Ennepetal. Nach Umstrukturierungen reißt die Corona-Krise das nächste Loch in die Kasse der VER in Ennepetal. Nun soll ÖPNV auf neue Beine gestellt werden.

Peter Bökenkötter umgibt mittlerweile so etwas wie die Aura des Sisyphos, der in der griechischen Mythologie einen schweren Felsbrocken auf einen Berg befördern muss. Immer wieder kurz vor dem Gipfel rollt der Stein zurück ins Tal. Ebenso hat Bökenkötter, Geschäftsführer der Verkehrsgesellschaft Ennepe-Ruhr (VER), das Unternehmen, das vor seinem Amtsantritt am finanziellen Abgrund stand, Mal um Mal mit längst überfälligen oder sehr pfiffigen Maßnahmen nach vorne gebracht. Jedes Mal kracht ihm jedoch donnernd wieder etwas Neues in den Weg und wirft ihn und sein Team zurück. Doch aufgeben ist für den ÖPNV-Macher im Ennepe-Ruhr-Kreis keine Option. On Demand-Verkehre – quasi Busfahren auf Nachfrage – sollen nun der nächste Schritt für die VER in eine sichere Zukunft sein. Peter Bökenkötter und Aufsichtsratsvorsitzender Daniel Pilz nehmen den nächsten Anlauf mit Ehrgeiz und Elan.

Die finanzielle Lage

Um zu verstehen, was seit Pandemiebeginn passiert ist, muss der Blick zunächst etwas weiter in die Vergangenheit schweifen. Nachdem die VER beinahe mehr Zuschüsse erhalten hätte, als es die EU-Richtlinien vorsehen, sicherten nur größte Sparmaßnahmen sowie eine Teilübernahme durch die Bogestra deren weiteren Erhalt. Andernfalls wäre der ÖPNV im Kreis ausgeschrieben worden und wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an ein Privatunternehmen gegangen. Unter dem damals neuen Geschäftsführer Peter Bökenkötter nahm ein beispielloses Restrukturierungsprogramm seinen Anfang. Und das zündete: „Hätten wir 2020 ein normales Jahr gehabt, dann hätten wir 1,8 Millionen Euro unterhalb der EU-Grenze gelegen“, sagt der VER-Chef.

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Dann kam Corona. „Aktuell liegen wir bei noch etwa 66 Prozent der Fahrgastzahlen von vor der Pandemie. Zeitweise haben wir fast Dreiviertel unsere Fahrgäste verloren“, sagt Bökenkötter und Daniel Pilz ergänzt: „Dennoch haben wir es geschafft anstatt der eingeplanten 15,5 Millionen Euro Verlust lediglich 14,92 Millionen Euro Verlust einzufahren.“ Die beiden VER-Köpfe betonen jedoch auch, dass dies ohne den ÖPNV-Rettungsschirm – die VER erhielt 2,84 Millionen Euro von Bund und Land – nicht möglich gewesen wäre. Parallel dazu mussten Teile der Belegschaft in Kurzarbeit.

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Die Umstrukturierung ist nun so gut wie abgeschlossen. Synergien mit der Bogestra sind gehoben, Kosten können kaum noch eingespart werden. „Auf der Ausgabeseite sind wir nun sehr gut aufgestellt. Die Einnahmen sind das große Problem“, sagt Peter Bökenkötter. Der Rettungsschirm läuft bald aus. Und dann? „Noch gibt es dazu keinen Plan. Von allen demokratischen Parteien im Bundestag hört man, der ÖPNV sei wichtig für die Mobilitätswende und den Klimaschutz. Aber bislang sind das alles nur Lippenbekenntnisse“, sagt der VER-Geschäftsführer.

Die nächsten Schritte

Um auf das Eingangsbild zurückzukommen: Peter Bökenkötter und sein Team wälzen trotz allem den Felsbrocken gerade wieder den Berg hinauf und durchbrechen dabei Strukturen, die so alt sind, wie der Linienbusverkehr selbst. „Wir gehen weg von der Idee, dass starre Linien zu festen Zeiten wenige festgelegte Haltestellen anfahren. Das Arbeiten daran macht extrem viel Freude“, sagt Bökenkötter. On Demand-Verkehre lautet die Zauberformel, die die VER in eine krisensichere Zukunft führen soll.

Dahinter verbirgt sich Folgendes: Die VER schafft 400 neue virtuelle Haltestellen. Über eine App oder Telefon kann sich jemand, der gern irgendwo hinfahren will, bei der VER melden, bekommt umgehend Bescheid, wann er sich wohin begeben muss und von wem er abgeholt wird. Vor allem in den Nachtstunden, in den wenig frequentierten Gebieten und tief in Wohngebiete hinein soll das Angebot wirken. „Wir werden Busse der Sprintergröße einsetzen, ständig auf die Erfordernisse der Kunden eingehen“, verspricht Bökenkötter, der arbeitsrechtlich noch etwas mit den dann zunehmenden Bereitschaftszeiten klären muss, aber an dieser Stelle zuversichtlich ist.

Die Konzeptionsphase soll bis zum Herbst abgeschlossen sein. Zum Jahreswechsel soll das On Demand-Angebot in eine zweijährige Pilotphase starten. Daniel Pilz ist zuversichtlich, dass sich in diesem Angebot ein Stück Zukunft des ÖPNV verbirgt. „Gerade für Jugendliche, die nachts unterwegs sind, kann dies den ÖPNV attraktiver machen und auf der anderen Seite den Eltern Sicherheit bieten, dass die Kinder sicher unterwegs sind.“ Und nicht zuletzt soll dies ein ganz entscheidender Baustein sein, um die Sisyphos-Arbeit endlich zu beenden und die VER in eine ruhigere Zukunft zu führen.