpfen hat“, wie Potthast ausführte. Nicht zuletzt habe es sich um sensible Verfahren gehandelt, unter ihr hätten beispielsweise unterhaltspflichtige Kinder leiden müssen. Ebenso sei die übergeordnete Bedeutung nicht von der Hand zu weisen: „Sie hat den Rechtsstaat beschädigt. Ihre Taten dienen dazu, das Vertrauen in die Justiz erheblich zu erschüttern.“

So geht es weiter

Die Gevelsbergerin ist seit August 2020 krank geschrieben. Parallel zum Strafverfahren läuft auch ein Disziplinarverfahren gegen sie. Bis beides abgeschlossen ist, wird wohl noch etwa ein Jahr vergehen. Das ist zumindest der Zeitraum, den erfahrene Juristen aktuell bei Revisionsfällen am BGH beobachten. Die Erfolgsquote bei Revisionen liegt unter fünf Prozent, doch davon lässt sich Verteidiger Torsten Giesecke nicht beirren. „Insbesondere mit dem Blick auf das Strafmaß hoffe ich, dass sich der BGH dieser Sache intensiv annimmt und das Urteil bereinigt.“

Sollte dieses Urteil nicht deutlich herabgestuft werden, stellt sich die Zukunft für die Gevelsbergerin so dar, dass sie sowohl ihren Beamtenstatus als auch ihre Pensionsansprüche verliert. Beruflich würde sie sich nach einer Haftstrafe wohl neu orientieren müssen. Der Staatsdienst scheidet für die Juristin aus, eine Anwaltskammer müsste ihr erstmal eine Zulassung gewähren.